Klars kurzer Auftritt in Stammheim

In Stuttgart-Stammheim begann gestern der Prozeß gegen Christian Klar und Peter-Jürgen Boock wegen eines Banküberfalls im Jahr 1979/ Gericht lehnt Einstellungsantrag der Klar-Verteidigung ab  ■ Aus Stuttgart Gerd Rosenkranz

Die beiden Angeklagten würdigten sich keines Blickes. Ein halbes Dutzend Polizeibeamte sorgte für Distanz zwischen Christian Klar und Peter-Jürgen Boock. Im vollbesetzten Stammheimer Prozeßbunker begann gestern das umstrittene Verfahren gegen den RAF-Gefangenen und den RAF-Aussteiger wegen eines Überfalls auf die Schweizerische Volksbank in Zürich im November 1979. Dabei waren eine unbeteiligte Passantin erschossen, eine andere Frau und zwei Polizisten verletzt worden. Die Bundesanwaltschaft wirft den bereits zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilten Angeklagten Mord, mehrfachen Mordversuch und schweren Raub vor.

Christian Klar verlas zu Prozeßbeginn eine Erklärung und wurde anschließend auf eigenen Wunsch („Ich gehe jetzt“) und nach einem kurzen Gerangel mit den Bewachungsbeamten wegen Störung der Verhandlung ausgeschlossen. Die neuen Prozesse gegen ihn und andere RAF-Gefangene aufgrund der Aussagen der in der DDR festgenommenen Aussteiger seien Teil eines „Geiselkalküls“ des Staates, mit dem die „Disziplinierung linker Politik“ in Deutschland verfolgt werde, sagte Klar. Damit solle jede Militanz für weitere zehn Jahre „an die Gefangenenfrage gefesselt werden“, meinte er unter Anspielung auf die Waffenstillstands-Erklärung der RAF vom April. Dazu müsse sich der Staat „an den Kollaborateuren mästen“, die tatsächlich zu der Auseinandersetzung nichts Authentisches mehr beizutragen hätten.

Der RAF-Gefangene, der 1982 festgenommen und später zu fünfmal Lebenslang und 15 Jahren Haft verurteilt wurde, gestand Fehler bei der Zürcher „Geldaktion“ ein, weil es „Opfer unter Unbeteiligten“ gegeben habe. Die Fluchtmöglichkeiten seien im Vorfeld der Aktion unzureichend abgeklärt gewesen, die Schußwaffen zum Teil mit „schlimmer Rücksichtslosigkeit“ benutzt worden. So etwas dürfe einer linken Guerilla nicht passieren. Allerdings habe es keine „absichtlichen Schüsse gegen das Leben ziviler Personen gegeben“.

Das Oberlandesgericht lehnte einen Einstellungsantrag der Klar- Verteidigung ab. Die AnwältInnen Heike Krause und Hans Stängert hatten argumentiert, die Kronzeugen- Aussagen der in der DDR festgenommenen ehemaligen RAF-Mitglieder seien durch „Täuschung und unzulässige Druckausübung erschlichen“ worden und dürften deshalb nicht verwertet werden. Außerdem berge das Kronzeugenverfahren einen „Verstoß gegen die Chancengleichheit“ vor Gericht, weil die Verteidigung über mögliche Geheimabsprachen zwischen Bundesanwaltschaft und Kronzeugen nicht unterrichtet sei. Ein vollständiger Aktensatz der Kronzeugenaussagen sei der Verteidigung verweigert worden. Stängert warf der Bundesanwaltschaft darüber hinaus einen „inneren Widerspruch“ in ihrem Verhalten gegen Christian Klar vor: Tatsächlich hatten die Karlsruher Ankläger das Zürich-Verfahren gegen den RAF-Gefangenen in den achtziger Jahren bereits eingestellt, weil das zu erwartende Strafmaß die lebenslange Freiheitsstrafe nicht wesentlich beeinflussen könne.

Davon will die Bundesanwaltschaft inzwischen nichts mehr wissen. Der Karlsruher Sinneswandel sei kein Widerspruch, erklärte der Vertreter der Anklage, sondern Ergebnis neuer Erkenntnisse. Erst die Aussagen der Aussteiger Henning Beer und Silke Maier-Witt hätten Klars besonderen Tatbeitrag offenbart. Ansonsten habe sich die Verteidigung in ihrem Einstellungsantrag mit „nebulösen Vorwürfen“ begnügt. Geheime Absprachen mit den Zeugen gebe es nicht.

Klar wurde bei seinem Abgang von zahlreichen Zuschauern lautstark verabschiedet. Peter-Jürgen Boock verfolgte das Schauspiel schweigend und sichtlich angespannt. Am Nachmittag lehnte das Oberlandesgericht auch einen Antrag des Boock-Anwalts Johannes Riemann ab, der die Zuständigkeit des Stuttgarter Gerichts bestritt.