Personenführung #102: Sebastian Erb: Der Vermesser der Welt

Dieser Mann verlässt sich nicht auf das Halbwissen anderer. Er will es genau wissen und beginnt seine Recherchen desöfteren mit dem Maßband.

Sebastian Erb Bild: Katrin Windhorst

Sebastian Erb adäquat zu vermessen ist keine leichte Aufgabe. Der Reporter, Seite 1- und Politikredakteur der taz.am wochenende gehört zwar zu den Großen der Redaktion, aber das lässt sich nicht einfach nur behaupten. „Erst kommt die Recherche“, heißt einer seiner Lieblingssätze, „dann die Meinung.“

Dies ist einer der Gründe, weshalb der 32-jährige, der an der Deutschen Journalistenschule in München ausgebildet wurde und – nach eigenen Aussagen – eine Körpergröße von 1,95 Metern aufweist, seine Arbeit für Branchenverhältnisse überdurchschnittlich oft mit einem Maßband vornimmt.

Eigens nach Abchasien reiste Erb, um zu klären, ob der angeblich kürzeste Fluss der Welt, der Reprua, hält, was er verspricht: nur 18 Meter Flusslänge. Erb begab sich zum Schwarzen Meer und nahm Maß. Seitdem weist der Wikipedia-Eintrag des Reprua endlich eine echte Quelle auf, Erb selbst.

Die Kraft des Faktischen

Sein Ergebnis: Alle lagen falsch, der Reprua ist 27 Meter lang und damit womöglich gar nicht der kürzeste Fluss der Welt. Für die Recherche erhielt er nicht nur den begehrten „Henry-Nonsens-Preis“, sondern auch den Autorenpreis der Vereinigung deutscher Reisejournalisten.

Denn das ist er ja auch: ein leidenschaftlicher Globetrotter mit ganz besonderer Vorliebe für Südamerika. Auf seinen Reisen um die Welt benötigt er keine komfortablen Betten, sondern vor allem Entdeckungsstoffe, gesättigt von der Kraft des Faktischen.

So fand er beispielsweise in den peruanischen Anden die höchste Stadt der Welt. Es versteht sich, dass er sie nachmaß, mit Höhenmessgerät. Und zuletzt, im Frühjahr 2016, spürte er in Asien einen alten taz-Kollegen auf, der verschollen schien, nachdem er die taz-Redaktion mit einem Keylogger ausspioniert und sich schließlich ins Ausland abgesetzt hatte.

Erb suchte den alten Kollegen nicht nur in seiner Wohnung auf, sondern rekonstruierte auch, unter welcher neuen Identität sich der Beschuldigte heute im Internet bewegt. Denn Erb gilt zu Recht als ausgewiesener Experte, Trainer und Kollege mit Geduld für Nachhilfeeinheiten, wenn es um Recherchetechniken im digitalen Raum geht. „Wie finde ich im Internet Dinge, die ich gar nicht finden soll?“ Weißte nicht? Sebastian Erb fragen. Der findet.

MARTIN KAUL, Inlandsredakteur der taz