Claus Leggewie über den Klimawandel: „Ich glaube nicht an Apokalypsen“

Die Auslöser, dass Claus Leggewie die überragende Bedeutung des Klimawandels entdeckte: drei Fische, zwei Geburten und André Gorz.

Claus Leggewie im Februar 2015 (Archiv). Bild: dpa

Claus Leggewie steht in seiner Wohnküche und kocht Spaghetti für seine leicht grippekranke Tochter. Die Familie lebt in einer umgebauten Brauerei bei Gießen, ländlich und stadtnah zugleich, der engste Kreis wohnt nebenan. Jetzt setzt er sich an einen großen Tisch. Er mag es, wenn dort abends ein Dutzend Freunde sitzen, essen und die Welt- und Seelenlage besprechen. Was er nicht mag, ist, wenn beim Essen nicht nur genossen wird, sondern zunehmend die jeweiligen Lactose-Intoleranzen thematisiert werden.

zeozwei: Lieber Herr Professor Leggewie, plagt Sie manchmal das Gefühl, dass Sie sich viele Jahre mit Dingen beschäftigt haben, die sich heute als nicht die dringlichsten herausstellen, etwa Multikulturalismus, ein Begriff, den Sie Ende der 1980er-Jahre prägten?

„Schon früher wurde mir bewusst, dass der Klimawandel, wenn nicht mich, dann vermutlich meine Kinder trifft. Das war der Wendepunkt“

Claus Leggewie: Überhaupt nicht. Das waren genau die richtigen Themen. Das neue deutsche Staatsbürgerrecht, damit bin ich zufrieden und habe mein Scherflein beigetragen. Jetzt gibt es Wichtigeres, etwa bei der Klimakonferenz in Paris Ende des Jahres einen halbwegs vernünftigen Klimavertrag hinzukriegen. Auch dazu möchte ich etwas beigetragen haben. Es bestehen übrigens interessante Bezüge zwischen der Erhaltung der ökologischen und kulturellen Diversität.

Insgesamt vielleicht ein bisschen viel Identitätspolitik, als Folge von 1968?

Richard Rorty hat schon in der zweiten Hälfte der 1990er gesagt: Vietnam und dann Multikulti, das ist doch zweitrangig im Verhältnis zur wachsenden sozialen Ungerechtigkeit. Womit er recht hatte. Der Untergang der Sowjetunion war ein geopolitisches Glück, aber die Vernachlässigung der sozialen Frage im Kapitalismus ein Fehler.

Allerdings wird Gerechtigkeit gerade bei Grünen gern gegen die sozialökologische Transformation in Stellung gebracht und nicht als zusammenhängend verstanden.

In meinem Buch beschreibe ich, wie mich Jürgen Trittin im Göttingen der 1970er in seine Wohngemeinschaft einlädt und mich abtastet, ob ich auch links genug bin – Häuptling des Kommunistischen Bundes Nord trifft Sponti vom Sozialistischen Büro.

Und?

War ich natürlich nicht.

Wie kam es, dass Sie nach einer aufrechten Post-68er-Themenkarriere im 21. Jahrhundert die überragende Bedeutung von Klimakultur und ökologischer Transformation für Gerechtigkeit und Freiheit entdeckten?

Es war nicht erst im 21. Jahrhundert, aber es stimmt: Es kam spät. Als die Energiewende von unten in den 1970ern losging, habe ich noch CO2 emittiert, als sei das ein Vergnügungssport. Ich gehöre altersmäßig nicht zu 1968, aber irgendwie doch, weil ich stets der Jüngste war, der immer mitgenommen wurde. Unsere Generation hat nicht gerade ökologisch gelebt.

Aber politisch?

Klima war Science-Fiction oder Spezialistenwissen, das sich in den 1980ern in der Wissenschaft verbreitete. Erst als der von Kanzler Kohl 1992 gegründete Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen die „Zwei-Grad-Leitplanke” formuliert hat, wurde die Brisanz des Klimawandels der staatlichen Politik langsam klar. Mit den Umwelt- und Klimakonferenzen ab Rio 1992 ging auch mir auf, was für ein dickes Brett das ist. Und ich bekam, was ich weder bei Lektüre von Rachel Carsons „Silent Spring“ noch nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl empfunden hatte: Angst.

