Essen aus Krisenregionen: Zwei Kilogramm Zukunft

Conflictfood importiert kulinarische Produkte aus Ländern, die sonst nur mit Krieg und Krisen Schlagzeilen machen.

Eine Frau im Westen von Herat bei der Safran-Ernte Bild: Conflictfood

[03.10.2016: Bei der Explosion einer an einem Motorrad befestigten Bombe sind in der nordafghanischen Provinz Dschausdschan sechs Menschen getötet und mehr als 30 verwundet worden.]

[05.10.2016: Seit 15 Jahren führt die Nato Krieg gegen die Taliban in Afghanistan. Trotz gesellschaftlichen Fortschritten bleibt die Lage düster. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Die vom Westen gestützte Regierung unter Präsident Aschraf Ghani in Kabul ist schwach. Weite Landstriche werden von der Taliban kontrollieren.]

[12.10.2016: Bei der Explosion eines Sprengsatzes inmitten einer schiitischen Prozession sind in der nordafghanischen Provinz Balkh mindestens 14 Menschen getötet worden.]

Nur einige, wahllos ausgewählte Meldungen der letzten Tage aus Afghanistan.

„Afghanistan bietet eine hochinteressante Kultur, war jahrhundertelang ein wichtiger Knotenpunkt der Seidenstraße und vereint 16 Ethnien mit 40 unterschiedlichen Sprachen.” sagt Salem El-Mogaddedi. „Eigentlich könnte Afghanistan ein Lehrstück für Europa sein”, ergänzt Gernot Würtenberger. Zwei Sätze von den Gründern von Conflictfood. Wie passt das zusammen?

Für Menschen in der westlichen Welt ist es schwer vorstellbar, dass es in Regionen der Welt wie Afghanistan oder Syrien noch normales Alltagsleben geben kann, dass Handel betrieben wird und Waren produziert. Doch auch in von Machtkonflikten und wirtschaftlichen Krisen geschüttelten Ländern muss die Zivilbevölkerung überleben, muss versuchen, die oftmals zerstörten Vertriebswege aufrechtzuerhalten und mit lokal angebauten Produkten ihre Familien zu ernähren.

• Alle Infos, Fotos und Berichte finden Sie auf der Homepage conflictfood.com

 

• Conflictfood auf Facebook

 

• Die Schachteln für den Safran werden in der Union Sozialer Einrichtungen gefertigt

 

• Für das neue Produkt Freekeh gibt es eine Crowdfunding Kampagne

 

 

In der afghanischen Provinz Herat pflanzen Frauen heute Safran an – auf Feldern, die jahrzehntelang für Opium-Anbau genutzt wurden. 2008 regte eine NGO die Gründung einer „Shura” (Rat) an, die nur von Frauen gebildet wurde. Diese Shura wurde bald zu einer starken Stimme in der Region. Die Frauen-Shura bedeutet Zugang zu Bildung, Arbeit und Information; es ist ein Ort entstanden, an dem das Frauenkollektiv Literatur-, Englisch- und Fotografiekurse, Ausbildungsmöglichkeiten am Computer und einen Schönheitssalon anbietet. Ein Kinderspielplatz und -garten, ein Internetcafé und ein Tee-Garten sollen folgen.

2015 waren Gernot Würtenberger und Salem El-Mogaddedi aus Berlin privat in Afghanistan, um sich Projekte von Salems Vater anzusehen. Dr. Obduallah El-Mogaddedi ist Chirurg im Ruhestand und hat 1979 einen Verein zur Förderung Afghanistans gegründet. Zufällig hörten Gernot und Salem von einem selbstverwalteten Frauenkollektiv und wurden neugierig – schließlich besuchten sie die Shura in Herat und waren so angetan, dass sie direkt zwei Kilogramm Safran kauften. Von nur 38 Kilogramm Gesamternte. Mit dieser kostbaren Fracht kamen sie zurück nach Deutschland und wussten: Jetzt muss es losgehen, fast das gesamte Ersparte steckte im Safran. Schnell kam ihnen die Idee, Conflictfood zu gründen – einen Shop, der Produkte aus Krisenregionen nach Deutschland importiert und verkauft, um so die lokalen Strukturen vor Ort jenseits von Warlords und Drogenbossen zu unterstützen.

