Justiz: Gewalt nach Lehrbuch

Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren wegen eines Gewalteinsatzes der Polizei in der Disko „Gleis 9“ ein. Gegen den verprügelten Besucher wird weiter ermittelt.

Polizei-Training: Was BeamtInnen in der Ausbildung lernen, dürfen sie laut Staatsanwaltschaft anwenden. Bild: dpa

BREMEN taz | Der Prügeleinsatz in der Diskothek „Gleis 9“ im Sommer 2013 hat für die Polizisten keine juristischen Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen einen beschuldigten Beamten eingestellt. Der Gewalt-Einsatz sei „angemessen und damit verhältnismäßig“ gewesen, teilte sie am Montag mit.

Der Verprügelte hätte nämlich „mit einem Messer bewaffnet sein können“. Dass er’s letztlich zwar nicht war, zähle nicht: Der Verdacht habe bestanden. Gegen den verprügelten Besucher läuft ein Verfahren wegen Körperverletzung und Beleidigung einer Garderoben-Mitarbeiterin sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Aufnahmen des Polizeieinsatzes aus einer Überwachungskamera sorgten im Sommer 2013 für Schlagzeilen. Sie zeigen, wie ein Besucher im Eingangsbereich der Disko nach einer kurzen Rangelei von drei Polizisten am Hals gegen eine Wand gedrückt wird. Der beschuldigte Polizist tritt und schlägt ihm mit dem Tonfa-Schlagstock gegen die Beine. Der Diskobesucher wehrt sich dagegen, festgehalten zu werden. Als er nach etwa einer halben Minute zu Boden geht, sind vier Beamte über ihm, der beschuldigte Polizist schlägt ihm mit dem Schlagstock in den Nackenbereich, tritt erneut gegen den Liegenden und hackt dann mit der Spitze des Schlagstockes von oben auf ihn ein.

Politiker aller Parteien hatten nach Veröffentlichung der Aufnahmen Aufklärung gefordert, SPD-Innenpolitiker Sükrü Senkal sagte, er sei „erschüttert“. Grünen-Fraktionschef Matthias Güldner sprach gegenüber der taz von einer „Prügelszene“. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) hingegen bezeichnete den Einsatz schon im Juli 2013 als „völlig korrekt“.

Die Staatsanwaltschaft spricht nun von „gezielten Stockschlägen“, von „gezielten Tritten“ und „zuvor graduell abgestuft und gezielt gesetzten Schmerzreizen“. Diese seien „notwendig und erforderlich“ gewesen, weil es Zeugenaussagen gab, dass der Diskobesucher auf der Suche nach einem Messer gewesen sei. Das Hacken mit dem Schlagstock sei ein „Drücken in den Oberkörper“ gewesen, um „Muskelblockaden“ zu lösen. Die Tritte gegen den am Boden liegenden „nur gegen seine Oberarme“ gerichtet – so haben es die Polizisten ausgesagt – damit er seine Arme freigibt. Das, was wie ein Würgen aussieht, sei ein Versuch gewesen, „ihn am Hals zu halten“. Alles „Mittel, die im Rahmen der Polizeiausbildung vermittelt werden“, sagte Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Der Besucher sei sehr kräftig gewesen und habe sich „heftig gegen die Fixierung“ gewehrt.

Fast eine Stunde lang erklärte Staatsanwalt Passade am Montag der Presse anhand weiterer Überwachungsaufnahmen, welche Verfehlungen sich der Diskobesucher geleistet habe, bevor er verprügelt wurde. Über den beschuldigten Polizisten sprach er kaum. Der Diskobesucher war zuvor aufgebracht in der Disko hin und hergelaufen, hatte eine Garderoben-Mitarbeiterin geschlagen und bespuckt – laut ihrer Aussagen, weil sie ihm kein Messer geben wollte. Er soll die Polizisten bedroht haben. Angefangen habe der ganze Streit, weil sein Bruder in der Disko Hausverbote erhalten hatte. Man habe „das Gesamtgeschehen beurteilt“, so Passade.

Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Ralf Manning, begrüßt die Einstellung: „Wir hatten von Anfang an Vertrauen in die Sachkunde und die Objektivität der Staatsanwaltschaft.“ Für Linken-Fraktionschefin Kristina Vogt hingegen ist die Einstellung „nicht befriedigend“. Es bleibe ein „Beigeschmack“, weil der Polizeieinsatz nicht in einer gerichtlichen Hauptverhandlung geklärt wird. Ein Misstrauen der Bevölkerung, dass Polizeigewalt nicht richtig verfolgt würde, hätte so ausgeräumt werden können.

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