Noch kränker, als eine Frau zu sein

Linkshändigkeit kann lästig sein. Links gilt nämlich nicht nur als Pech und Übel, es wird auch mit weiblich assoziiert – obwohl Frauen seltener linkshändig sind. Eine amerikanische Publikation förderte noch mehr Erstaunliches zutage  ■ Von Sophie Behr

Ich bin Linkshänderin. Ja, damit muß ich anfangen. Es gehört ein bißchen Mut dazu, mich als Linkepoot zu bekennen; ich habe das noch nie öffentlich getan. Meine Mutter bedauerte mich Pechvogel und schimpfte mich einen ungeschickten Deibel. Dabei war sie selbst linkshändig, wenn auch, wie sie sagt, gemäßigt. Mama hätte wissen können, daß manche meiner Tölpeleien mit Messer, Schuhband, Schere, Licht – ja auch Licht – mit meiner Händigkeit zusammenhingen, denn Lichtschalter sind meist rechts neben Türeinschlägen angebracht; ein Streichholz, lehrte mich die Köchin, zündet man mit der rechten Hand.

Schon unsere Sprache, jede Sprache Europas, ist voll deprimierend abschätziger und ängstlicher Bezeichnungen dafür, daß rechts normal und richtig ist. Was aber ist mit Leuten, die normalerweise morgens mit dem linken Fuß zuerst aufstehen? Ein linkshändiges Kompliment, sagen die Angelsachsen und meinen eine Beleidigung.

Das Wort selbst – link(s), left, gauche – bedeutet lahm, schwach, krüppelhaft, mit einem Manko (italienisch „mancino“ gleich linkshändig) behaftet. Es bedeutet aber auch unaufrichtig, betrügerisch, eben link und finster, sinister. Ein Blick in Herkunftswörterbücher belehrt uns, daß wir Menschen sind, vor denen sich die rechtshändige Mehrheit besser hütet. Zur Zeit der Hexenverbrennungen galt Linkshändigkeit bei einer Frau als sicheres Zeichen dafür, daß sie mit dem Teufel im Bunde war.

Das alles macht traurig, unsicher, wütend. Am besten gefiel mir immer der plattdeutsche Spruch: Linkepoot slöcht'n Düwel doot. Zwar ein linkshändiges Kompliment, wie es im Buche steht, doch schimmert etwas Hochachtung durch. Sogar dem Teufel sind wir gewachsen, alle Wetter!

Mein Leben lang habe ich Informationen zur Linkshändigkeit gesammelt, mit links sozusagen, während ich mich bemühte, in einer Welt der Rechtshänder zurechtzukommen. Die immer wiederkehrenden Zeitungsartikel, wonach Genies wie Chaplin, Goethe, McCartney, da Vinci, die Monroe und Martina Nawratilowa zu meiner Minderheit gehören – aber auch Jack The Ripper und andere Unholde –, wurden mir bald ärgerlich. Auf Dauer langweilten mich auch Berichte, wonach ein Versandhandel in England oder in einem abgelegenen deutschen Ort Korkenzieher, Dosenöffner und Grapefruitmesser für Linkshänder anbietet. Jede Sense und Sichel, jede Gitarre und jeder Golfschläger, alle Messer mit Wellenschliff und die ganze Palette der Heimwerkermaschinen waren und sind – jedenfalls im traditionell autoritären Deutschland – für die rechte Mehrheit ausgelegt und für mich eigentlich ungeeignet.

Ich bin der Rechtschreibung mächtig, denn LehrerInnen brachten mir früh bei, den Griffel in die richtige Hand zu nehmen. Schon meinen ersten Brei mußte ich vermutlich mit der rechten Hand löffeln lernen. Und daß die Linke von Herzen kommt, ist ein Spruch, der beschönigen soll, was doch häßlich ist: das linke Händchen. Von häßlich kommt Haß.

Höheres Unfallrisiko, kürzeres Leben

Genug gejammert! Anders als manche LinkshänderInnen habe ich mich früh in meinem Anderssein erkannt, mich auch durch Vorgänger wie Beethoven und Picasso – Vorgängerinnen gab es ja damals keine – für etwas Besonderes, nicht nur Linkisches, gehalten.

