Auf dem Weg zur „Deutschen Haft-Anstalten AG“

In den USA ist es längst gängiges Bestrafungsinstrument: das private Gefängnis. Schleichend unterminiert der kommerzielle Knast schon heute das staatliche Gewaltmonopol in der Bundesrepublik  ■ Von Michael Lindenberg und Henning Schmidt-Semisch

In der kleinen ostwestfälischen Stadt Büren findet man eine Institution, die auf eine große Entwicklung hindeutet. Eine Justizvollzugsanstalt für Abschiebehäftlinge. Diese Entdeckung scheint auf den ersten Blick keineswegs aufregend, handelt es sich doch um einen gewohnten Teil der umstrittenen bundesdeutschen Ausländer- und Asylpolitik. Bei genauerer Betrachtung erblickt man jedoch Ungewohntes. Die JVA Büren wird von Wachleuten eines Sicherheitsunternehmens geschützt, der „Kötter Verwaltungsdienstleistungen GmbH & Co. KG“, Essen – und das ist noch ein Novum in Deutschland. Allerdings müssen diese Privatschützer stets zusammen mit einem staatlichen Justizvollzugsbeamten ihre Dienste erledigen. Denn Haftvollzug ist Vollzug staatlicher Gewalt, und das Gewaltmonopol liegt in den Händen des Staates. Es darf nicht von privaten Serviceunternehmen ausgeübt werden. Und so sind sie immer zu zweit – der staatliche Gewaltmonopolist und sein kommerzieller Helfer –, wenn sie den Gefangenen das Essen bringen, Kontrollgänge machen, Zellentüren auf- und zuschließen, Zellenrevision durchführen oder Gefangenentransporte begleiten.

Die Konstruktion ist in einer rechtlichen Grauzone angesiedelt, denn mit der „Doppelstreife“ wird das Gewaltmonopol normativ nicht angetastet, andererseits aber bereits faktisch unterhöhlt. Auch die Wahl der Vollzugseinrichtung „Abschiebehaft“ offenbart strategisches Geschick: Denn zum einen sind die nichtdeutschen Gefangenen mit einer äußerst geringen Beschwerdemacht ausgerüstet. Andererseits ist für diese Personen ohnehin wegen der Kürze der Inhaftierungszeit und der Sprachbarrieren keine „sinnvolle Vollzugsgestaltung“ möglich, wie es der Kriminologe Frieder Dünkel für die derzeitige deutsche Praxis beschreibt. Auf diese Weise haben sich auch in den USA privat betriebene Gefängnisse etabliert: Um den Strom illegaler Einwanderer aus der Karibik und Zentralamerika unter Kontrolle zu bekommen, griff der „Immigration and Naturalization Service“ Mitte der achtziger Jahre als erste staatliche Institution auf private Hafteinrichtungen zurück.

Doch nicht nur mit der Personalvermietung à la Kötter, diesem ersten deutschen Schritt zur Privatisierung des Betriebes von Haftanstalten, lassen sich bei uns bereits heute Vollzugsgeschäfte machen. Auch der Bau von Hafteinrichtungen lohnt die Investition. Und auch hier beginnt sich die deutsche der nordamerikanischen Situation anzugleichen. Der Werbeslogan der Firma „Rohloff Mobilheimbau GmbH“ aus Duisburg lautet ganz pragmatisch „Wir lösen Raumprobleme“. Die „Rohloff GmbH“ kann sich mit Fug und Recht als das erste deutsche Spezialunternehmen für den Bau von Hafteinrichtungen bezeichnen. 1993 stellte die Firma die Justizvollzugsanstalt (JVA) Wuppertal für 200 Abschiebehäftlinge fertig, im gleichen Jahr die für 84 Abschiebehäftlinge angelegte JVA Glasmoor. In einem „Modularbauweise“ genannten Verfahren stellt das Werk Container zu den benötigten Raumgrößen zusammen, die es verkauft oder vermietet.

Diesen Weg geht auch „Held Consultants & Partner“ aus Bergisch Gladbach. Zwar kann sie im Gegensatz zur „Rohloff GmbH“ noch auf keine in Deutschland fertiggestellten Haftanstalten verweisen, sondern lediglich auf Hausanlagen für Asylbewerber und Obdachlose. Doch dafür beeindruckt „Held Consultants“ mit einer Liste von in den USA von der „PBS Criminal Justice Design Building Group“ erstellten Referenzbauten – „Held Consultants“ vertritt die Interessen dieser Gruppe in Deutschland.

