Ökumenische Werkstatt für Flüchtlinge: „Man muss doch was tun“

Der Verein NAOMI fertigt mit Geflüchteten außergewöhnlich schöne Produkte – in Griechenland und Berlin.

Mieke Sellin (links) von NOAMI mit Mariam Moradi aus Afghanistan Bild: taz

Naomi ist eine Frau aus dem Alten Testament. Sie musste ihre Heimat verlassen und in der Fremde heimisch werden. Naomi steht stellvertretend für alle Frauen, die ihr Land verlassen und sich in der Fremde ein neues Leben aufbauen müssen. 

So steht es auf der Webseite von NAOMI Thessaloniki, einer ökumenischen Werkstatt für Flüchtlinge. Und der Name ist Programm: Menschen, die aus verschiedenen Gründen ihre Heimat verlassen mussten, sollen genauso wie dereinst Naomi herzlich aufgenommen und Teil der Gemeinschaft werden.

„Wir machen jetzt was”

2011 fing alles an, als Mitglieder der evangelischen Gemeinde in Thessaloniki Geflüchtete im ehemaligen Hotel „Xenonas” unterstützten. Darunter waren auch Mieke und Burkhart Sellin, die bereits seit Mitte der 1990er Jahren in Griechenland lebten. Als das Haus „Xenonas” geschlossen wurde, war kein Geld zur Unterstützung mehr da. Die Stadt Thessaloniki sah sich nicht mehr in der Verantwortung, die Geflüchteten mussten ausquartiert werden und waren komplett auf Unterstützung angewiesen. In dieser Zeit saßen fünf Frauen der Gemeinde gemeinsam beim Kaffee und sagten: „Wir machen jetzt was”.

Wenn Mieke Sellin davon erzählt, ist sie in ihrem Element. Die gebürtige Niederländerin spricht schnell und emotional von ihrem Herzensprojekt, zeigt immer wieder Fotos oder Gegenstände. Ihr Mann Burkhart Sellin sitzt ruhig dabei; sie lacht und sagt: „Er macht den Papierkram für den Verein, passt auf, dass arbeits- und steuerrechtlich alles korrekt ist”.

NAOMI wurde 2011 in Thessaloniki in Griechenland gegründet. Momentan erweitert die gemeinnützige Gesellschaft ihre Tätigkeiten, um auch in Deutschland regelmäßig mit Geflüchteten zu arbeiten. Mehr Informationen: naomi-thessaloniki.net.

Nähwerkstatt in Thessaloniki gegründet

Mieke ist Modedesignerin. Woher der Wunsch kam, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren? „Man muss doch was tun”. Christliche Nächstenliebe mag das sein, aber sicherlich auch das Gefühl, privilegiert zu leben und davon etwas abgeben zu wollen.

Beruflich verschlug es das Paar in den 1990er Jahren nach Thessaloniki. Bei einem Besuch in Berlin entschied Mieke, einige Nähmaschinen mit nach Thessaloniki zu nehmen und mit den Geflüchteten eine Nähwerkstatt zu gründen. Ihr fielen Frauen und auch einige Männer ins Auge, die unterbeschäftigt in den Lagern saßen und oft außergewöhnliche Fähigkeiten an der Nähmaschine besaßen. So entstand nach und nach ein Netzwerk.

Heute gibt es eine Werkstatt und in mehreren Camps werden Kurse gegeben. Feste Mitarbeiter*innen leiten die NAOMI-Werkstatt und erstellen die Produkte. Neben den Näharbeiten und -kursen werden auch Deutschkurse angeboten, findet persönliche Betreeung statt und wird für die Unterbringung gesorgt. So entstehen mittlerweile Produkte, die nicht mehr nur privat oder auf lokalen Märkten verkauft werden sollen.

Mieke und Burkhardt Sellin leben inzwischen wieder einen Teil des Jahres in Berlin und engagieren sich auch hier in der Flüchtlingshilfe. Eine vom DRK betriebene Notunterkunft in der Halle des Hockey Clubs Steglitz wurde Ende 2015 ihre Anlaufstelle. Mieke setzte sich einfach an einen Tisch in der „Familienhalle“ und begann, mit den Fingern zu stricken – ohne Nadeln. 

