Schwer nachvollziehbar

■ betr.: „BGH bestätigt Mielke-Ur teil“, taz vom 11. 3. 1995

Um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen: Juristisch begründen läßt sich fast alles, zumal wenn der BGH Recht spricht.

[...] Da spricht der BGH vor wenigen Wochen einen – zum Tatzeitpunkt jungen – deutschen Wehrmachtsoffizier wegen der Ermordung Dutzender italienischer Kinder und Frauen frei und verurteilt einige Tage später einen – zum Tatzeitpunkt jungen – Kommunisten wegen der Ermordung zweier Polizisten (man muß wohl sagen: deutscher Polizisten).

Ist es Zufall oder gar Recht, daß der Kommunist verurteilt wird, der deutsche Soldat frei davonkommt?

Die klare Antwort muß nein heißen und zeigt wieder einmal deutlich, wo die deutsche Justiz – überwiegend – steht.

(Insofern ist es auch kein Zufall, wenn sich jetzt der ehemals höchste Ankläger der Nation als Haider-Fan entpuppt.)

Bei beiden – vergleichbaren – Fällen ging es auch wesentlich um Fragen der möglichen Verjährung der Taten. Und obwohl historisch als auch juristisch nahezu alles dafür gesprochen hätte, den Wehrmachtsoffizier zu verurteilen und den Altkommunisten freizusprechen, hat es der BGH wieder einmal geschafft, das Gegenteil als Recht zu verkaufen, sogar unter Inkaufnahme von bewußt falscher Information der Öffentlichkeit und (wie beim ersten in Vergessenheit geratenen Deckert-Urteil des BGH) eines weiteren Verlusts an Glaubwürdigkeit der deutschen Rechtsprechung im Ausland.

Um zu einer Mielke-Verurteilung mehr als 60 Jahre nach der Tat zu gelangen, mußten die Gerichte in der Tat zahlreiche juristische Hindernisse aus dem Weg räumen. Von der Problematik der Verhandlungsfähigkeit über die Beweisführung (im wesentlichen ausschließlich aus alten Akten, auch aus der Nazi-Zeit) bis hin zur Frage der Verjährung (Mord oder Totschlag).

Aber während die deutsche Justiz bei der Verurteiliung von Linken, Kommunisten, Autonomen usw. noch jede Hürde genommen hat, scheut sie bei der Aburteilung rechter Kameraden.

Hier reichen nicht einmal historisch klar belegte Fakten, um eine Verjährungshemmung anzunehmen und somit zu einer Verurteilung eines Kriegsverbrechers zu kommen. Man bemüht vielmehr windige Gutachten, um dahin zu kommen, wo man hin will – zur Verjährung und somit zur Einstellung. Die Rechtsprechung des BGH ist kein Ausrutscher, sondern liegt in der unter anderem durch Heinrich Hannovers „Terroristen-Prozesse“ belegten ungebrochenen Tradition seit dem Kaiserreich.

Erstaunlich daher nicht die vom nordrhein-westfälischen Justiz-minister erst jüngst präsentierte wissenschaftliche Untersuchung, die belegt, daß vor 1945 etwa 80 Prozent der deutschen Richterschaft Mitglied der NSDAP war; nach 1947 waren 80 Prozent der deutschen Richter ehemalige NSDAP- Mitglieder.

Man fragt sich, was für schwarze-braune Socken eigentlich immer/noch/wieder an der Spitze der deutschen Justiz sitzen? K.-H. Bartens-Winter,

Düsseldorf