Kolumne: Über Schiffbruch mit Zuschauern

"Das Schiff ist die Heterotopie schlechthin!" (Michel Foucault über "Andere Räume", 1967).

1997 lernte ich meinen ersten Schiffshausmeister kennen: Murat Celikel. Der gelernte Ökonom aus Istanbul war nebenbei noch Regisseur sowie Geschäftsführer und Kapitän des Theaterschiffs TAU am Urbanhafen. Er hatte es 1995 in Rostock gekauft, wo er es umbauen und dann für noch einmal zigtausend Mark in den Landwehrkanal schleppen ließ.

Murat wollte damit eine freie internationale Theaterstätte (im Schiffsbauch) schaffen, die sich durch die Gastronomie (unter Deck sowie auf dem glasüberdachten Sonnendeck) finanziert. Daneben fanden dann auf den Decks noch Lesungen und kleinere Konzerte statt: mit Künstlern - unter anderem aus Argentinien, Georgien, Russland und Persien.

Murat selbst inszenierte im "Bauch" sein Stück "Godot an Bord". Er hätte gerne mehr Theater dort gemacht, aber einen Großteil seiner Zeit verschlang der Papierkrieg. Drei Jahre brauchte er alleine, bis er die Liegegenehmigung im Urbanhafen bekam: Sämtliche Grünenpolitiker und ihre Ämter stellten sich quer - dagegen standen Murats Arbeitsplatz- und Kultur-Argumente. Als alles klar war, wurde ihm absurderweise der Steg - für den Landgang - verweigert. Dann musste er allein für die Abwässer des Schiffes 34.000 Mark jährlich zahlen.

Bald mangelte es ihm an Geld für die Werbung. Deswegen schaffte er es wiederum nicht richtig, sein Schiff samt Gastronomie öfter für geschlossene Veranstaltungen zu vermieten. Außerdem hätte er eigentlich auch noch einen Verein gründen müssen, um für seine Theaterprojekte staatliche und private Spenden akquirieren zu können.

Die Promeniermeile am Urbanhafen, an seinem Schiff vorbei, geriet derweil immer gutbürgerlicher. Was vor dem Krieg für die Kreuzberger Happy Few das Engelbecken in 36 war, wurde nun der Urbanhafen in 61, wobei es sich meistens um SPD- und Grünenpolitiker handelte. Dazwischen tummelte sich jedoch noch immer ein ärmeres Völkergemisch - Patienten des Urbankrankenhauses mit ihren Angehörigen.

Für diese Flaneure lagen dort im Hafen bereits drei holländische Cappuccino-Schiffe: "van Loon", "Philippa" und "Josephine". Hinter der Baerwaldbrücke gab es an Land ein toskanisch aufgemotztes Restaurant mit Minigolfplatz, dessen italienische Pächter wir zuvor vergeblich mit Solidarveranstaltungen unterstützt hatten. Und auf der anderen Seite nahe der Admiralsbrücke lag und liegt das türkische Restaurantschiff "Iskele". Dazwischen dümpelte das TAU - auf Höhe des Urbankrankenhauses. Dieses sollte erst geschlossen werden und wurde dann nach Protesten in die pseudoprivate Übergangsstruktur Vivantes eingegliedert, die es nun auf seine "Kernkompetenzen" reduziert - und mit dem Rest ein Immobilienspekulationsgeschäft betreibt, bei dem die Kranken, aber auch das weißgekittelte Personal nur stören.

Zurück zum TAU: Über die armenische Konzert- und Kunstorganisatorin Karine frequentierten bald auch immer mehr Russen das Theaterschiff. Es war von einer türkisch-jüdisch-sowjetischen Theaterproduktion die Rede. Rund 350 "Theaterprojekte" gibt es in Berlin, das TAU hatte gute Chancen, zu einem der interessanten zu werden. Aber dann gab Murat - für uns, die wir auf dem verglasten Oberdeck Kaffee tranken, überraschend - auf. Sein Schiff wurde geschlossen.

Einige Wochen später machte es jedoch wieder auf - ohne Murat. Die Crew sah jetzt aus wie ein typisches Kreuzberger Kollektiv mit leicht schwäbischem Akzent. Dieser konnte sich jedoch anscheinend nicht durchsetzen: Erneut machte das Theaterschiff zu. Diesmal blieb es auch zu - bis heute. Zwischendurch kletterten nächtens immer mal wieder Jugendliche über die Absperrung vor der Gangway - und schmissen eine Scheibe ein oder sprühten irgendwelche kryptischen Botschaften an die Bordwände, deren grauer Lack langsam abblätterte.

"Das Schiff sieht inzwischen richtig Scheiße aus", meinen viele, die daran regelmäßig vorbeipromenieren. Wir fingen an, Murat zu suchen. Vielleicht sind alle möglichen Behörden hinter ihm her, um ihn wegen ausstehender Liegegebühren, Hafenverschandelung etc. zu verklagen - und er ist deswegen untergetaucht, vermuteten wir irgendwann, denn er war nirgendwo zu finden. Dann erlitt auch noch das Spreerestaurant-Abenteuer eines anderen Bekannten in 36 - an der Oberbaumbrücke - Schiffbruch. Ich kann mir das nur damit erklären, dass diese Landratten auf dem Wasser einfach überfordert waren.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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