Tschernobyl hat Sie nicht bewegt?

Jahrgang 1950, ist einer der führenden öffentlichen Intellektuellen Deutschlands. Bekennender 68er. Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, Professor für Politikwissenschaft in Gießen, Klimaberater der Regierung. Verheiratet, zwei Kinder. Er lebt in Gießen.

Nein, Tschernobyl und Fukushima haben mich nicht existenziell getroffen. Eher belustigten mich Reaktionen in meinen Milieus wie Gebärstreiks oder dass Kinder nicht mehr auf die Straße durften. Ich dachte: Mit euch kann man ja überhaupt nichts Gefährliches mehr machen.

Warum ist der Klimawandel für Sie ein existenzielles Drama? Sie erleben die Folgen doch nicht.

Dachte ich erst auch, dass ich das ja selbst nicht mehr erleben würde. Leider falsch. Aber schon früher wurde mir bewusst, dass es, wenn nicht mich, dann vermutlich meine Kinder trifft. Das war der Wendepunkt, von der Vergangenheits- auf Zukunftsbewältigung umzusteigen. Aber damit es einem überhaupt dämmern kann, braucht man eine Disposition.

Was für eine?

Ich hatte zwei einschneidende Erlebnisse, die in mir schlummerten. Erst die Praxis: Als ich Mitte der 1970er-Jahre mit Freunden in Südnorwegen war und zum Angeln ging, schwammen in einem idyllischen See nur drei Fische, Kiel oben. Der Mann im Laden sagte, das sei „Rotkraut aus Polen”.

Rotkraut?

Er meinte: saurer Regen, der den See umkippen ließ. Danach habe ich politische Ökologie auf den Lehrplan an der Uni Göttingen gehoben. Trittin nahm nicht teil.

Und die zweite Disposition?

Die Theorie ist die Umstellung von sogenannten Klassenfragen auf die Menschheitsfrage Ökologie.

Wie vollzog die sich?

Passiert bei mir 1973. Ich bin 23 und sitze in Paris bei André Gorz.

Dem zentralen Denker der politischen Ökologie.

Damals arbeitet er noch mit Sartre, mit dem ich eigentlich für die Zeitschrift links über den Maoismus reden soll. Doch Majestät will nicht, er steht zur gleichen Zeit als „Mao“ auf den Mülltonnen bei Renault und hält Volksreden. Stattdessen erklärt mir Gorz die „Écologie et liberté”, den Zusammenhang zwischen Ökologie und Freiheit. Und das ist der Umschaltmoment. Dadurch änderte sich mein Blickwinkel.

Sie waren fortan ein anderer?

Das soll man nicht im Sinne einer autobiografischen Illusion zum Erweckungserlebnis stilisieren. Das Leben ist in Wahrheit so, dass man Kleinigkeiten erlebt und daran eventuell große Gedanken knüpft. Dass nämlich der Erwartungshorizont, der gerade bei den Linken unendlich ausgespannt war, durch planetarische Grenzen begrenzt ist. Naturgrenze der Politik, Bewahrung der Schöpfung – so eine Entwicklung dauert und ist auch widersprüchlich. Ich schrieb auch nach Paris noch furchtbar klassenkämpferische Artikel. Und dann ist da noch etwas: Ich glaube nicht wirklich an Apokalypsen.

Sondern?

Als Verfechter des Möglichkeitssinns glaube ich an die unerschöpfliche Reformierbarkeit und Verbesserungsfähigkeit der Welt, dazu ist der Klimawandel ein guter Anlass. Er birgt große Gefahr, aber auch gute Chancen, das Leben so umzustellen, wie es die Mehrheit nicht nur im reichen Norden ohnehin zu wollen bekundet.

Leben Gesellschaft und Politik nicht in der bequemen Illusion eines Kampfes gegen Klimawandelfolgen, den es in Wahrheit gar nicht gibt?

Das sehen Sie zu defätistisch. Es gibt eine weltweite Bürgerbewegung, und ich höre die Botschaft jetzt aus Kreisen, in denen ich vor sieben, acht Jahren noch ausgelacht wurde, als wir am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen mit Klimakultur anfingen. Die Konsequenz fehlt oft, das stimmt. Trotzdem ist es gut, dass es Leute gibt, die in die richtige Richtung quatschen und immerhin ein Zehntel davon beherzigen.

