Laurie Penny über Feminismus: Frauen ist nicht erlaubt, rumzuvögeln

Die Journalistin beschreibt in ihrem neuen Buch, wie Frauen über ihre Sexualität kontrolliert werden und weshalb Liebe unsere neue Religion geworden ist.

Frauen zeigen sich selbstbewusst bei der Gay Pride in Sao Paulo. Bild: imago/Christian Franz Tragni

taz: Frau Penny, in Ihrem neuen Buch „Unspeakable Things. Sex, Lies and Revolution“ vergleichen Sie die Idee von romantischer Liebe mit der Religion, die Marx als „Opium fürs Volk“ beschrieb. Wie kommen Sie darauf?

Laurie Penny: Unser Verständnis der romantischen Liebe hat religiöse Qualität. Statt Gott sind wir einander treu. Als Frau, vor allem als junge, heterosexuelle Frau, ist es ketzerisch zu sagen, dass man nicht an dieses Konzept glaubt. Unsere Selbstbestätigung hängt davon ab, ob wir den perfekten Partner finden. Scheitern wir, so gelten wir gesellschaftlich als minderwertig.

Glauben Sie etwa nicht an die Liebe?

Ich glaube durchaus an die Liebe und die Romantik. Aber nicht so, wie uns täglich eingeredet wird. Ich lebe in einer Wohngemeinschaft mit Frauen und Männern. Wir sind nicht alle in Beziehungen, überlegen uns aber, wie wir gemeinsam Kinder aufziehen können oder die Finanzen organisieren. Meine Eltern haben kein Verständnis dafür, weil uns die Sprache für diese Liebes- und Lebensform fehlt. Aber wir benutzen für die Liebe ja auch nur ein einziges Wort. Die alten Griechen hatten verschiedene Ausdrücke für alle möglichen Formen der Liebe und daher auch andere Lebenskonzepte.

Alternative Wohnformen sind bekannte, alte linke Konzepte.

Der Feminismus ist wieder viel linker als in den 1990er Jahren. Wir müssen über den unsichtbaren und nicht diskutierten Teil des Systems sprechen. Der Arbeitsbegriff wurde in der Vergangenheit immer mit Produktiv- oder Fabrikarbeit gleichgesetzt. Das ist falsch. Denn die Arbeit von Frauen, die bezahlte und unbezahlte, die Reproduktionsarbeit und die emotionale Arbeit müssen gewichtet werden. Auch in der ökonomischen Theorie und in der linken Politik. Die Linke hat die Geschlechterdebatte total aus den Augen verloren. Sehr zu ihrem eigenen Schaden.

Wieso gibt es nur wenige Männer, die feministische Anliegen unterstützen?

Weil Feminismus nicht cool ist. Feministen müssen einstecken. Sie gelten als unmännlich im herkömmlichen Sinn und gehen ein Reputationsrisiko ein. Für Männer, die wirklich bereit sind, sich mit den Anliegen der Frauen zu identifizieren, habe ich unendlich Geduld. Denn sie zeigen wahren Mut und stellen die eigenen Privilegien in Frage.

Jahrgang 1986, ist britische Autorin, Journalistin, Bloggerin und Feministin. Bekannt wurde sie 2011 mit dem Buch „Meat Market“ (Fleischmarkt). Im Sommer dieses Jahres erschien ihr neues Buch „Unspeakable Things. Sex, Lies and Revolution“ . Die deutsche Fassung („Unsagbare Dinge“ ) erscheint im Februar bei Nautilus.

Sprechen wir über die Rolle der Männer in der Gesellschaft. Sie schreiben, Männer brauchen den Feminismus. Weshalb?

Männer sind oft unglaublich einsam. Täglich müssen sie beweisen, dass sie aus sich selbst heraus stark und mächtig sind. Sie sind in einer von feindlicher Männlichkeit geprägten Welt gefangen.

Feindliche Männlichkeit?

An Männlichkeit an sich ist grundsätzlich nichts falsch. Das Problem ist die vorherrschende soziale Konstruktion von Männlichkeit. Dort haben wir zunehmend einen Konflikt: Viele Männer möchten mit den Frauen auf Augenhöhe leben, das heißt verhandeln und auch mal zurückstecken, während sie in den dominierenden Männlichkeitsbildern noch immer die Helden der Geschichte sind: mächtige, unabhängige und starke Charaktere, die keine Niederlagen, sondern nur Erfolge erleben. Das ist verwirrend, weil sich dieses Bild nicht mehr mit der Realität deckt. Der Erfolg ist aber für viele Männer längst nicht mehr greifbar.

Feminismus wird heute als Schimpfwort verstanden, als männerfeindlich wahrgenommen. Neulich sagte einer zu mir: Nenn dich bloß nicht Feministin, sonst findest du keinen Mann.

Dieser Satz ist großartig. Genau deshalb nenne ich mich Feministin. Es regt die Leute auf, und diesen Dialog müssen wir führen.

In Ihrem Buch fordern Sie eine Meuterei der Frauen.

