Kosten der eigenen Sippe: Haften für den Unbekannten

Die Kosten einer anonymen Bestattung muss die Schwester des Verstorbenen übernehmen. Kontakt hatten die beiden wegen heftigen Streitigkeiten nicht.

Die markante Kerze ist in der Grundausstattung des Armengrabs nicht inbegriffen. Bild: DPA

BREMEN taz | Als der Bruder von Lieselotte H. im Jahr 2009 starb, hatte sie schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm. Trotzdem hatte ihr das Gesundheitsamt Bremerhaven, wo der Mann starb, eine Rechnung über die Beerdigungskosten geschickt. Dagegen klagte sie und bekam zunächst auch Recht. Am vergangenen Dienstag nun hob das Oberverwaltungsgericht dieses Urteil wieder auf.

Der Bruder der Klägerin liegt heute auf einem Friedhof in Bremerhaven. Sein Leichnam wurde verbrannt und anonym in einer Urne bestattet. Bezahlt hat das zunächst die Stadt – zu einem Tarif, der in solchen Fällen üblich ist. Land und Bestatter haben ihn ausgehandelt: 2.088,82 Euro. Ungefähr die Hälfte davon sind Friedhofsgebühren. Den Rest bekommt das Bestattungsunternehmen.

Geld, das die Behörden sich zurückholen. Als „bestattungspflichtig“ gelten die Angehörigen der Verstorbenen. Für gewöhnlich sind das die Erben. Wenn es aber keinen Nachlass gibt, macht die Behörde eine zweite Runde durch die Familie. Und anders als die Erbschaft, lässt sich die Kostenübernahme nicht verweigern. Wer gerichtlich dagegen vorgehen will, hat gewöhnlich nur dann eine Chance, wenn er außerordentliche Gewalt- oder Missbrauchsfälle seitens des Verstorbenen belegen kann.

Das war bei Lieselotte H. nicht der Fall gewesen. Der Verstorbene hatte sich mit seiner Familie bloß zerstritten. Der Klägerin ging es aber um eine Besonderheit der Bremer Rechtlage. Denn an welche Verwandten die Rechnung geht und in welcher Reihenfolge sie zu belangen sind, ist Ländersache.

Anders als in fast allen anderen Bundesländern hat Bremen keine Rangliste. Die Behörde hat nicht nur H., sondern auch ihre Schwester und einen unehelichen Sohn des Verstorbenen ausfindig gemacht. Alle drei bekamen eine Rechnung über die vollständigen Kosten plus 200 Euro Verwaltungsgebühr. Belangt wurden sie als „Gesamtschuldner“. Das bedeutet: Der Stadt ist es egal, wer die Rechnung zahlt. Wenn es einer tut, kann er einen Ausgleich von den anderen fordern.

Die Frage nach der Reihenfolge hat hier eine große Bedeutung: Wäre Bremen zuerst an den mittellosen Sohn herangetreten, hätte das Sozialamt die Kosten für ihn übernommen. Sein entsprechender Antrag wurde aber abgelehnt, weil es eben noch die anderen Verpflichteten gäbe. Für H. ist es Willkür, es gleich bei allen Verwandten zu versuchen. Das Verwaltungsgericht gab ihr Recht und sprach von einem „Erklärungsdefizit“.

Im Berufungsverfahren betonte der Richter eine andere Seite der Bremer Rechtslage. Der Kreis der zahlungspflichtigen Verwandten ist hier vergleichsweise klein: Ehegatten, eingetragene Lebenspartner und Eltern können belangt werden. Außerdem Kinder und Geschwister, sofern sie volljährig sind. In anderen Ländern können zusätzlich auch Enkel oder Verlobte belangt werden. Dafür aber nach einer klar definierten Rangliste.

Willkür sei das nicht, sondern schlicht ein anderes Vorgehen, das auch Vorteile habe. Bremen habe kaum Möglichkeiten, die finanzielle Situation der Verwandten nachzuvollziehen. Das Verwaltungsgericht habe im ersten Urteil das Wesen der Gesamtschuldnerschaft verkannt.

Unbeantwortet blieb hingegen eine Grundsatzfrage, die H.s Anwalt aufwarf: Gut 2.000 Euro seien viel Geld. Nicht nur für seine Mandantin, sondern auch ganz grundsätzlich für Beerdigungen, „bei denen keiner mitgeht“, wie er sagt. Und für Grabstätten, die niemand je besucht.

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