Salem El-Mogaddedi und Gernot Würtenberger Bild: Evelyn Bencicova

Die beiden bewarben sich um einen Platz im Social Impact Lab und können dort nun neun Monate kostenlos die Büroräume und vielseitige Unterstützungsangebote für soziale Start-Ups nutzen. Sie haben zwei Mitarbeiterinnen und zwei Praktikantinnen – obwohl Arbeit für ein Dutzend Mitarbeiter da wäre ... Man merkt, dass Salem und Gernot wissen, wovon sie reden. Durch ihre vorherigen Jobs als Architekt und Projektmanager wissen sie, wie Marketing funktioniert, wie ein junges Start-Up sich am Markt positionieren muss. Auch wenn momentan noch keiner aus dem Team Geld verdient, schauen sie zuversichtlich in die Zukunft. Safran soll nicht das einzige Produkt im Shop bleiben.

Bei einer Reise nach Palästina sind die beiden auf Freekeh (sprich „Fricke”) gestoßen. Freekeh ist grün geernteter Weizen, der auf dem offenen Feuer geröstet wird. Das Grundnahrungsmittel wird seit 4.000 Jahren in der Region angebaut und als „antikes Wunderkorn” bezeichnet. Mit diesem Produkt wollen Salem und Gernot jenseits des Israel/Palästina-Konfliktes auf die Region aufmerksam machen. Freekeh ist sehr einfach anzubauen, kann auf dem kleinsten Acker wachsen. Bisher ist das Korn in Deutschland nicht erhältlich – umso mehr hoffen die beiden, dass ihr Crowdfunding für das Produkt erfolgreich sein wird. Das Freekeh kommt aus dem Norden der Westbank und ist bereits bio-zertifiziert. Vor der Kontroverse, dass sie ein Produkt aus Palästina importieren, haben sie keine Angst. „Wir würden auch ein israelisches Produkt nehmen – das soll kein politisches Statement sein. Aber der Konflikt muss auf die Tagesordnung. Das Produkt ist letztendlich nur Vehikel, um über die Region und die Projekte zu informieren”, sagt Salem.

„Letztendlich bekämpfen wir zum Beispiel mit dem Safran Fluchtursachen vor Ort. Und die Frauen sind unglaublich stolz, dass im fernen Deutschland ein Interesse an ihrem Produkt besteht”, erzählt Gernot. Bisher gab es den Safran nur in wenigen Läden in Berlin und auf der Homepage von Conflictfood – doch seit kurzem auch im taz Shop! Eigentlich suchten die beiden Gründer den Kontakt zu Thomas Hartmann von den taz.reisen in die zivilgesellschaft, um mit ihm über Palästina zu sprechen. Der taz-Kollege sah sofort: Der Safran passt zur taz. Und auch Gernot und Salem legen großen Wert auf die richtigen Handelspartner: „Wir müssen mit dem Geschäftsgebaren einverstanden sein. Die taz versteht einfach, worum es uns geht”.

Damit der kostbare Safran sicher transportiert werden kann, wird er grammweise in (in Deutschland hergestellte) Gläser abgefüllt. Und damit diese wiederum nicht kaputt gehen, haben die beiden nach hübschen und sozial gefertigten Boxen gesucht. Gar nicht so einfach – und am Ende doch so leicht. Direkt um die Ecke ihres Büros in Berlin-Kreuzberg sitzen die Schachtelmacher der Union Sozialer Einrichtungen (USE). Mit den Schachtelmachern ist es wie mit der taz: Es passt einfach. Für das junge Start-Up und die alteingesessene Behindertenwerkstatt. Gundolf Hans (Anleiter der Schachtelmacher in der USE) betont: „Wir verpacken nicht alles. Aber Conflictfood passt einfach gut in unser Konzept.” Er und seine MitarbeiterInnen brauchen etwa eine halbe Stunde pro Schachtel, alles ist komplette Handarbeit.

Salem El-Mogaddedi und Gundolf Hans in der Werkstatt der Schachtelmacher Bild: Nicola Schwarzmaier

Das Paradoxon ihrer Existenz ist Gernot Würtenberger und Salem El-Mogaddedi bewusst: „Natürlich wäre es besser, es müsste kein Conflictfood geben.” An Konflikten in der Welt wird es in den nächsten Jahren wohl kaum mangeln. Viel Potential also für Conflictfood. Letztendlich ist Konsum nun mal doch eine politische Entscheidung, die jeder für sich treffen muss.

In diesem Jahr wollen Salem und Gernot übrigens 4 Kilogramm Safran aus Afghanistan kaufen – wieder persönlich und natürlich wieder beim Frauenkollektiv.

NICOLA SCHWARZMAIER (Redaktionsleitung digitales Marketing) kocht gerne Risotto mit Safran und hat Freekeh noch nie probiert