Jetzt endlich weiß ich: I've got a Right to Sing the Blues. Mein bester männlicher Freund hat mich auf das Buch gestoßen: „Left Hander“ von Stanley Coren. In ihm steht, hurra!, daß Genies dreimal öfter Linkshänder sind als Normalos. Zu Recht verspricht der Untertitel: „Everything you need to know about Left Handedness“. Leider gibt es das Buch noch nicht auf deutsch. Wahrscheinlich verspricht sich keinE VerlegerIn ein Geschäft damit, denn gerade wir Frauen – die doch eifriger Bücher lesen als Männer – sind seltener linkshändig als die Männer, Hurra, wir sind normaler! Oder: Sind wir deshalb nicht genialer?

Neunzig Prozent der US-amerikanischen und kanadischen Frauen sind Rechtshänderinnen, aber nur 86 Prozent der Männer. In der Gesamtbevölkerung gibt es – je nach Lebensalter der Befragten – von knapp einem bis zu fünfzehn Prozent LinkshänderInnen. Das ist einer der spannenderen Aspekte des Buches „Left Hander“, das auf seinen 308 Seiten unzählige Informationen versammelt. Dreizehn Prozent der Menschen im gesellschaftlich aktiven Alter – das ergeben alle Untersuchungen – machen das meiste mit der linken Hand.

Von den Zehnjährigen sind fünfzehn Prozent linkshändig, von Vierzigjährigen noch etwa zehn Prozent. Bei den Fünfzigjährigen finden sich nur noch fünf Prozent LinkshänderInnen, bei den Sechzigjährigen sechs Prozent, bei den Siebzigjährigen noch sieben Prozent, aber bei den ab Achtzigjährigen weniger als ein Prozent.

Coren und seine Mitarbeiterinnen Diane Halpern und Clare Porac mochten zunächst nicht glauben, daß Linkepooten früher sterben, und suchten deshalb in anderer Richtung. Hatten sich die Linkshänder vielleicht im Laufe ihres Lebens der Rechtshändergesellschaft immer mehr angepaßt? Machten die Älteren zunehmend alles mit rechts, weil sie früher – auch in den USA – rigoroser umtrainiert worden waren? Essen, grüßen, schreiben, aber auch nähen, werfen, Zähne putzen, bügeln, häkeln – all das entging dem strengen Blick von Erziehungsberechtigten nicht. Und wer Auto fahren lernen will, muß selbstverständlich bis heute mit der rechten Hand die Gänge schalten, es sei denn, man hat den rechten Arm verloren.

Coren, Halpern und Porac stellten außerdem fest, daß ausgeprägte LinksseiterInnen immer nur das mit rechts machten, was ihnen andersherum beigebracht worden war, als sie es eigentlich machen wollten. (Von Rechtshändern, denen man den Löffel in die Linke zwang, ist bisher nichts bekannt.) Also forschten sie in Richtung höheres Risiko für Linkshändige. Unfälle aller Art, besonders Verkehrs-, aber auch Arbeitsunfälle, passieren den Südpfoten, wie sie in den USA auch genannt werden, viel häufiger. Gerüchte besagen auch, daß Linkshänder generell gefährlicher leben, häufiger Selbstmord begehen, von allerlei Erbkrankheiten und Allergien geplagt werden und häufiger lesbisch/schwul und krimineller sind. Zu all diesen Verdachtsmomenten gibt es in „Left Hander“ Hinweise – nicht durchweg erfreuliche.

Die linke Seite ist die weibliche

Da ihnen die Zeit für eine Langzeitstudie fehlte, befragten die Autoren Tausende von Angehörigen Verstorbener und kamen zu dem Ergebnis, daß Rechtshänder zehn Jahre länger lebten als Linkshänder und Rechts- gegenüber Linkshänderinnen immerhin noch eine um fast fünf Jahre längere Lebenserwartung hätten. Diese Studie wurde von anderen WissenschaftlerInnen alsbald, zu Recht, angegriffen. Erstens hatte nur ein Drittel der angeschriebenen Angehörigen geantwortet, und zweitens sagt Coren an anderer Stelle seines Buches selbst, daß Linkshänder häufig unsichtbar sind und Kinder oft gar nicht wußten, daß einer ihrer Eltern die linke Hand bevorzugte.