Luhmann: Gesellschaftliche Wirkung entfaltet nur das, worüber geredet wird.

Und vor allem schafft es ein Selbstwirksamkeitsgefühl. Nicht sagen, dass das Kapital schuld ist, sich aufregen und dabei zurücklehnen. Unser Ansatz ist ein radikal anderer: Du kannst was tun. Und wir sind ja gar nicht allein, sondern viele.

Wer sind wir?

Man braucht kein Wir im Sinne eines revolutionären Subjekts. Ich sehe, dass sich immer mehr Leute engagieren, von Australien bis Sankt Petersburg und San Francisco. Die machen was. Konvivialisten, wie ich sie nenne ...

Konvivialismus gleich die Kunst, gut miteinander zu leben, von convivere?

Richtig, diese Konvivialisten brauchen ein Bewusstsein ihrer Vielzahl, ihrer möglichen Stärke und ihres weltverändernden Tuns. Konvivialität kommt von Gorz’ Mitstreiter Ivan Illich. Der Begriff ist im Deutschen leider etwas sperrig, wer weiß einen besseren?

Die Bereitschaft, kurzfristige Ich-Privilegien für ein nachhaltiges Wir abzugeben, ist gering.

Selbst wenn das so sein sollte: Was bringt uns diese Erkenntnis? Ich habe gerade den großen Soziologen Albert Hirschman wieder gelesen: „Exit, Voice, and Loyalty”. 1970 geschrieben, im Katzenjammer der 68er-Ideen, ein Mutmacher. Darin untersucht er, warum Unternehmen und Organisationen untergehen. Exit ist stille Kündigung. Voice ist lauter Protest für Veränderung. Er geht dabei von zwei Grundbedingungen menschlicher Existenz aus: dass wir meistens unzufrieden sind und dass wir oft enttäuscht werden.

Das heißt?

In so einer Situation sind wir, als Gesellschaft, heute: Viele Leute vollziehen einen stillen Exit, sind „wütend”, ziehen sich zurück. Wenn ich also Sozialpolitikklempner wäre, würde ich dem Unternehmen Bundesrepublik empfehlen, weniger Abwanderungsmöglichkeiten einzubauen und mehr Voice zu provozieren, Raum für den kollektiven politischen Akt. Ich denke nicht, dass der Wandel vornehmlich über eine politische Partei wie die Grünen kommt oder über eine nächste Katastrophe, sondern über das, was Konvivialisten weltweit voranbringen und fordern.

Daran glauben Sie?

Ja, solange ich lebe. Weil mich die Ausrede anwidert, es sei sowieso alles zwecklos. Ich bin oft genug durch politische Lebenskrisen gegangen. In dem Moment zu sagen, ist eh alles zu spät, das führt in die Depression, den Zynismus oder den Selbstmord.

Was war Ihre einschneidende politische Lebenskrise?

Erst die von großem pazifistischen Trara orchestrierte Untätigkeit, als in Bosnien Völkermord geschah. Dann der Angriff auf die Twin Towers in New York 2001. Der Krieg, den wir heute haben, mit ISIS und so weiter, der fing nicht 2001 an, sondern in den 1980ern und 1990ern. Aber nach Nine Eleven waren die Trümmerbilder meiner frühen Kölner Kindheit zurück. Ich ahnte, dass wir ab jetzt im Krieg, in einer anderen Art von Krieg leben würden, nach 50 Jahren Frieden. Ich saß hier an diesem Tisch und war drei Wochen zu nichts mehr zu gebrauchen.

Sie schreiben in Ihrer Autobiografie, dass nur Familie die großen Gefühle weckt, für die es sich zu leben lohnt.

• Das neue Buch: Leggewie, Claus: „Politische Zeiten: Beobachtungen von der Seitenlinie

C. Bertelsmann, 2015. 480 S., 24,99 Euro

 

• Das Manifest: Adloff, Frank; Leggewie, Claus (Hrsg.): „Das konvivialistische Manifest.”

Transcript, 2014. 80 S., 7,99 Euro

Es gab politische Sachen, die bei mir große Gefühle ausgelöst haben. Der Pariser und Prager Frühling, Majdan und Tahrir, der Fall der Mauer. Aber das kam nie an die Glücksmomente heran, die scheinbar banale familiäre Erlebnisse auslösen.

