Muslime in Dresden: Vom Leben in der Defensive

Nach dem Mord an Marwa El-Sherbini mühten sich die Muslime Dresdens um ein besseres Verhältnis zu ihrer Umgebung. Doch dann kam Pegida.

Nein, das ist nicht die Haupt-Moschee von Dresden, sondern die ehemalige Tabakfabrik Yenidze, erbaut um 1908 Bild: imago/Johannes Koziol

DRESDEN taz | An jenem Morgen vor bald zwei Jahren sollte Khaldun Al Saadi die Moschee seiner eigenen Gemeinde herzeigen. Doch da wurde gebaut. Also ging der Sprecher des Islamischen Zentrums in Dresden zur Fatih-Moschee in Dresden-Cotta. Die Gemeinde ist mit seiner befreundet, sie ließ Al Saadi seine Führung dort machen. Er schloss auf, führte eine Schulklasse herum und erzählte ihr vom Islam. Über die Reste eines verkohlten Korans vor der Eingangstür sah er hinweg. Er habe, sagt er, damals nicht glauben können, was er gesehen hatte.

Was heute geschieht, ist nicht zu übersehen. Auch nicht wenn, wie an diesem Abend zwei Tage vor Weihnachten, die weltberühmte Semperoper ihre Außenbeleuchtung abgeschaltet hat. Normalerweise erhellen Strahler die Fassade. Jetzt will die Oper durch ihre Kulisse nicht noch adeln, was sich vor ihr auf dem Theaterplatz abspielt. Al Saadi steht am Rand, das Hemd blütenweiß, die Haare gegelt, das Jackett gedeckt. „Sachsen“, sagt Khaldun Al Saadi, „ist meine Heimat“. 1989 ist er in Karl-Marx-Stadt geboren, der Vater kam aus dem Jemen in die DDR. 2008 Abitur, heute studiert er Kommunikationswissenschaft in Leipzig. Wenn es nach ihm geht, soll sich sein Leben auch künftig hier abspielen. „Aber nicht, wenn mir jede Woche zehntausend Menschen auf der Straße grölend erklären, dass ich nicht hierher gehöre.“

Als er ihnen das erste Mal zugesehen hat, Anfang November, waren es wenige, 1000 vielleicht. Er wusste, dass es dabei nicht bleiben würde. „Ich bin die Generation 9/11“, sagt Al Saadi. Am Tag des Anschlags auf das World Trade Center war er in der fünften Klasse, „aber mit dem Verdacht lebe ich seitdem“. Der Verdacht lautet, dass der Grat zwischen seiner Religion, dem Islam, und dem Fundamentalismus schmal ist. Zu schmal. Und dass Muslime deshalb irgendwie gefährlich sind. Dafür steht Pegida. Menschen vom Gegenteil zu überzeugen, ist Al Saadis Aufgabe.

17.500 Menschen sind heute zur zehnten Pegida-Demo gekommen, schätzt die Polizei, so viele wie noch nie. Sie stimmen sich mit „Wir sind das Volk“-Rufen ein, die Wände des Residenzschlosses werfen den Schall zurück, der aufziehende Sturm dünnt ihn aus. Der Organisator Lutz Bachmann hat sich auf der Mitte des Platzes neben der König-Johann-Statue postiert, einen Baustellenscheinwerfer an sein Rednerpult geklemmt und einen kleinen Plastikweihnachtsbaum mit Neonlicht daraufgestellt. Zum Aufwärmen verteilt er die Negativpreise der Woche an die „Lügenpresse“. Platz drei: Sächsische Zeitung. Platz zwei: Spiegel TV. Platz eins: RTL. Jedes mal, wenn der Name eines Mediums fällt, buht die Menge, als zähle Bachmann islamistische Milizen auf.

