Stadtlandschaft mit Damenbein

Berlin im Film: Wiederaufführung des Ufa-Klassikers „Asphalt“ in Potsdam  ■ Von Robert Müller

Als der deutsche Stummfilm in den zwanziger Jahren die Großstadt als Sujet entdeckte, hieß sie – wenn nicht gleich „Metropolis“ – fast immer Berlin. Doch die Filme jener Tage zeigen nicht das reale Berlin, sondern das imaginierte Berlin der Filmarchitekten, die Vision einer Stadt, realisiert in Holz und Pappe. Den kühnsten dieser Entwürfe präsentierte der im März 1929 im Ufa-Palast am Zoo uraufgeführte Film „Asphalt“.

Am Beginn stehen einige in den Straßen des tatsächlichen Berlin gedrehte Einstellungen: ein dokumentarischer Anfang wird von einer sich authentisch gebenden Fiktion fortgeführt. Die reale und die fiktive Stadt werden im Kino zur filmischen Realität synthetisiert. Erst die Attrappe ermöglicht den Realismus: Der Filmarchitekt Erich Kettelhut errichtete auf dem Gelände der Ufa in Neubabelsberg eine Einkaufsstraße nach dem Vorbild der Leipziger Straße.

Diese bis dato größte Studiokulisse Europas ist Sujet und Schauplatz der spektakulären Anfangssequenz des Films, die dem Zuschauer die Stadt aus der Sicht der Passanten darbietet. Die Blickwinkel auf die Stadt werden multipliziert, und erst in der Vervielfältigung der Perspektiven wird die Stadt erfahrbar. Und doch wirkt das Bild der Großstadt einheitlich: als Straße, weil nie ein Horizont in den Blick gerät, und als Ensemble von Geschäften, Schaufenstern, Vergnügungsstätten, weil die Bewegung der Kamera, für die speziell ein Kranwagen entwickelt wurde, sie zusammenhält.

Großstädtisch ist in „Asphalt“ auch das Verhältnis von Exterieur und Interieur: Die Metropole endet nicht an den Fassaden, jedes Innen ist zugleich ein Außen. Neben dem Prinzip des Blickes von außen nach innen gibt es häufig auch die Umkehrung dieser Perspektive. So sehen wir mit einer Traube von Neugierigen einer jungen Frau zu, die im Schaufenster eines Geschäftes langsam einen Seidenstrumpf über eines ihrer attraktiven Beine streift. Im Gedränge stiehlt der junge Hans Albers Geld aus einer Handtasche. Die Kamera zeigt uns den Vorgang aus dem Fenster heraus.

Das Motiv des Diebstahls wird anschließend mit einer ununterbrochenen Kamerabewegung in das Interieur eines Juweliergeschäftes getragen. Dort bleibt die Großstadt aber nicht allein durch die Verdoppelung des Diebstahls gegenwärtig: der Straßenverkehr ist in einem Spiegel, die eilenden Passanten sind durch eine transparente Glastür sichtbar.

Die architektonische Struktur der Stadt findet sich auch in den Innenräumen wieder. Das luxuriöse Appartement der Juwelendiebin setzt den verführerischen Glanz des nächtlichen Boulevards fort. Der Verkehrspolizist, der die elegante Gaunerin verhaften soll, ist ebenso begierig, hinter die vielen Türen zu schauen, wie das Kinopublikum. Aus der Wohnung und den Fängen Betty Amanns gibt es für den Gesetzeshüter Gustav Fröhlich kein Entkommen. Wie eine Raubkatze springt die Schöne aus der Halbwelt den Polizisten an: der Helm landet auf dem Teppich, eine Hand krallt sich in seinen Schopf, ein nacktes Frauenbein gleitet an seinem Stiefel herab. In der Großstadt, dem Ort der Verführung, siegt die Erotik über das Pflichtbewußtsein, die Liebe über den persönlichen Vorteil.

Die Vorstellung von „Asphalt“ am Sonntag ist zugleich eine Premiere: Nicht die bekannte Version des Films wird zu sehen sein, sondern eine von Martin Koerber erarbeitete neue Fassung, die nicht nur in einem Moskauer Archiv entdecktes, bislang unbekanntes Material enthält, sondern auch einige wichtige Schnittänderungen aufweist und erstmals die rekonstruierten deutschen Zwischentitel präsentiert. Karl-Ernst Sasse hat für den Film eine neue Musik komponiert (die Originalmusik gilt als verschollen), die die Brandenburgischen Philharmoniker unter Leitung von Manfred Rosenberg aufführen werden.

„Asphalt“: 26. 2. um 20 Uhr mit orchestraler Begleitung im Potsdamer Hans-Otto-Theater