Ästhetisch hochwertige Taschen

Zuerst kamen die Kinder, dann wurden auch die Mütter neugierig und schließlich zeigten auch einige Männer Interesse. Eine Weile lang kamen einige Frauen mit ihren Kindern zum Handarbeiten und Teetrinken auch zu Mieke nach Haus – eine kleine Auszeit aus der Tristesse eines Turnhallenlebens.  Nach und nach entstanden Beziehungen – auch zu anderen ehrenamtlichen Helfern. Die Notunterkunft besteht nicht mehr, wohl aber einige der entstandenen Beziehungen und vorallem die Idee, das Naomi-Projekt aus Thessaloniki an Berliner Verhältnisse anzupassen.

Es soll ein Projekt entstehen, das parallel Qualifizierungs- und Produktionsmöglichkeiten für Geflüchtete bietet, die kurz- und mittelfristig kaum Chancen haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Mit Herstellung und Verkauf der handwerklich und ästhetisch hochwertigen Taschen können die Geflüchteten ein geringes Einkommen erwirtschaften. Dazu haben einige Frauen bereits Anträge bei den Behörden gestellt. Ein gemeinnütziger „Non-Profit“-Verein, der die Vermarktung und Bezahlung der Produzentinnen regelt, ist im Aufbau: Naomi Berlin – Helping Bags.

Genäht wird derzeit unter Anleitung einmal pro Woche in Räumen des Nachbarschaftshauses Schöneberg. Hier können Interessierte nun lernen, Produkte wie Rucksäcke und Taschen anzufertigen. So wie Mariam Moradi aus Afghanistan, Frauen aus Eritrea und Syrien, die teilweise bereits fest im Team sind.

Räume dringend gesucht

Im Grunde braucht solch ein Projekt Räume, in denen Qualifizierung und Produktion getrennt voneinander stattfinden können, Räume, in denen die Nähmaschinen stehen bleiben können, und wo die Termine so gelegt werden können, dass die Frauen sie mit Sprachkursen und anderen Verpflichtungen vereinbaren können. 

Trotz dieser Schwierigkeiten sind die mittlerweile in Berlin hergestellten Produkte so weit perfektioniert, dass sie verkauft werden können – als erste größere Abnehmerin hat sich die taz gefunden. „Wir sind glücklich und stolz, die liebevoll und sorgfältig genähten Textilien im taz Shop anbieten zu dürfen”, betont Sigrid Renner, Leiterin des taz Shops. Zunächst wird nur eine sehr kleine Stückzahl angeboten, doch Mieke und ihr Team nähen fleißig weiter. Die taz wird – genau wie NAOMI – mit den Produkten keinen Gewinn erzielen, sondern lediglich ihre Unkosten decken. Im Angebot sind vorerst Rucksäcke, Taschen und Schürzen.

Neue Ideen

Die neuen Jacken Bild: taz

NAOMI gehen die Ideen nicht aus. Das jüngste Projekt von NAOMI ist die Herstellung von Jacken und Mänteln aus Hilfsdecken der Vereinten Nationen, die im Lager Idomeni verwendet und verteilt wurden.

Zudem werden in den NAOMI-Räumen in Griechenland – und hier in Berlin – immer mehr Menschen angelernt. In Griechenland arbeiten zehn Mitarbeiter*innen bei NAOMI und betreuen 48 Personen in den Werkstätten und bei Kursen.

Jetzt müssen nur noch Räume in Berlin gefunden werden, in denen der in Gründung befindliche Verein arbeiten kann. Hinweise auf geeignete Räumlichkeiten sind deshalb herzlich willkommnen.

NICOLA SCHWARZMAIER, Redaktionsleiterin digitales Marketing, hat sich selbst direkt einen der neuen Rucksäcke gekauft