Und dann: „Auch heute sind wieder Parteivorsitzende hierhergekommen, um unsere Bewegung zu vereinnahmen.“ Die patriotischen Europäer heulen, dass der Sturm für einen Moment zu schweigen scheint. Die „Systemparteien“ mögen sie nicht, mit der „Lügenpresse“ reden sie nicht. Miteinander schon. „Ich versteh‘ gar nicht, was wir hier machen, wir sollten bei den Kanaken vor der Tür demonstrieren, dann kapieren die das auch“, sagt ein Jungpatriot. „Habt ihr den Özdemir“ – sie meinen den Grünen-Vorsitzenden – „gehört, was der für eine Scheiße gelabert hat? Dem müsste man die Fresse polieren“, sagt ein anderer. Eine Gruppe hat ein Plakat mit der Aufschrift „Deutsch und frei, das wollen wir sein. Sachsenjugend“, mitgebracht. Als der als Neonazi verschriene Leipziger Ex-Bundespolizist Stephane Simone bei seiner Rede die Linken-Abgeordnete Juliane Nagel eine „blöde stalinistische Fotze“ nennt, klatschen die Leute.

Sie singen "Stille Nacht"

Dann singen sie „Stille Nacht“. Der Wind weht die leeren Glühweinbecher durch die Luft und drückt die leuchtenden Neon-Kreuze, die einige der Pegidisten in den Händen halten, nach hinten. „Das tut einem ja in der Seele weh“, sagt Al Saadi. „Das sind schöne, spirituelle Lieder. Aber die feiern hier nur Weihnachten, um dem Islam etwas entgegenzustellen.“

Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) hat nach Beginn der Pegida-Demonstrationen das Islamische Zentrum besucht. „Das war für uns ein wichtiges Signal des Vertrauens“, sagt Al Saadi. Und am 9. Dezember, da waren 9000 Menschen auf der Gegendemo des Bündnisses „Dresden für alle“, an dem auch das Islamische Zentrum beteiligt ist. Al Saadi twitterte: „Ich bin so stolz auf Dresden.“ Vielleicht so wie jetzt. An der Wand der Semperoper erscheint eine Projektion: „Menschenrechte sind nicht teilbar – Dresden für alle.“ Al Saadi war eingeweiht, aufgeregt tritt er von einem Bein auf das andere. Aber: Stolz auf Dresden? „Pegida ist nicht Dregida“, sagt er. Viele Demonstranten kämen von außerhalb. „Aber Dresden ist der optimale Standort, wenn man so was machen will.“ Es gebe hier nur wenige Muslime, 4000 schätzt er. „Muslimische Infrastruktur ist hier schwach ausgeprägt. Weil man sich im Alltag nicht begegnet, kann man nicht übereinander reflektieren.“ Stattdessen gebe es im Netz salafistische und muslimfeindliche Seiten. „Das vergiftet das Zusammenleben.“

Ist Pegida nicht eher ein sächsisches Phänomen, weil die Gegend so konservativ ist? Al Saadi schaut durch seine Brillengläser, als habe er diese Erklärung gerade zum ersten Mal gehört. Er sucht nach einer diplomatischen Erwiderung. „Interessante Hypothese“, sagt er dann. Aber nein, es sei „in meinen Augen primär ein mangelnder Kontakt im Alltag“.

Aufeinander zugehen

Seit Jahren bemühen sich die Muslime in Dresden darum, diesen Kontakt zu intensivieren. Am 1. Juli 2009 wurde die ägyptische Muslima Marwa El-Sherbini während einer Verhandlung im Landgericht Dresden erstochen. Ihr Mörder stand an jenem Tag vor Gericht, weil er die kopftuchtragende El-Sherbini zuvor als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft hatte. Der Mord war eine Zäsur für die Zivilgesellschaft in der Stadt. „Man hat sich danach bemüht, stärker aufeinander zuzugehen“, sagt Al Saadi.

Eine halbe Million Einwohner hat Dresden, drei Moscheegemeinden. „Moscheen der Mitte“, sagt Al Saadi. Der Stipendiat der Böll-Stiftung isst kein Schwein, trinkt keinen Alkohol, betet fünf Mal am Tag. Doch als vor zwei Jahren Salafisten in der Innenstadt Koranexemplare verteilen wollten, wandten er und seine Gemeinde sich öffentlich gegen die Aktion. Die Verteiler seien junge Muslime, die glaubten „nach einer Überdosis Online-Fatwa-Videos über Nacht zu ,Gelehrten‘ zu werden“, schrieb er damals. Sie wollten „keinen konstruktiven Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft“, sagt er heute.

