Ein Dorf am Rande der Republik

■ Ideen zum alternativen Altern gibt es genug, die Umsetzung ist aber schwierig / Die Frauengruppe „Offensives Altern“ kämpft schon seit zehn Jahren für ihre Vorstellungen

Auch beim Älterwerden wollen sie alles anders machen als ihre Eltern: Die scheinbar ewig jungen Linken der Sechziger, Siebziger und Achtziger sind schon dabei, sich auf ein Leben nach der Rebellion vorzubereiten. Anders als die Generation vor ihnen diskutieren sie ihre Zukunft. „Dasitzen und uns erzählen, weißte noch, damals in SO 36 auf der Demo, wollen wir jedenfalls nicht“, sinniert der 42jährige Friedel Rohde, Versicherungsberater und daher schon beruflich mit Altersvorsorge befaßt. Als er vor ein paar Monaten seinen Vater ein Altersheim beziehen sah, wurde er aktiv: Von 40 Freunden und Bekannten, die er spontan wegen gemeinsamer Planung des Lebensabends anschrieb, antworteten 25.

Wenig später zog sich die Gruppe zum kollektiven Brainstorming für ein Wochenende aufs Land zurück, diskutierte, hinterfragte und erörterte. Gemeinsamer Nenner war die Angst vor der Vereinsamung, der Horror davor, in einem Altersheim verwaltet zu werden und nicht zu wissen, was man tun solle. Rechtzeitig wollen die, die sich als „linksintellektuell“ bezeichnen, jetzt dafür sorgen, daß sie auch im Alter mit Leuten leben, die „aus der gleichen Sozialisation kommen wie wir“. Die heftigsten Debatten drehen sich um die Frage „Wohin im Alter?“ – „Manche wollen aufs Land, andere lieber in der Stadt bleiben“, erzählt Rohde. Nur im übertragenen Sinne sind sie sich einig: Ein „Dorf am Rande der Republik“ wollen sie gründen. „Auch wenn es nur zehn Häuser sind.“ Dort sollten alt und jung miteinander leben und sich gegenseitig bereichern. Manche wollen gleich ein ganzes Seminarzentrum gründen. Außerdem müsse darauf geachtet werden, daß ambulante Dienste greifbar seien.

Vor dem Beginn der fieberhaften Suche nach einem geeigneten Objekt stehen in alter WG-Tradition weitere Diskussionen. Rohde fürchtet, daß der „Stadt-Land- Konflikt“ als Spaltpilz wirken wird: „Vermutlich wird es eine Stadt- und eine Landfraktion geben, und am Ende werden wir uns trennen.“ Wenn die Grundlagen diskutiert sind, wird vielleicht alles sehr schnell gehen. „Einige haben vorgeschlagen, jetzt schon zusammenzuziehen“, erzählt Rohde. Schließlich falle es ihnen jetzt leichter, ihren Kiez zu verlassen als in 25 oder 30 Jahren.

Für die Mitglieder von „Brückenschlag“, einem Neuköllner Verein für „Generationenverbundenes Wohnen“ wird es bereits ernst. Vor drei Wochen feierte das „Hofje“ in Buckow Richtfest. Nach niederländischem Vorbild sollen dort rund um einen Innenhof noch in diesem Jahr 15 Wohnungen unterschiedlicher Größe von Menschen aller Altersstufen bezogen werden. Eine Alleinerziehende mit fünf Kindern soll ebenso einziehen wie Ehepaare und ältere Alleinlebende. Ein Teil der Wohnungen ist behindertengerecht ausgebaut.

Bereits 1989 entstand der Verein aus einer Veranstaltung zum Thema „Wohnen im Alter“ des Mietervereins Kreuzberg. „Warum soll denn immer nur Alt zu Alt kommen, haben wir uns gefragt“, erzählt Charlotte Oberberg, eine der GründerInnen. Menschen verschiedenen Alters unter einem Dach könnten sich doch gegenseitig helfen. Für die Betreuung von Schwerstpflegefällen sollen Sozialstationen beschäftigt werden. Und der Innenhof soll nicht nur von den BewohnerInnen als Gemeinschaftsraum genutzt werden. Gedacht wird unter anderem an ein Projekt für Lücke-Kinder im Alter zwischen 12 und 14 Jahren.

Wie schwer durchsetzbar unorthodoxes Altern außerhalb der anonymen Heime immer noch ist, hat insbesondere die Frauengruppe „Offensives Altern“ zu spüren bekommen. Über zehn Jahre haben die 28 Frauen im Alter von 30 bis 80 Jahren für die Verwirklichung eines generationenübergreifendes Frauenwohnprojekts gekämpft. Im Juli kam der Durchbruch, 1995 ist Baubeginn in Britz. Einigen Frauen, die seit der Vereinsgründung 1977 gekämpft hatten, nützt das nichts mehr. Zwei sind bereits gestorben, zwei weitere mußten aus gesundheitlichen Gründen bereits in traditionelle Altenwohnungen ziehen.

Unter dem „Forum für gemeinschaftliches Wohnen im Alter“ versammeln sich bisher fünf Gruppen auf der Suche nach alternativen Wohnformen. Tel: 253 112 71