Auch andere nordamerikanische Gefängnisfirmen klopfen seit einiger Zeit verstohlen an die Türen der deutschen Justiz. So hat sich die „Prison Corporation of America“ schriftlich und umstandslos aus Washington an die Justizverwaltungen der Länder gewandt: „Wir helfen Landesregierungen in Deutschland, um der auch in Zukunft steigenden Wachstumsrate der Kriminalität und besonders der Gewaltverbrechen, der Jugend- und Kinderkriminalität auch nur einigermaßen gewachsen zu sein. [...] Deshalb unterbreiten wir vertrauensvoll Ihrer Regierung unsere kompletten Anstalts-Projekte mit sehr günstigen und langjährigen Pachtverträgen und sehr speziellen Dienstleistungen.“ Für den Fall eines Vertragsabschlusses kündigt die Gesellschaft schon heute an, eine „Deutsche Haft-Anstalten AG“ mit Hauptsitz Deutschland gründen zu wollen. Offensichtlich wurde ihre Initiative durch den Justizminister von Mecklenburg-Vorpommern ausgelöst, der sich für Privatgefängnisse ausgesprochen hatte und in dessen Bundesland nahe Rostock von einem privaten Investor mit ausschließlich privaten Mitteln ein Gefängnis errichtet wird, dessen erster und einziger Mieter schon feststeht: die Landesregierung.

Auch die Schweizer Aktiengesellschaft „Correctas“ mit Sitz in Kreuzlingen bekundete in einem Anschreiben an die Justizminister der Länder ihr Geschäftsinteresse am privaten Vollzug in Deutschland. Diesem Unternehmen steht der ehemalige Direktor der schweizerischen staatlichen Strafanstalt Thorberg in Krauchtal, Urs Clavedetscher, als Delegierter des Verwaltungsrates zur Verfügung. Er hat sich mit dem in der Baubranche tätigen Finanzberater Heinz Burgmer zusammengetan. Das Firmenziel besteht in Beratung, Planung, Bau, Betrieb, Finanzierung, Vermietung/Leasing und Sicherung von Strafanstalten in der Schweiz und in weiteren Ländern Europas. Sein Know-how schöpft der Betrieb aus den USA: „Die Spezialisten der Correctas Schweiz AG stehen in regelmäßigem Kontakt mit Verantwortlichen von privat geführten Strafanstalten in den USA, insbesondere mit der Wackenhut Corrections Corporation and Concept Inc., einem der größten privaten Gefängnisbetreiber, und haben so jederzeit Zugang zu aktuellsten Informationen.“ „Correctas“ läßt uns jedoch im unklaren, ob neben informatorischen auch wirtschaftliche Verflechtungen mit „Wackenhut“ bestehen. Das ist anzunehmen. Denn warum sollte dieses US-amerikanische Konsortium mit Geschäften in 40 Ländern und insgesamt 32.000 Angestellten der kleinen „Correctas“ aus der Schweiz den europäischen Gefängnismarkt überlassen?

Noch zögern die deutschen Gefängnisverwaltungen, auf solche umfangreichen Angebote einzugehen. Zu viele Dinge sind ungeklärt. Schließlich dringt man mit dem Gedanken der Privatisierung von Haft mitten in das Herz des staatlichen Gewaltmonopols ein. Da sind keine Ausweichkonstruktionen mehr möglich wie bei den privaten Sicherheitsdiensten. Deren Einsatz hat die Haus- und Jedermannrechte zur Grundlage, die einem jeden Bürger das Recht auf Notwehr, Selbstschutz und Nothilfe zugestehen. Darüber hinausgehende Befugnisse werden den privaten Wachdiensten nicht zugestanden. Daher können zur Zeit erst diese drei bereits genannten Stücke aus dem profitablen Haftkuchen herausgeknabbert werden: a) Vermietung von Personal, b) privates Investment, und c) Verkauf von Containern als Hafträumen. Das lohnt sich für die betroffenen Firmen, aber auch für die Verwaltungen der zuständigen Innen- oder Justizministerien: So vermietet Kötter sein Personal für weniger als 30 Mark brutto. Dafür würde kein Justizbeamter sein Frühstücksbrot ein- und schon gar nicht auswickeln. Beim privaten Investment muß die öffentliche Hand die neuen Haftplätze nicht selbst finanzieren, sondern lediglich Miete zahlen. Container schließlich sind kostengünstig und schnell aufgestellt und wieder abgebaut, je nachdem, wie es die politische Lage erfordert.

In den USA funktioniert diese Allianz aus administrativen und privatwirtschaftlichen Interessen schon heute hervorragend. „Knackige Werte“ betitelt das Blatt Capital in seiner Novemberausgabe einen Artikel zu den Wirtschaftsbetrieben der Bestrafung und beziffert den Umsatz der drei größten US-amerikanischen Gefängnisunternehmen (Esmor Correctional Services, Wakenhut und Corrections Corporation of America) auf eine Milliarde Dollar im Jahr. „Anteilseigner der führenden Knast-Gesellschaft Corrections Corporation, die auch im Berliner Freiverkehr gehandelt wird, verdienten in den vergangenen zwölf Monaten geradezu kriminell. Der Kurs der Knast-Aktie konnte sich mehr als verdoppeln. William J. Newman, der für das New Yorker Brokerhaus Kidder, Peabody Knast-Werte analysiert, erwartet ein Umsatzplus von mindestens 16 Prozent pro Jahr.“

Auch die Hamburger CDU hat den Braten gerochen und im Dezember letzten Jahres die Regierung der Hansestadt aufgefordert, die Kommerzialisierung von Gefängnisbauten und die Übernahme von Teilen des Anstaltsbetriebs durch Privatfirmen zu überdenken. Der Bericht des Senats soll bis Ende März vorgelegt werden.