Genau damit versucht er, Pegida entgegenzutreten. „Es bringt nichts, als ’die Anderen‘ im Diskurs zu stehen“, sagt er. Er erzählt von den Plänen seiner Gemeinde für Deutschkursen für Asylbewerber, der offenen Bibliothek, den Tagen der offenen Moschee, den Lehrerworkshops, den interkulturellen Trainings, der Ausstellung zu Integration, der Arbeit mit dem Ausländerrat. „Wir müssen zivilgesellschaftlich an Lösungen arbeiten. Aber man müsste hier schon zur Berufsminderheit werden, um den Bedarf zu decken.“

Ständige Rechtfertigung

Es ist der ehrenwerte, vielleicht verzweifelte Versuch, dem Irrsinn der Pegidisten mit ihren Deutschlandfahnen, ihren Weihnachtsliedern, ihrem Hass und ihrer Angst vor der Islamisierung ein rationales gesellschaftliches Angebot, eine soziale Verhandlungslösung entgegenzusetzen. Zugleich ist es Ausdruck eines Lebens in der ständigen Defensive, unter Rechtfertigungsvorbehalt: Wir gehören doch hierher. Wir sind doch konstruktiv. Wir passen uns doch ein. Wieso wollt ihr uns nicht?

Der Super-Gau für die Integrationsbemühungen kam am 30. September. Das ZDF-Magazin Frontal 21 berichtete, dass zwei junge deutsche Konvertiten aus dem Erzgebirge während des Ramadan im Islamischen Zentrum gebetet hatten, bevor sie nach Syrien aufgebrochen waren. In jenen Tagen war die Moschee für alle offen, sie prüfe „nicht die Religiosität des Einzelnen“, schrieb die Gemeinde später. Der Verfassungsschutz gehe davon aus, dass „Kontakte zur Muslimbrüderschaft bestehen können“, berichtete das ZDF. Die Gemeinde wies das zurück, der Verfassungsschutz bestätigte es auf Anfrage später nicht.

Feindliche Stimmung

Al Saadi ist jetzt etwas zurückgetreten, die Umstehenden sollen nicht alles mithören. Er steht zwischen zwei Polizeiwagen, das Licht vom Turm der Hofkirche fällt auf sein Gesicht, Bachmanns Reden sind hier kaum zu verstehen. Drei Jungs kommen dazu. Sie sollen in der Schule ein Referat über Pegida halten. „Wisst ihr, was die wollen?“ fragen sie. „Fragt sie doch selbst“, sagt Al Saadi. „Haben wir. Aber sie haben gesagt: ’Verpisst Euch‘“, sagt einer. Also gut. Al Saadi drückt seine Finger gegeneinander bis die Gelenke knacken, als müsse er sich kurz aufwärmen. „Die seit langem bestehende muslimfeindliche Stimmung hat sich in eine Marke verwandelt. Diese Marke ist Pegida“, sagt er. Und das Gefährliche daran sei: „Um der Allianz mit den Bürgern willen integrieren sich die Nazis hier“, sagt er und deutet auf die Menge. „So kriegt die Menschenfeindlichkeit ein bürgerliches Gewand.“

Die Folgen seien spürbar. Kopftuchtragende Frauen seien angespuckt und beschimpft worden. Manche Leute in Al Saadis Gemeinde „setzen ihre Hoffnung in das deutsche Recht und die Politik und denken, dass das nicht eskaliert“, sagt er. „Andere sagen: Gut, sie sind gegen mich, aber wenigstens nicht gegen meine Kinder, die sind ja deutsch.“ Aber das sei ein Fehler. Pegida stelle die Zugehörigkeit aller Muslime zur Gesellschaft in Frage. Das sei, er überlegt, „anmaßend“. Ein schwaches Wort. Er sagt: „Man will nicht wahrhaben, was sich da aufbaut. Und deswegen weiß man auch nicht, was man dazu sagen soll.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.