Sie haben eine ungewöhnliche Familienkarriere gemacht.

Ja, ziemlich schräg. Meinen Adoptivsohn habe ich kennengelernt, als er zweieinhalb und ich 19 war. Meine Tochter kam, als ich 53 war. Kleine Sorgen um beide und die große Freude an ihnen haben mich mein ganzes Leben am meisten bewegt, das und natürlich eine gute Partnerschaft und Freundschaften sind das Wichtigste.

Familie ist nicht Re-Biedermeierisierung, sondern Fortschritt?

Ich höre das bittere Lachen der einen oder anderen Freundin,die mich anders erlebt hat, aber: Ja. Fortschritt weniger, sondern Glück.

Sie haben sich damals nicht wegen der bösen Welt sterilisieren lassen wie andere Ihrer Generation. Kinder aufzugeben – eine tragische Handlung?

Eine Fehleinschätzung jedenfalls. Weil man damit privat und politisch auch die Zukunft aufgab. Und genauso wäre es eine völlige Fehleinschätzung, das Vorhaben, den Klimawandel noch in den Griff zu bekommen, jetzt bescheidwisserisch aufzugeben. Was wollen wir als routinierte Vergangenheitsbewältiger antworten, wenn wir gefragt werden: Was habt ihr 1975 oder 2015 eigentlich gemacht? Bei allem Optimismus kann ich natürlich nicht ignorieren, dass Europa seit Kopenhagen 2009 nicht mehr viel macht. Wir fallen zurück.

Sie sind überzeugter Europäer.

Und deshalb schmerzt es mich, wenn Europa postmodern, postkolonial, postwestlich, postdemokratisch „dekonstruiert” wird. Dass dieser Kontinent sich als alt, als dekadent, als schuldbeladen deklassieren lässt durch die eigenen Intellektuellen. Dass eine gebildete, ressourcenstarke Generation, wenn es um Europa geht, nur müde sagt: Brüssel ist Mist. Darüber bin ich empört.

Sie bezeichnen in Ihrem Buch die Vereinigung der deutschen Staaten 1990 als „europäische Wiedervereinigung”. Das ist ein Denken, das man jenseits von Brüssel selten findet.

Weil sie sich Europa immer nur vorgestellt haben, in den Grenzen, in denen sie es erlebt haben, als Bonner Provinz, und weil sie den Kalten Krieg über das Tätertrauma gegenüber Russland gepflegt haben. Begreiflich, aber anachronistisch. Und wir müssen auch verstehen, wie Krieg und Klima zusammenhängen.

Inwiefern?

Was hätte man nach 1990 erreichen können, mit globaler Kooperation in Sachen Klimawandel, Artensterben, Biodiversität, Global Commons?! Durch Putin und ISIS gerät das gerade völlig ins Hintertreffen, die politische und mediale Aufmerksamkeit ist auf deren Mummenschanz gerichtet. Den Ton geben diese politischen Geisterfahrer an, die vom Öl und Gas leben, das wir importieren. Aggressiv verteidigen sie ihre Bodenrenten gegen die globalen Interessen der Menschheit und die Weltbürgerbewegung für Klimaschutz.

Wen meinen Sie?

Diejenigen Saudis, Kataris und Neo-Sultane, die hinter ISIS stecken. Das Gasscheichtum Russland, das die Ukraine und damit Europa angegriffen hat. Die Fixierung auf Öl und Gas ist das genaue Gegenteil von dem, was derzeit wünschenswert und möglich wäre, eine alternative Gesellschaft, die sich auf der Basis erneuerbarer Energien in eine neue Richtung bewegt. Das gilt natürlich auch für amerikanische Ölfirmen, für uns Nordseeölbezieher, die Fracker. Exxon und Co., die sogenannte Klimaskeptiker bezahlen, können die amerikanische Politik manipulieren, wie sie es möchten. Ein fossiles Produktionsregime ist aber stets autoritär, zentralistisch und umweltschädlich. Bisweilen mörderisch.

Was tun?

Die genannten sind politische Feinde. Feinde, die es mit allen legalen und gewaltfreien Mitteln zu bekämpfen gilt. Und damit kommt dann auch wieder der globale Klassenkampf aufs Tapet.

