Eine sportliche Kleinfamilie

Bei ihren Weltmeisterschaften in Nottingham versuchten die Slalompaddlerinnen und -paddler vergeblich den Sprung aus dem medialen Abseits  ■ Von Ulf Heuner

Kanu-Slalom ist ein Familiensport. Man heiratet gern untereinander und gibt das Paddel gleich an den Nachwuchs weiter. So erscheinen in den Siegerlisten über Jahrzehnte hinweg immer die gleichen Namen. Kanu-Slalom ist ein geschlossenes System mit wenig Resonanzfähigkeit für das Geschehen außerhalb der Welt der grün- und rot-weißen Torstäbe. Entsprechend spurlos ging die Expansion des Kanu- Sports im Wander- und Wildwasserbereich in den letzten zehn Jahren an dem Wettkampfsport vorüber. Er konnte nicht auf der Welle des Erfolges mitpaddeln, geschweige denn, sich zum Trendsetter der neuen großen Freizeitbewegung aufspielen. Ganz im Gegenteil rümpft der deutsche Slalom-Kanute gern die Nase über die Massen von „Dickbootfahrern“ oder „Mungos“, die jeden Sommer mit ihren „Tupa-Schüsseln“ (die fast unzerstörbaren Polyethylen- Boote, die den Wildwassersport für Freizeitpaddler erst richtig attraktiv machten) die alpinen Wildflüsse verstopfen.

Doch die Slalom-Kanuten wollten irgendwann nicht länger ein mediales Schattendasein fristen und auch das eine oder andere Sponsorengeld einstecken. Seit einigen Jahren bemüht man sich opportunistisch darum, die Sportart insbesondere für das Fernsehen interessanter zu machen. Regel um Regel wurde geändert. Unter anderem wurden die berüchtigten Rückwärtstore geopfert und die Wettkampfstrecken extrem verkürzt, damit das Fernsehen dynamischere Bilder senden kann. Dem Beispiel des Skisports folgend führte man auch einen Weltcup ein. Als dann 1992 das IOC unter persönlicher Förderung seines Präsidenten und einstigen Franco- Faschisten Juan Antonio Samaranch Kanu-Slalom nach 20 Jahren wieder in das olympische Programm aufnahm, waren die Funktionäre sicher, nun den medialen Durchbruch zu schaffen.

Insbesondere der Deutsche Kanu-Verband (DKV) frohlockte, als die damalige Kajak-Weltmeisterin Elisabeth Micheler in Barcelona erwartungsgemäß die Goldmedaille gewann und sich in allen Sportsendungen im Blümchenkleid als nettes Mädel aus Augsburg präsentierte. Hier war ein Star geboren, der die neugewonnene Öffentlichkeit gleich zu nutzen wußte mit denkwürdigen Sprüchen wie, daß sie extra für die Olympiade ihre Hochzeit (selbstverständlich mit einem Slalom- Paddler) verschoben habe.

Heute heißt sie Elisabeth Micheler-Jones. Doch wer erinnert sich noch an sie? Irgend etwas ist schiefgelaufen mit der medialen Vermarktung des Kanu-Slaloms in den letzten drei Jahren. Der Kanu- Sport, zentrales Presseorgan des DKV, wußte, was: die Terminplanung. Die internationalen Wettkämpfe hätten in den letzten Jahren immer an Tagen stattgefunden, an denen auch populäre Sportarten, etwa die Leichtathletik, ihre Meisterschaften ausrichteten und das Publikumsinteresse auf sich zogen. Dieses Jahr wollte man es besser machen. Die Weltmeisterschaften in Nottingham auf einer im River Trent künstlich angelegten, sehr leichten Wildwasserstrecke wurden für das vergangene Wochenende angesetzt, ein sehr später Termin in der Sommersaison, an dem außer dem üblichen Fußball und Tennis wirklich nicht viel los war in der Sportwelt.

Die ersten Erfolge der deutschen Paddler in den Mannschaftswettbewerben (zweimal Gold, zweimal Bronze) wurden auch gleich in deutschen Tageszeitungen mit Fünfzeilern angemessen honoriert. Der Spartensender Eurosport, spezialisiert auf Randsportarten wie Tractor-Pulling, räumte breiten Sendeplatz ein und verpflichtete mit der ehemaligen Weltmeisterin Margit Messelhäuser ausnahmsweise eine kompetente deutsche Kommentatorin, die zwischen Kajak und Kanadier zu unterscheiden weiß.

Diese mußte gleich berichten, wie das Aushängeschild des DKV, Elisabeth Micheler-Jones, schon im Qualifikationsrennen scheiterte. Die Qualifikation wurde eingeführt, damit die vielen „Exoten“ nicht das Fernsehbild am Finaltag verunreinigen und die Spannung beeinträchtigen. Dabei machen gerade diese reinen Amateure mit ihren unfreiwilligen Kapriolen und Kenterungen einen besonderen Reiz für den Zuschauer aus. Die Erfurterin Kordula Striepecke vertrat ihre Augsburger Kollegin würdig und belegte den dritten Platz. Der 22jährige Augsburger Oliver Fix konnte am Sonntag das Rennen der Kajak-Einer mit einer riskanten Fahrt gewinnen.

Die größte Überraschung gab es im Kanadier-Einer. Der Amerikaner David Hearn gewann seinen zweiten WM-Titel nach 1985. Und das mit 36 Jahren in einem Alter, in dem andere Paddler schon längst mit frisch angesetztem Bäuchlein aufgeregt die nationalen Slalomstrecken ablaufen und ihre Zöglinge zum Sieg schreien. Hearn gewann knapp vor dem 25 Jahre alten Augsburger Sören Kaufmann und dem 16 Jahre alten Slowaken Michael Martikan. Kanu-Slalom führt nicht nur Familien zusammen, sondern trägt auch zur Verständigung zwischen den Generationen bei. Was will man mehr?