Kunstprojekt Der Mann: Am Winter stört die Kälte

Die Türen heißen jetzt „Der Mann“: Das Berliner Trio verhandelt auf dem Album „Wir sind der Mann“ Identitäten und spielt sich ins Zitatdelirium.

Gemorphte Gesichter verschmelzen zu „Der Mann“. Bild: Staatsakt/Promo

Es war eines der überraschendsten Alben eines mäßigen Popjahrs, bekam aber bei seiner Veröffentlichung Ende Dezember 2014 leider nur halb so viel Aufmerksamkeit, wie es verdient gewesen wäre. Maurice Summen, Ramin Bijan und Gunther Osburg, die drei Gründungsmitglieder der Berliner Band Die Türen, hatten sich für ein neues Konzept neu erfunden: Der Mann.

Auf ihrem Debütalbum „Wir sind der Mann“ verhandeln sie nicht nur Männlichkeit, sondern auch Identität und loten aus, welche Möglichkeiten der Popmusik bleiben, Kreativität und Innovation darzustellen. Nun tragen sie ihr Konzept als „Die Türen spielen Der Mann“ auf die Bühnen.

Popmusik wiederholt sich. Faktisch ist die Anzahl von Noten zwar endlich, die Möglichkeiten, sie zu kombinieren und zu variieren – und das macht ja ihre Schönheit gerade aus – allerdings nicht. Einerseits drehen sich viele Diskussionen in der Musikindustrie um die Frage nach den Traditionen, also wer von wem inspiriert wurde. Auch wenn Technik seit Jahrzehnten immer neue Möglichkeiten der Zitation an die Hand gibt, heißt das nicht, dass die ProduzentInnen diese kreativ umsetzen.

Zumindest liegt der Schluss nahe, wenn man sich Charts anschaut. Denn – andererseits – braucht es Standards und Wiedererkennungswert, um erfolgreich zu sein. HörerInnen artikulieren den Wunsch nach Neuem und reagieren mit Wertschätzung, konsumieren mit Vorliebe aber Musik, die sie schon kennen.

Der Mann: „Wir sind der Mann“ (Staatsakt/Roughtrade)

live: 19.2. Molotov, Hamburg, 20.2. Lido, Berlin; 26. 2. Druckluft, Oberhausen; 27. 2. Gebäude 9, Köln; 28. 2. Hafen 2, Offenbach

Crossmediales Gesamtkunstwerk

Nachdem Summen, Bijan und Osburg 2002 Die Türen gestartet haben, gründeten sie aus Unzufriedenheit über die fehlende Wertschätzung durch Plattenfirmen einfach ihr eigenes Label Staatsakt. Bis heute ist Staatsakt ein Hort für Künstler und Künstlerinnen, die Pop so kritisch wie ironisch distanziert gegenüberstehen. Als sich dieselben drei Musiker nun zu Der Mann zusammentaten, holten sie außerdem den Berliner Maler Helmut Kraus und eine 3-D-Animationsfirma mit ins Boot – und machten ihr Projekt zu einem crossmedialen Gesamtkunstwerk.

Aufwändig gestaltete Cover und animierte Musikvideos lassen die drei tatsächlich zu einer Kunstfigur verschmelzen, indem auch die Gesichter der Bandmitglieder so gepuzzelt oder in Öl gemalt werden, dass aus ehemals dreien eins wird. So ist auch der Plural im Titel des Albums konsequent: „Wir sind der Mann“. Dies formuliert bewusst keine Frage, sondern suggeriert eine Antwort und unterstreicht, dass es ums Austesten der eigenen Identität und damit auch um Verortung im Popdiskurs geht.

Das bedeutet auch, herauszufinden, was man als Band geben kann. 2012, auf dem bisher letzten Türen-Werk „ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“, war Gunther Osburg wegen beruflicher Verpflichtungen verhindert. Auch die anderen beiden Mitglieder erfüllen „nebenher“ andere Aufgaben, die das Konzept Musikmachen als Gesellschaftskommentar erschweren.

Mangel an Freizeit

Seinerzeit kulminierte dieses Grundproblem in den Songs „Rentner und Studenten“ und „Dieses Lied“, das eine Universalopposition formuliert und dafür einen Katalysator sucht – politischer Aktivismus, der sich den Schwierigkeiten künstlerischer Lebensentwürfe bewusst ist. Das Problem heißt Mangel an freier Zeit.