Ich weiß, seit ich „Left Hander“ gelesen habe, warum ich mich auf der Welt öfter so fremd fühle, mir wie eine vermaledeite Außenseiterin vorkomme, obwohl ich doch – von Geburt, Gesundheit, Aussehen, Begabungen – eindeutig privilegiert bin und immer war. Bei einem Satz von Coren – „Linkshändigkeit ... kann Resultat einer ... Gehirnschädigung ... sein, jedoch sage ich nicht, daß alle Linkshändigen hirngeschädigt sind“ – fällt mir jene klassische Antwort eines Gesundheitspolitikers ein, der auf die Frage, warum denn die Krankenkassenbeiträge für Frauen höher seien als die für Männer, antwortete: Es ist eben kränker, eine Frau zu sein.

Links gilt also nicht nur als übel und pechös – es wird auch mit weiblich assoziiert, und das obwohl wir öfter rechts sind! Die linke Seite ist die weibliche Seite – bei

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Bantustämmen wie im alten Ägypten, im Buddhismus wie in der Kabbala und der Bibel. Eva, die Menschenmutter, ist aus einer linken Rippe Adams erschaffen, und Hippokrates wie Galen waren überzeugt, männliche Kinder würden im rechten Eierstock produziert. Wie sehr der männliche Blick, die männliche Überzeugung, Definitionen durch Männer die Welt beherrsch(t)en, zeigt der Rat des deutschen Arztes Dr. Henke, den Geschlechtsverkehr auf der Seite des gewünschten Geschlechts auszuüben. Als ich versuchte, mir die entsprechende Stellung vorzustellen, erhob sich in mir die Frage: Soll die Frau nun so liegen, daß der rechte Eierstock oben liegt oder (traditionell) unten? Na, egal, die Arbeit Henkes stammt aus dem Jahre 1786, heute glaubt doch kein Mensch mehr an diesen Unsinn – nur die Chinesen vielleicht, die nur ein Kind zeugen dürfen, und das muß natürlich das richtige Geschlecht haben.

Alle sprachlichen Herabsetzungen haben nach wie vor Gültigkeit – und so ist es nicht verwunderlich, wenn gerade weibliche Linkshänder ihr Manko nicht wahrnehmen wollen oder doch – wie meine Mutter – herunterspielen, wenn nicht gar verschweigen. Frau sein reicht ihnen allemal.

In „Left Hander“ gibt Stanley Coren sein Gespräch mit einem Ergonomen wieder, das mich mit Genugtuung erfüllt hat. Ein Ergonom beschäftigt sich, laut Fremdwörter-Duden, wissenschaftlich mit der besten wechselseitigen Anpassung zwischen dem Menschen und seinen Arbeitsbedingungen. Er wird auch Human Engineer genannt. Coren fragte ihn nach Konzessionen gegenüber Linkshändern beim Design von Technik. Der Spezialist beschied ihn zunächst eher knapp, man entwerfe „für den durchschnittlichen Benutzer“. Coren fragte daraufhin, was denn der Durchschnitt zwischen Rechts- und Linkshändern ergebe. Der Human Engineer, berichtet Coren, „sah mich an, als ob ich plötzlich fünfzig bis sechzig IQ- Punkte eingebüßt hätte. Dann holte er zu einer längeren Belehrung aus: ,Ich meine, Sie erwarten doch nicht von uns, daß wir jedes Fahrzeug auch für Riesen und Zwerge entwerfen... Linkshänder müssen sich anpassen oder auf Benutzung verzichten.‘“

Riesig oder sehr klein sind, so Coren, nur zirka ein Prozent, linkshändig aber dreizehn Prozent der Bevölkerung. Kommt hier irgend jemandem etwas bekannt vor?

Stanley Coren: „Everything you need to know about Left-Handedness“. New York 1993, 308 Seiten, 38,90 DM (in London 1992 als „The Left-Hander-Syndrome“ zuerst veröffentlicht)

Bei Rowohlt erschien 1994: „Alles mit der linken Hand. Geschick und Geschichte einer Begabung“ von Rik Smits. 240 Seiten, 36 DM

In München erteilt mittwochs Dr. J.B. Sattler von 14 bis 15 Uhr telefonisch Rat zu Fragen der Linkshändigkeit – besonders von Kindern. Telefon: 089/26 86 14. Hier gibt es auch weitere Literaturhinweise.