Ja, denn wir müssen verstehen, dass immer brav, nett und angepasst sein ein Spiel ist, das keine gewinnt. Und wenn die Hauptkritik am Feminismus lautet, dass Männer einfach keinen Feminismus mögen, entgegne ich, darum geht’s beim Feminismus nicht. Feminismus ist schließlich nicht dazu da, dass ihr euch gut fühlt. Wir müssen den Feminismusbegriff bewusst weiter verwenden, solange er stört.

Sie schreiben, die Frauen hätten Angst vor ihrer eigenen Wut.

Ja, das haben sie. Es gibt massive Probleme in unseren Leben als Frauen und als Queers. Persönlich, also in der eingeschränkten Art, in der es heute möglich ist, Frau zu sein, aber auch in den weiteren gesellschaftlichen Strukturen, sprich im Neoliberalismus. Dieses System funktioniert nur, weil wir Frauen auf der ganzen Welt die uns zugedachte Rolle wahrnehmen und ausgebeutet werden, indem wir unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit leisten.

Auch Sie selbst werden in der Öffentlichkeit und im Internet heftig angefeindet. Wie gehen Sie damit um?

Als exponierte Frau mit einer politischen Meinung wirst du sexistisch beschimpft. Man sagt dir, du hättest es herausgefordert. So, wie es heute wieder salonfähig ist, Frauen in kurzen Röcken zu mahnen: „Vorsicht, damit provozierst du die Männer.“ Wir müssen darüber sprechen, warum diese Argumentation scheiße ist.

Frauen in kurzen Röcken werden eben häufig begehrt. Ist dieses Begehren denn bereits sexistisch?

Nicht der Sex ist das Problem, sondern der Sexismus: wenn das Begehren einseitig ist und über eine Vergegenständlichung dazu führt, dass Frauen zu Objekten werden. Das ist meist der Fall, es ist nichts anderes als Unterdrückung.

Inwiefern?

Wir bemerken den Sexismus nicht mehr, weil unsere Gesellschaft glaubt, sie sei sexuell befreit. Wir sitzen hier in Soho, dem Quartier der Schwulen und der Sexarbeiterinnen. Aber selbst hier hat die sexuelle Revolution nie stattgefunden. Weil es den Frauen und den Queers nach wie vor nicht erlaubt ist, Begehren in der gleichen Art auszudrücken und auszuleben wie den Männern – und wahllos rumzuvögeln.

Daher der Buchtitel „Unspeakable Things“? Über Begehren dürfen nur Männer sprechen?

Genau. In einer ersten Version des Buchs hatte ich mehr Sex und Sexszenen drin. Ich habe alles rausgestrichen; mein Innerstes habe ich aus dem Buch rausgestrichen. Und mich später gefragt: Wieso habe ich das gemacht? Weil es einfacher ist, als Frau über sexuelle Gewalt zu sprechen, sogar über sexuelle Gewalt, die ich persönlich erlebt habe, als über meine positiven sexuellen Erfahrungen. Über uns Frauen wird viel schneller und härter geurteilt.

Weshalb werden Frauen stärker moralisiert?

Weil man uns über unsere Sexualität kontrolliert. Weibliche Sexualität wird immer problematisiert. Schauen Sie sich die Debatten über Verhütung und Abtreibung in den USA an: Es wird Krieg geführt gegen die freie Sexualität von Frauen. Weibliches Begehren hat keinen Raum in der politischen Diskussion. Frauen, die fordern und sexuell begehren, sind gefährlich.

Kommt daher auch der erbitterte Widerstand gegen die Prostitution?

Ja, wir sind beherrscht von der Idee, dass die weibliche Sexualität ein Verhandlungsdruckmittel sei. Sexarbeiterinnen drücken in dieser Vorstellung den Preis, weil sie Sex zu billig verfügbar machen. Sex ist etwas, was Männer den Frauen antun. In unserer gesellschaftlichen Vorstellung wollen wir aber nicht, dass es leicht ist, Sex zu haben. Wir alle müssen für Sex bezahlen, aber nicht mit Geld. Frauen handeln Sex gegen Wohlstand, Wohlbefinden oder Sicherheit. Die Prostitution bedroht diese gesellschaftliche Konzeption.

Ist es möglich, über benachteiligte oder stigmatisierte Frauen, also beispielsweise Sexarbeiterinnen, zu sprechen, ohne selbst betroffen zu sein?

Selbstverständlich kann ich über bestimmte benachteiligte Gruppen sprechen, solange ich nicht für sie spreche. Das ist der Vorteil am Internet: Wenn ich mich zu einer bestimmten Gruppe äußere, kann ich davon ausgehen, dass diese Leute zuhören und sich wehren. Schreibe ich etwas Falsches über Sexarbeiterinnen, melden die sich fünf Minuten später und sagen mir: Laurie, du bist eine Idiotin. Das ist es, was der Feminismus will. Nicht rumbrüllen. Nicht rumschreien. Sondern einen Dialog führen.

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