Ströbele über NSU-Auflklärung in Hessen: „Es gibt viele offene Fragen“

Die Grünen in Hessen blicken skeptisch auf den dortigen NSU-Untersuchungsausschuss. Hans-Christian Ströbele widerspricht seinen Parteifreunden.

Fordert mehr Aufklärung: Hans-Christian Ströbele Bild: dpa

taz: Herr Ströbele, Ihre Parteifreunde in Hessen setzen keine großen Erwartungen in den dortigen NSU-Untersuchungsausschuss. Die Begründung: Mit denselben Zeugen und denselben Akten könne man kaum viel mehr Erkenntnisse erzielen als seinerzeit der Untersuchungsausschuss im Bundestag. Teilen Sie diese Sicht?

Hans-Christian Ströbele: Nein. Es geht doch um weitere Zeugen und Akten. Der Ausschuss ist erforderlich. Ich war stets dafür. Es gibt in Hessen viele offene Fragen, die aufzuklären sind. Das sehen die ehemaligen Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag wohl parteiübergreifend so.

Aber wie sollen die hessischen Abgeordneten über die bekannten Fakten herauskommen, wenn sie weder neue Akten noch neue Zeugen zu Gesicht bekommen?

Wir hatten im Bundestag nicht alle Akten. Wir haben auch nicht alle Zeugen gehört. Uns fehlte die Zeit dafür. Der hessische Verfassungsschutz hat mit dem V-Mann-Führer Andreas T. eigenartig agiert, nachdem bekannt wurde, dass dieser in Kassel zur Tatzeit am Tatort war. Eine Vorgesetzte traf sich mit T. fast konspirativ zum Bericht an einer Autobahn-Raststätte. Das ist schon merkwürdig. Diese Beamtin haben wir im Bundestag nicht befragt. Auch nicht den V-Mann aus der rechten Szene, der kurz vor dem Mord mit T. telefonierte.

Worin sehen Sie die Hauptaufgabe des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses?

Um Konsequenzen aus dem Versagen des hessischen Verfassungsschutzes zu ziehen, muss man doch wissen, was genau war und welcher Geist dort herrschte. Nach bisherigen Erkenntnissen hat der Verfassungsschutz die Polizei und die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung der NSU-Mordserie eher blockiert.

Das Landesamt in Wiesbaden war auch gegenüber dem Untersuchungsausschuss im Bundestag nicht immer hilfreich und überzeugend. Ich hatte bis zuletzt den Eindruck, für die Zeugen aus dem Amt geht Quellenschutz immer noch vor – sogar vor Aufklärung eines Mordes.

75, ist Rechtsanwalt und seit 1998 ununterbrochen Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Er saß im NSU-Untersuchungsausschuss des Parlaments. Ströbele ist zudem das dienstälteste Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) des Deutschen Bundestages zur Kontrolle der Geheimdienste.

Wie erklären Sie sich den geringen Aufklärungseifer Ihrer hessischen Parteifreunde?

Ich weiß nicht, ob es so ist. Dann liegt es vielleicht an Gesetzmäßigkeiten von Koalitionen. Das kenne ich. Es gibt leider Probleme in Koalitionen, wenn Grüne beteiligt sind und der Koalitionspartner keinen Untersuchungsausschuss will. In Hessen kann hinzukommen, dass sich Innenminister Bouffier seinerzeit sehr weit aus dem Fenster gelehnt und vor den Verfassungsschutz gestellt hatte. Er hat damit verhindert, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Arbeit tun konnten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.