Memoiren von Conchita Wurst: Hof halten im Soho House

ESC-Königin Conchita Wurst stellte in Berlin ihre Memoiren vor. Sie plauderte über den Geruch von Prominenten und zeigte sich politisch selbstbewusst.

Würde auch in Moskau auftreten: Conchita Wurst bei ihrer Buchpremiere in Berlin. Bild: dpa

BERLIN taz | Um das Haar in der Suppe gleich zu benennen: „Rise Like A Phoenix“ war kommerziell nicht der stärkste Titel des letzten Eurovision Song Contest. Klang wie ein James-Bond-Soundtrack und empfahl sich für einen zukünftigen Film mit Daniel Craig etwa, ganz in den Spuren, die Shirley Bassey (und Sean Connery) hinterließen. Die niederländischen Common Linnets und ihr „Calm After The Storm“ waren radio- und charttauglicher. Doch Conchita Wurst, mit bürgerlichem Namen Tom Neuwirth, wurde zur Celebrity. Jetzt stellte sie in Berlin ihre Memoiren vor.

Sie weiß natürlich um die Ambitioniertheit, Lebenserinnerungen zu verfassen, wenn man selbst erst 26 Jahre jung ist: „Die Idee für meine Biographie wurde an mich herantragen. Ich dachte, wie anmaßend ist das denn, das auf den Markt zu werfen. Aber ich bin nicht beratungsresistent und habe mir erklären lassen, wie das gehen könnte. Wichtig war mir, dass es viele Bilder enthält. Ich konsumiere am liebsten Bücher mit vielen Bildern. Vier Tage habe ich meinem Ghostwriter meine Geschichte erzählt. Auf das Ergebnis als Buch bin ich jetzt stolz.“

Conchita Wurst darf das sagen, ihr Leben als ESC-Siegerin von Kopenhagen hat ihr ein Dauerabo auf den Catwalks der Welt beschert, politischen wie jenen in der Welt des Entertainments. Jean-Paul Gaultier, Karl Lagerfeld, Vivienne Westwood, Ban Ki-mun, EU-Parlament, Arte-Doku... Keine andere ESC-Siegerin der vergangenen Jahrzehnte hat so sehr die Kriterien der Macht im Popbusiness zu erfüllen, ja, auszufüllen vermocht.

Ganz Künstlerin im Alltagsbewusstsein beschreibt sie diese Zeit so, etwa über den Geruch von Promis: „Karl Lagerfeld und Vivienne Westwood riechen beide wie meine Oma – aber ich muss sagen, meine Oma riecht nicht, sondern duftet. Es hat etwas von Minze, von Frische und Schönheit.“ Und zu Prominenten überhaupt: „Sie sind so normal, so absolut im Alltag. Man steht neben ihnen und alles ist nicht mehr aufregend. Dass sie auf einem Podest stehen, ist weg. Sie lassen einen keine Chance, darüber nervös zu werden. Vivienne Westwood ist eine sehr lustige, selbstironische Person. Und Karl sagte nur: 'Oh, das ist ja ganz großartig, wir können ja Deutsch miteinander reden.'“

Conchita Wurst: „Ich, Conchita - Meine Geschichte. We are unstoppable“, LangenMüller, München 2015, 192 Seiten, 20 Euro.

„We are unstoppable“

Gossip, gern überlieferter Tratsch aus den Dekadenzwelten des Westens – der übrigens ausführlich, mit kommentierendem Schauder von den TV-Kollegen von Russia Today aufgezeichnet wurde. Man stellt sich vor, dass die ihrem Publikum (nicht nur) in Russland sagen: Hier ist die Figur, die wir fürchten, aber hier erkennen sie, wie belastend und entwürdigt ein Leben als Luder ist.

Ob sie sich ein Konzert denn in Russland vorstellen könne? Na klar! „Ich habe dort eine Riesenfanbase, das weiß ich – und natürlich würde ich in Moskau oder sonstwo in Russland auftreten. Und, nein, ich würde nichts anders machen, wenn ich dort wäre: We are unstoppable.“

Das darf man selbstbewusst nennen. Eine Haltung, die leicht in fahrlässige Überheblichkeit münden könnte. Aber Conchita Wurst ist klug genug, das politische Bewusstsein, das ihr eigen ist wie niemandem im Entertainmentsektor, dosiert einzusetzen. Über Putin äußerte sie kürzlich, er habe bestimmt auch eine gute Seite. Auf so eine Pointe – denn damit benennt sie das schwärzlich Verschattete der russischen Politik kälter als jede diplomatische Note – muss man erstmal kommen.

Demnächst erscheint, erfahren wir in jener Location – dem Hotel Soho House in Berlin - , in der schon Madonna mit ihrem Tross residierte, das Album. Die neue Single „You Are Unstoppable“ ist in dieser Hinsicht ein extrem bombastisch gezuckerter Appetizer. Donnerstagabend wird sie beim deutschen Vorentscheid für den ESC 2015 in Hannover auftreten. Sie wird die Quote befördern. Denn ihr ESC-Siegeslied mag nicht stark verkauft worden sein, aber: Millionen huldigten ihr – und das wird sich, ausweislich ihrer fein verfassten und wirklich klugen Biographie mit dem Titel „Ich – Conchita“, auch in Zukunft nicht ändern.

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