Wer führt den Kampf an dafür, dass in die Atmosphäre nur noch eine bestimmte Menge CO2 emittiert wird und deshalb Öl, Kohle und Gas im Boden bleiben – Anton Hofreiter?

Der auch. Denn es muss politische Parteien geben, die das organisieren, und Staaten, die vorangehen und mit anderen eine Koalition der Willigen eingehen. Die den hoffentlich stattfindenden Straßenprotest in den Entscheidungszentralen artikulieren. Die Pariser Klimakonferenz im Herbst muss so viele Versprechen einsammeln, wie es geht. Wenn Großbritanniens Premierminister Cameron sagt, wir machen keine Kohle mehr: Was auch immer ihn dazu veranlasst, vermutlich nichts Gutes, aber es ist okay.

Ist das die Verantwortungsethik, die wir brauchen: Alles einsammeln, egal mit welchem gesinnungsethischen Hintergrund?

Das ist eine ökologische Verantwortungsmoral, die notwendig ist. Dafür muss man sich notfalls mit dem Teufel verbünden.

Der Grund warum Linksliberale vor der ökologischen Transformation zurückschrecken: Sie fürchten, das sei nicht „links”.

Es ist nicht gelungen, das Ökologische als Selbstverständlichkeit in ein Regierungsprogramm zu bringen, das eine Alternative zum kapitalistischen Programm sein will. Nehmen Sie Griechenlands Regierungspartei Syriza. Wer den Merkelismus zu Recht nicht mehr fortführen will, der braucht eine alternative Entwicklungsstrategie für den Mittelmeerraum. Aber was würden diese Linken machen, ob Syriza, die spanische Podemos oder Italiens Ministerpräsident Renzi?

Was?

Wahrscheinlich Regionalflughäfen bauen, Lkw-Parkplätze, mehr Staatsbedienstete einstellen. Entwicklung für den Süden bringen nicht Regionalflughäfen, sondern ökologische Landwirtschaft, erneuerbare Energie, sanfter Tourismus, Meeresschutz und vernetzte Wissensgesellschaft. Mit griechischem Strom aus Wind und Sonne könnte man den ganzen Südbalkan entwickeln. Die Energieunion rund ums Mittelmeer bietet eine Alternative zum Islamismus und Autoritarismus.

Regionalflughäfen sind auch nach sozialdemokratischem Verständnis Wachstum, also gut.

Unsere SPD begnügt sich mit Mindestlohn, Frauenquote und kostenlosem Studium – was alles richtig ist –, aber dringt nicht zu einer Sozialpolitik für das 21. Jahrhundert vor. Gorz hat in den 1970ern das bedingungslose Grundeinkommen propagiert, nicht weil es uns gleicher macht, sondern weil es uns frei macht.

Der grüne Ministerpräsident Kretschmann weigert sich, sich als Linken zu bezeichnen. Er ist gelernter Ökolibertärer und besteht auf der Differenz zwischen öko und links.

Dass diese Demarkierung den mittleren Funktionärskörper der Grünen aufregt, freut mich. Es ist aber trotzdem falsch.

Warum?

Weil links da ist, wo wir sind.

Die linke Symbolpolitik der SPD ist der Mindestlohn.

Für die gleichheitsbesoffene europäische Linke ist „fortschrittlich “, was untere Einkommen ein bisschen nach oben bringt und die oberen ein bisschen beschneidet. Das verfehlt den entscheidenden Punkt.

Nämlich?

Freiheit. Wir sind für eine freie Gesellschaft, die über Marktwirtschaft weit hinausgeht. Das ist links und das sollte Kretschmann sagen. Die Herausforderung beim Klimawandel ist doch, dass sich Nachfolgegenerationen mindestens genauso frei entscheiden können wie wir. Das ist ein Wunsch höherer Ordnung, dessen Erfüllung auch uns freier macht, selbst wenn sie auf den ersten Blick mit Verzicht verbunden ist.

Die ökologische Transformation als großes Freiheitsversprechen?

Öko heißt nicht Verzicht, sondern gutes, selbstbestimmtes Leben.

INTERVIEW: PETER UNFRIED. Dieser Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 2/2015. Den Text können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.