Und bist du nicht willig...

■ Die Wiederkehr der schwarzen Pädagogik in der „Festhalte-Therapie“

Garmisch-Partenkirchen (taz) – Der vierjährige Andi brüllt wie am Spieß. Er strampelt, schlägt um sich, versucht verzweifelt, sich loszureißen. Ohne Erfolg. Mit unnachgiebigem Klammergriff hält seine Mutte ihn an sich gepreßt, stundenlang, wenn's sein muß, und ohne Unterbrechung, bis Andi den letzten Rest von Widerstand aufgegeben hat und nur noch apathisch in ihren Armen hängt.

Was sich da als Szenario des blanken Horrors vorstellt, firmiert als „Therapie“ gegen „schwierige Kinder“. Entwickelt von der tschechischen Lehrerin und Psychologin Jirina Prekop sei die „Festhalte-Therapie“ die schlichtweg ideale Methode, unbotmäßige Kinder, die der Liebe ihrer Eltern mit Aufmüpfigkeit oder Trotz begegneten oder diese gar rund um die Uhr durch ständiges Herumtoben tyrannisierten, ordentlich auf Vordermann zu bringen.

Jirina Prekop, heute an der Abteilung „Entwicklungsstörungen“ an der städtischen Kinderklinik „Olgahospital“ in Stuttgart tätig, hatte diese Woche auf der „Internationalen Fachkonferenz für Humanistische Medizin“ in Garmisch-Partenkirchen wieder die Gelegenheit, für ihre „Festhalte- Therapie“ zu werben, die sie – „siehe das Archebild: Jakob und Engel“ – als „zutiefst christlich ganzheitlich“ versteht, als „Urform der Nächstenliebe“.

Das „psychisch gestörte“ Kind soll dabei – bestmöglich von einem Elternteil oder aber von einem Therapeuten – gegen seinen Widerstand solange in engster Umarmung festgehalten werden, ohne Verschnaufpause, bis es sich nicht mehr wehre. Falls die Kräfte des Erwachsenen nicht ausreichten, könne auch ein eigener Festhaltegurt verwendet werden – eine Art Zwangsjacke für zwei. Das Festhalten solle möglichst oft, mindestens aber einmal täglich durchgeführt werden. Dauer der Prozedur jeweils rund vier, im Einzelfall auch bis zu sechs Stunden.

Die Festhalte-Therapie, wie Prekop ausführt, sei Panazee (Allheilmittel) gegen jedwede psychische Störung, besonders zu empfehlen bei hyperaktiven sowie bei überängstlichen Kindern. Höchst erfolgreich anzuwenden auch bei geistig Behinderten und bei Kindern, die den Kontakt verweigern (Autisten).

An theoretischer Begründung hat Prekop nicht viel zu bieten: das verhaltensauffällige (= psychisch gestörte) Kind, so behauptet sie, befinde sich allemal in einem Motivkonflikt zwischen der Angst vor und dem Wunsch nach Kontakt. Durch das Festhalten löse sich dieser Widerspruch auf, und das Kind entwickle sich offen für soziale Beziehungen. Keineswegs sei das Festhalten die brutale Vergewaltigung, als die sie vielleicht erscheine (und wie böswillige Kritiker sie beschreiben), vielmehr vermittle sie dem Kind ein Gefühl von Orientierung und absoluter Sicherheit. Nur von außen besehen setze Andi sich zur Wehr, in Wahrheit aber, wie sich letztlich in seiner „Entspannung“ nach vier bis sechs Stunden zeige, wolle und brauche er genau diese Form von Geborgenheit. Als erfolgreich abgeschlossen sei die Therapie zu betrachten, wenn Andi sich zu einem braven und anständigen Buben gewandelt habe.

Wie der Deutsche Kinderschutzbund feststellt, bietet diese „Therapie“ die perfekte Maskerade und Rechtfertigung für Gewalt gegen Kinder: Unerträgliche Machtanmaßung – kaschiert als therapeutisch notwendige Maßnahme, verklärt gar als „gelebte Liebe“ (Prekop) zum Kind. Wenngleich das „erzwungene Halten“ auch bei hiesigen Erziehungswissenschaftlern und Psychotherapeuten als „Wiederkehr der schwarzen Pädagogik“ auf teils heftigste Kritik stieß, avancierte Jirina Prekops Buch „Der kleine Tyrann“ (Kösel 1988) zum unangefochtenen Familien-Bestseller: Wieviel da seither in bundesdeutschen Wohnzimmern herumexperimentiert und an Schaden angerichtet wurde, läßt sich nur erahnen. Untersuchungen hierzu gibt es keine.

Wie es Andi wohl geht? Seit der Therapie tobt er nicht mehr durchs Haus. Er sitzt brav in seiner Ecke – wie es sich gehört. Colin Goldner