Grünkohl mit Dioxin in Duisburg

Im Duisburger Süden wurden drastische Dioxinbelastungen gemessen/ Kleingärtner sollen auf Gemüseanbau verzichten/ Duisburg nur die Spitze des Eisbergs: Belastungen auch anderswo  ■ Aus Duisburg Walter Jakobs

Die Kleingärten im Duisburger Süden sind erheblich mit Dioxin verseucht. Das dort angebaute Gemüse, vor allem Grünkohl, Endivie, Spinat und Mangold, ist für den unbedenklichen Verzehr nicht mehr geeignet. Der Duisburger Umweltdezernent Jürgen C. Brandt empfahl den Kleingärtnern im Duisburger Süden gestern, auf den Anbau dieser Blattgemüsearten zu verzichten.

Vor allem der Grünkohl ist hochgradig verseucht. Nach Darstellung von Brandt wurden Dioxinwerte von 20 bis 66ng/kg Grünkohl-Trockensubstanz gemessen. Das Bundesgesundheitsamt hält für Menschen eine tägliche Dioxinaufnahme von 1 Picogramm (pg) pro Kilogramm Körpergewicht für unbedenklich. Das sei ein Wert, bei „dem gesundheitliche Schäden mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können“. Wer vom Duisburger Grünkohl 1 Kilo pro Tag verzehrt — das entspricht 100 Gramm Trockensubstanz — überschreitet diesen Richtwert je nach Körpergewicht um das Zigfache. Angesichts dieser extremen Werte wird vor dem Grünkohlanbau im gesamten Stadtgebiet gewarnt. „Bei dem gegenwärtigen Kenntnisstand sollte auch in den übrigen industriell geprägten Gebieten Duisburgs der Anbau von Grünkohl eingeschränkt werden“, heißt es dazu in einer Presseerklärung der Stadt.

Mit anderen Worten: Hände weg von dem Grünkohl aus Duisburg, denn der Industriebesatz ist praktisch über die gesamte Stadt verteilt.

In der Presseerklärung des Düsseldorfer Umweltministeriums wurden die brisanten Meßergebnisse gestern erst gar nicht verbreitet. Statt dessen verkündete Umweltminister Klaus Matthiesen, der sich im Rahmen der „Kieselrot-Affäre“ bundesweit einen Namen als Dioxinverharmloser gemacht hat, daß jetzt in NRW die Industrieanlagen, die Dioxin in die Umwelt abgeben, „umwelttechnisch umgerüstet werden“. Die „erste Maßnahme an einer Industrieanlage steht in Duisburg vor ihrem Beginn“.

Damit ist die Firma Berzelius im Duisburger Süden gemeint, die zusammen mit der Duisburger Kupferhütte als Hauptverursacher der Dioxinbelastung gilt.

Die Bedeutung der jetzt gemessenen Werte reicht weit über Duisburg hinaus. Überall, wo vergleichbare Anlagen arbeiten, dürften ähnliche Belastungen vorliegen. In NRW sind nach Auskunft von Matthiesen inzwischen 76 Industrieanlagen als Dioxinemittenten bekannt. Dazu gehören Anlagen zur Roheisengewinnung, Gießereien für NE-Metalle, Chemieanlagen, in denen halogenhaltige Stoffe eingesetzt werden, Altölverarbeitungsanlagen, Spanplattenfakriken und und und...

In den Böden der in Duisburg untersuchten Gärten wurden nach Mitteilung der Stadt zum Teil „erhebliche Dioxinanreicherungen“ festgestellt. Wie hoch die Bodenbelastung im einzelnen ausgefallen ist, vermochte Umweltdezernent Brandt auf der gestrigen Pressekonferenz nicht zu sagen: „Diese Werte sind mir nicht bekannt.“

Sie seien für ihn auch nicht besonders wichtig, denn die Bodenverseuchung „dürften zur Belastung des Gemüses nur unwesentlich beigetragen haben“. Der Lufteintrag sei dafür maßgeblich. Das Düsseldorfer Umweltministerium teilte auf Nachfrage mit, daß Belastungen im Boden zwischen 16 und 75 Nanogramm pro Kilo gemessen worden seien.

Nach Informationen aus der Landesanstalt für Immissionsschutz in Essen, die die Untersuchungen durchgeführt hatte, kennt auch die Stadt Duisburg diese Werte. Wie das mit dem Dementi des Umweltdezernenten zusammenpaßt, ließ sich gestern nicht aufklären. Vielleicht werden die Daten aber auch deshalb zurückgehalten, um die Kleingärtner ruhigzuhalten. Das Bundesgesundheitsamt in Berlin empfiehlt zum Beispiel bei Dioxinbelastungen von mehr als 40 Nanogramm pro Kilogramm Boden nur noch eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung der Böden.

Auf den Anbau bodennah wachsender Obst- und Gemüsearten soll auf solchen Flächen nach Meinung der Berliner Behörde ganz verzichtet werden.