Lehren der Glyphosat-Debatte: Vom unheimlichen Unkrautgift

Rauchen und Übergewicht sind gefährlicher als das Unkrautgift Glyphosat, sagt der SPD-Politiker Karl Lauterbach. Was ein Verbot für ihn bedeutet.

Spritzen was das Zeug hält. Bei aller Kritik ist Glyphosat weiterhin das meist verwendetet Ackergift weltweit. Bild: dpa

zeozwei: Herr Lauterbach, was zeigen der Fall Glyphosat und das holprige Genehmigungsverfahren in Brüssel – die Umweltlobby kann noch erfolgreiche Kampagne?

Karl Lauterbach: Beiden Seiten – Öko- sowie Industrielobby – ist es gelungen, die Debatte stärker zu prägen als die Politik.

Als Glyphosat im Bier und im menschlichen Urin auftauchte, war das Echo gewaltig – haben Sie die Ängste der Verbraucher unterschätzt?

Ängste in der Bevölkerung sind nicht das, was mich antreibt. Ich beschäftige mich mit Glyphosat schon seit langer Zeit, habe die Studienlage selbst gesichtet, Glyphosat ist das verbreiteste Ackergift weltweit. Aber das Wissen der Gesundheitsexperten im Bundestag ist in dieser Frage erst sehr spät abgefragt worden.

Ein gesundheitspolitischer Sprecher der SPD kann sich nicht einfach einmischen?

Doch, aber ich hätte CDU-Gesundheitsminister Gröhe, der sich noch nicht zu Wort gemeldet hatte, nicht zuvorkommen wollen. Das macht man in einer Koalition natürlich erst, wenn es nicht mehr anders geht.

Und dann kracht es erst recht. Den amtlichen Risikobewertern traut auch keiner mehr. Und nun?

Da war manche öffentliche Äußerung sicher nicht hilfreich.

Man müsse, so das Bundesinstitut für Risikobewertung, schon täglich tausend Liter Bier trinken, bevor es gesundheitlich bedenklich werde. Meinen Sie die?

Karl Lauterbach, 53, Arzt und SPD-Fraktionsvize im Bundestag. Jüngstes Buch: Die Krebsindustrie. Wie eine Krankheit Deutschland erobert. Rowohlt Verlag, 2015. – 288 Seiten, 19,95 Euro.

Ich muss daran denken, wie gefährlich eine Chemikalie für Leute ist, die damit hantieren müssen. Ich muss daran denken, dass es Menschen gibt, die anfälliger für Krebs sind. Und ich muss überlegen, wie sich der Einsatz in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Glyphosat wird im Vergleich zu früher heute in hundertfacher Menge gebraucht. Außerdem wird sich die Auswirkung einer wahrscheinlich krebserregenden Substanz oft erst in vielen Jahren beim Menschen in Studien zeigen, wegen der langen Entstehungszeit.

Aber Sie müssen zugeben, dass das Bier auch ein Beispiel dafür war, dass Verbraucher und Journalisten kleine Gefahren wahrnehmen, die großen aber nicht erkennen.

Müssten Zigaretten zugelassen werden, sie hätten keine Chance. Stimmt. Rauchen, selbst das Passivrauchen, ist mit Abstand die wichtigste Krebsursache, alles andere fällt dahinter zurück. Auch Übergewicht ist ein wichtigerer Risikofaktor als Glyphosat. Glyphosat ist aber unheimlicher, weil Verbraucher nicht wissen, wie das Zeug aussieht, und sie den Einsatz selbst nicht kontrollieren können. Es ist auch wahrscheinlicher, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen als bei einem Terroranschlag. Man glaubt, das eine kontrollieren zu können und das andere nicht.

Glyphosat = Terroranschlag?

Das nicht, der Mensch erwartet aber, dass die Gesellschaft Gefahren politisch in den Griff bekommt, wenn der Einzelne es nicht kann. Ackergifte waren von der Gefahrenwahrnehmung bisher ausgenommen, sie wurden routinemäßig durchgewunken. Das hat sich mit Glyphosat geändert, Umweltstandards werden strenger werden.

Dafür müssten Politiker die Risiken eher sehen – was muss sich ändern?

Derzeit können die allerwenigsten Politiker Forschungsergebnisse einschätzen, ihnen fehlen Grundkenntnisse, wie Tierversuche oder Grenzwerte zu deuten sind. Wir Wissenschaftler müssen uns mehr Mühe bei der Erläuterung geben, damit die Lobbyisten beim Vortragen nicht mehr eingängiger sind.

Das Interview führte Hanna Gersmann, es ist erschienen in zeozwei 3/16. Gerne können Sie den Artikel auf unserer Facebook-Seite diskutieren.