Aktivist Lühr über Wahl-Verweigerung: „Nichtwähler-Bashing ist platt“

Die Initiative Wahlabsage setzt sich für die Nichtwähler ein. Mitbegründer Hartmut Lühr über unfaire Kritik, das kranke politische System und Volksentscheide.

Auch ein Nichtwähler: vor einem Wahllokal. Bild: dpa

taz: Herr Lühr, was haben Sie gegen das Wählen?

Hartmut Lühr: Überhaupt nichts. In meinen Augen sind Wähler völlig gleichwertige Menschen. Ich habe allerdings etwas gegen den Umgang mit Nichtwählern, aber da können die Wähler ja nichts dafür. Die Öffentlichkeit jedoch sehr wohl.

Inwiefern?

Damit meine ich auch die Medien. Das Nichtwähler-Bashing ist so platt und plakativ. Da werden Nichtwähler als dumm und politisch extrem dargestellt. Das wurde mir irgendwann zu viel. Die Initiative Wahlabsage wendet sich gegen unfaire Kritik und setzt sich ein für den Typus des bewussten Nichtwählers – davon gibt es viel mehr als man denkt.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Wir hatten zahlreiche Diskussionen im Tacheles, einem ehemaligen Kunst- und Veranstaltungszentrum in Berlin-Mitte, und die waren durchaus gut besucht.

Warum wählen Sie nicht?

Weil das politische System nicht reformwillig ist und man es nicht besser macht, wenn man alle vier Jahre eine Pseudo-Legitimation schafft. Wahlverweigerung ist ein Mittel, das Menschen wie mir zur Verfügung steht.

44, der Mediensoziologe kommt aus Hamburg, war im ehemaligen Kunsthaus Tacheles in Berlin aktiv und ist Mit-Initiator der satirischen Initiative Wahlabsage.

Aber es heißt doch gerne, dass man so letztlich die rechten Parteien unterstützt.

Das war eines der ersten Argumente, mit denen wir uns auseinanderzusetzen hatten, es kam immer wieder. Empirisch ist es jedoch überhaupt nicht bewiesen. Mit dem Erscheinen der AfD verstummt diese Kritik auch. Weil viele Linke jetzt ganz froh sind, wenn Leute ihr Kreuz nicht bei dieser Alternative machen.

Was bedeutet es für Sie, die Wahl zu haben?

Voraussetzung wäre eine ehrliche Diskussion darüber, woran das politische System krankt. Dass sich der politische, mediale, gewerkschaftliche und auch der Lobby-Komplex vom Rest der Gesellschaft entfernt hat, dürfte unverkennbar sein. Das System der parlamentarischen Demokratie ist auch für meine Initiative alternativlos. Aber über Modernisierungen zu diskutieren wäre eine Voraussetzung dafür, wieder wählen zu gehen.

Was fordern Sie konkret?

In Bremen kumuliert und panaschiert man seit 2011, wie in Hamburg auch: Das war vor sieben Jahren eine unserer konkreten Forderungen, damit man von der Listen-Diktatur der Parteien wegkommt. Als Einzelmaßnahme bleibt das aber lediglich Kosmetik, die zudem zu spät kommt: Der Zug ist längst abgefahren.

Warum waren Sie dann dafür?

Das war eine von mehreren Anregungen, grundsätzlich sind wir schon dafür. Von unseren Forderungen war das aber die schwächste, die am wenigsten weh tut.

An welchem Punkt gehen Sie weiter?

Die Partei der Nichtwähler, die nun leider in Bremen nicht antritt, fordert die Beschränkung der Mandatsdauer, mehr Volksentscheide und die Aufhebung des Fraktionszwangs. Das sind drei konkrete Punkte, über die man diskutieren sollte. Das bestehende System ist aber so dermaßen sakrosankt, dass man da offenbar nicht drüber nachdenken soll.

Glauben Sie, Volksentscheide ändern das?

Sie sind kein Allheilmittel, aber es findet ja noch nicht mal eine Diskussion darüber statt. Gegen unseren Slogan „Mehr Demokratie – weniger Politik“ kam viel Kritik, wobei die Medien noch interessiert waren, aus der Politik und vor allem von den Jugendorganisationen kam aber ganz schön Gegenwind.

De facto spricht der Rückgang der Wahlbeteiligung, wie in Hamburg zuletzt auf 56,6 Prozent, aber eine klare Sprache.

Ich wundere mich und da mache ich auch ein Kompliment an die Medien, dass sie das Nichtwähler-Phänomen im Moment nicht umzudeuten versuchen. Das ist zum Glück noch nicht passiert. Andererseits gibt es die Gefahr, wie in Bremen, das so dermaßen lange SPD-regiert ist, dass man das Wegbleiben vieler Wähler in eine vermeintliche Zufriedenheit umdeuten könnte.

Wie erklären Sie sich das?

Was die Parteien betreiben, ist in meinen Augen weitgehend Folklore. Dass die SPD nun besonders im Arbeitnehmermilieu und die CDU mehr im wirtschaftsfreundlichen Milieu verortet sein soll, glauben immer weniger Menschen und es wird ja auch durch Regierungspolitik widerlegt.

Ein Beispiel?

Gerade die SPD mit ihrer Agenda 2010 und die CDU mit ihrer Energiewende haben doch sehr gegen die Erwartungen ihrer Stammwähler verstoßen. Wir sagen den Leuten aber auch, dass sie sich diejenigen genau anschauen sollen, die so gegen die Nichtwähler wettern.

An wen denken Sie da?

An die politische Klasse, die viel zu verlieren hat. Es geht darum, Besitzstände zu wahren, und da sind wir dann auch wieder bei den Parteien, den Lobbyisten, den Medienvertretern und leider auch den Gewerkschaften, die sich im bestehenden System sehr kommod eingerichtet haben und dem Bedürfnis der Bürger nach Modernisierung und Veränderung sehr ablehnend gegenüberstehen, es sogar bekämpfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.