Büren, Mecklenburg-Vorpommern, Wuppertal, Hamburg – an verschiedenen Orten greift die Privatwirtschaft in das staatliche Geschäft der Bestrafung ein. Doch wem nützen diese Allianzen? Dem Steuerzahler? Dem Inhaftierten? Der Entlastung des Justizsystems? Man sollte im Auge behalten, daß im Mutterland der neuen privatwirtschaftlich organisierten Bestrafung, den USA, bereits 1991 1,2 Millionen US-Bürger inhaftiert waren. Das heißt, von 100.000 Bürgern befanden sich 504 in Haft; zum Vergleich: Schleswig-Holstein weist derzeit eine Gefangenenziffer von circa 44 auf. Die Zahl der Eingesperrten nimmt in den USA weiterhin zu.

Private Gefängnisse, seit Mitte der achtziger Jahre in Nordamerika im Einsatz, haben diesen volkswirtschaftlich teuren Trend nicht bremsen können. Im Gegenteil. Für die Gefängnisindustrie sind das profitable Zahlen. Sie besagen, daß neue Haftplätze gebaut werden müssen. Und das kann der schwerfällige, bürokratische Staat niemals so billig, schnell und flexibel wie private Anbieter. Ähnliche Argumente hört man auch von fortschrittlichen Gefängnisreformern, die vermuten, mit einer Kommerzialisierung könnte auch eine Humanisierung in die Gefängnisse einziehen: schönere Räumlichkeiten, bessere Freizeitmöglichkeiten, vielleicht sogar die schon lange geforderte tarifliche Entlohnung der Gefangenen. Denn die Privatunternehmer bieten ja eine kommerzielle Dienstleistung an. Wird der Gefangene da nicht zu einem Kunden, gefangen zwar, aber doch mit allem versorgt, was eine Dienstleistungsgesellschaft zu bieten hat?

In den USA ist bereits eine ideologische und praktische Wahlverwandtschaft zwischen den privaten Profitinteressen und dem Inhaftierungswillen der Gesellschaft entstanden. Sie hat sich über zehn Jahre administrativ, personell und finanziell gefestigt. Und es sind nicht zuletzt die Gefängnisreformer, die dem Strafvollzug als Dienstleistungsunternehmen das Wort reden und damit diesem Bündnis die Argumente an die Hand geben. In Anlehnung an den von Eisenhower bereits in den sechziger Jahren geprägten Begriff des „Militärisch-Industriellen Komplexes“ läßt sich dann von einem „Bestrafungsindustriellen Komplex“ sprechen. Viele Personen bewegen sich schon jetzt in einem Dreieck mit den Eckpunkten von Justiz, Privatunternehmern und professionellen Interessenorganisationen und verkaufen hier ihre Arbeitskraft nach Belieben.

Es gibt keine Gründe anzunehmen, daß die Entwicklung in Deutschland anders verlaufen wird, sollte der beginnenden Austrocknung des staatlichen Gewaltmonopols nicht Einhalt geboten werden. Das soll nicht heißen, daß es gut ist, wie es ist. Aber es soll heißen, daß privates Investment das Ausmaß, in dem in unserer Gesellschaft Leidzufügung durch Einsperrung organisiert wird, noch vergrößern wird. Denn an der Ausweitung der Einsperrung werden diese Gruppen ein ausgeprägtes Interesse haben.

Gegenüber der Öffentlichkeit werden die Partner in den neuen Allianzen vor allem einen guten Grund für die Privatisierung vorzubringen wissen: Privatwirtschaftliche Interessen und Investitionen in der „Gefängnisbranche“ schaffen Arbeitsplätze. Ist diese Entwicklung erst einmal ins Rollen gekommen, läßt sie sich nur sehr mühsam wieder stoppen. Was in den Ökologie- und Abrüstungsdebatten der 70er und 80er Jahre vorgebracht wurde, könnte sich im Jahr 2000 wiederholen: In Deutschland darf dann nicht mehr auf den Neubau von Gefängnissen verzichtet werden, weil zahlreiche Arbeitsplätze mit jedem Knast einhergehen. Eine gesunde Bestrafungswirtschaft braucht eine kranke Gesellschaft. Nur so bleiben ihre Aktienkurse stabil. Sollte sich also die Privatisierung der Bestrafung durchsetzen, braucht die Bundesrepublik Kriminalität mehr denn je – schon aus privatwirtschaftlichen Gründen.

Die Autoren sind Mitarbeiter am Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie der Universität Hamburg