In einer differenzierten, individualisierten Gesellschaft, in der Generationen heranwachsen, denen mehr Möglichkeiten als je zuvor offen stehen, greift Der Mann auf Vereinfachung zurück. Gerade in der gelungenen Selbstvorstellung „Ich bin ein Mann“ ergeht sich das Bandprojekt in Parolen der Austauschbarkeit: „Was mich am Winter stört, ist die Kälte / Was mich an Gipfeln stört, ist die Höhe“. Im Refrain fehlt der für eine sinnvolle Definition erwartete Relativsatz, es bleibt bei der Feststellung: „Ich bin ein Mann“.

Besoffen vor Allgemeinplätzen

Lässt man den Finger weiter durch die Titelliste gleiten, strotzt diese nur so vor Allgemeinplätzen. Der Mann suhlt sich geradezu in geflügelten Worten wie „Die Sache spricht für sich“ und „Jeder Mensch will was Besonderes sein“, ohne zu klären, was eigentlich „Sache“ ist oder was „besonders“. Indefinitpronomen wie „jeder“ und „man“ scheinen symbolisch: Sie dienen zum Verweis auf Dinge oder Individuen, deren Identität unbestimmt ist.

„Es ist egal, ob du dabei bist oder nicht“ – die Identität von Der Mann könnte schließlich auf dieser Suche nach Identität nicht weniger bestimmt sein, genau wie die drei Künstler in ihren Rock-’n’-Roll-Avataren nicht auseinanderzuhalten sind: In den Figuren Ray Mann, George Mann und Berthold Mann werden sie zu einem Mann, einem Prototyp. Musikalisch ist dieses Konzept so schlau gelöst, wie selten ein Album aus dem Zitatdelirium, der Popmusik, daherkommt: durch noch mehr Zitate. „Der Mann“ kann als Katalog des gängigen Poprepertoires gelesen werden, intelligent ironisiert: nicht nur das Selbstfindungsstück, das gar keines ist, weil es sich in Vagem ergeht.

Auch die Ballade über das Verlassenwerden referiert die Emotionslosigkeit der Internetwelt und ersetzt Gefühle durch ein „OMG“. Die popsoziologische Studie über das Reformhaus zielt auf Verdauungsmechanismen, das Ganze erzählt anhand eines Spielens mit einem Klassiker der Animals (“The Rise of the Reforming House“). So klingt auch die Musik nach einer Wiedergabe von Dagewesenem: Maßgeblich von anregenden Gitarrenriffs und Keyboardstabs und einem fordernden Schlagzeug geprägt und nicht zuletzt den Sound der Neuen Deutsche Welle und den Gesangstil eines Rio Reiser anrufend, rockt die Band auch mal schwelgerisch, ruhig mit existenzialistischen E-Piano-plus-Gitarre-Hooklines.

Seltsam und intelligent

Spricht man hier von Typen, ist das natürlich doppeldeutig zu verstehen. Das angesprochene Selbstvorstellungsstück endet in kitschigen Synthesizermelodien und romantischem Klavier. Die vormals als die eines Mannes identifizierte Stimme wird ins Kindliche und Unschuldige verzerrt, der Text bleibt gleich: „Ich bin ein Mann“. Spätestens jetzt ist zu ahnen, hier wird tatsächlich auch Männlichkeit verhandelt, vielmehr die Frage gestellt, was es überhaupt bringt, sich als Mann zu definieren. Das Selbstverständnis als Mann, das bei dieser Band so zentral zu sein scheint, ist nicht mehr individuell identitätsstiftend, sondern bloß eine Folie, und spricht damit genau das an, was schon 2012 von den Türen gesucht wurde: „Dieses Lied braucht dich.“

Bei den nun anstehenden Konzerten erweitert sich Der Mann folgerichtig um weitere Akteure. Für „Die Türen spielen Der Mann“ sind außerdem Chris Imler und Andreas Spechtl, die auch zur aktuellen Türen-Besetzung gehören, sowie Carsten „Erobique“ Meyer verpflichtet. Diese Erweiterung lässt mehr erwarten, als nur eine Türen-Allstar-Veranstaltung, nämlich vielversprechende Soloperformances. Genau das, was seltsame und intelligente Popmusik heute sein kann.

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