Brandstiftung in den Tacheles-Häusern?

■ Zwei Künstler-Wohnhäuser neben dem Tacheles in der Oranienburger Straße sind nach einem Großfeuer unbewohnbar geworden/ BewohnerInnen sprechen von »fahrlässiger Löschung«/ Es gibt Ansprüche von Alteigentümern auf die Häuser

Mitte. Der Feuerteufel hat 60 KünstlerInnen und Vereinsmitglieder des »Kunst- und Kulturhauses Tacheles« über Nacht zu Obdachlosen gemacht. Von Flammen und Löschwasser zerstört, sind ihre beiden neben dem Tacheles gelegenen Häuser mit knapp 20 Wohnungen derzeit unbewohnbar. Das Feuer, nach Überzeugung der BewohnerInnen »mit großer Wahrscheinlichkeit« von Brandstiftern gelegt, brach gestern kurz nach null Uhr im dritten Stock des Seitenflügels der Oranienburger Straße 53 aus.

Die sofort alarmierte Feuerwehr begann nach der Aussage von Augenzeugen jedoch »erst nach einer Stunde zu löschen«. Folge: Die Flammen erfaßten auch die Dachstühle der Vorderhäuser Nr. 52 und 53 und den »Blauen Salon« des Tacheles. »Ein unglaublich dilettantischer Einsatz«, empören sich die Tacheles-Leute, die wegen dieser auf Fotos und Videoaufnahmen dokumentierten »fahrlässigen Löschung« Anzeige gegen die Feuerwehr stellen wollen.

Die Liste der Vorwürfe der BewohnerInnen ist lang: Die Feuerwehr sei spät, der Einsatzleiter noch später eingetroffen, zuerst nur mit einem Löschfahrzeug, dann mit vieren. Obwohl sie den Männern die besten Einsatzwege zum Seitenflügel gezeigt hätten, seien diese nur »uninteressiert« herumgestanden. Als sie endlich zu löschen begonnen hätten, sei erst ein »uralter« Schlauch geplatzt, dann ein weiterer heruntergefallen. Die ganze Zeit hätte eine Hebebühne ungenutzt herumgestanden, und der Strom sei nicht abgestellt worden. Gegen drei Uhr, als das Feuer schon am Haupthaus leckte, habe 20 Minuten lang niemand auf den Brandherd im »Blauen Salon« gezielt. Dieser sei erst eine Stunde später gelöscht worden.

Der für Theater und Performances genutzte Raum ist nicht völlig zerstört, aber verkohlt. Etwa zur selben Zeit habe die Feuerwehr, die zuvor gerade mal zwei von neun Wasserkanonen auf die Flammen richtete, erneut »eine dreiviertel Stunde lang nicht gelöscht« und an ihren Scheinwerfern herumgebastelt. Erst kurz vor fünf Uhr waren die Flammen erstickt, die Räume standen bis ins Erdgeschoß unter Wasser. »Um sieben Uhr haben wir selbst das Wasser abgedreht, obwohl das Sache der Feuerwehr ist.« Der Pressesprecher der Berliner Feuerwehr konnte sich gegenüber der taz zu den Vorwürfen nicht äußern, da die Löschmannschaft noch schlief. Bei seiner langjährigen Erfahrung könne er sich jedoch »nicht vorstellen, daß die Feuerwehr erst nach einer Stunde löscht.«

Die anwesende Polizei, so die Augenzeugen weiter, sei nicht minder unkooperativ und geradezu aggressiv gewesen. Zeitweise seien sogar Bundesgrenzschützer herumgewimmelt — die Polizei wußte auf Anfrage von nichts —, als die BewohnerInnen die Feuerwehr lauthals auspfiffen. Als gegen halb vier Uhr ein Hausbewohner eine Bierflasche auf einem Auto umstieß, habe sie ihn festnehmen wollen und den Flüchtenden im Hinterhof niedergeknüppelt. Ein anderer, der im Weg stand, sei ebenfalls geschlagen worden. »Die machten den Eindruck, als sei es ihnen nicht unrecht, wenn wir abbrennen«, so ein Tacheles-Bewohner bitter. »Wir passen ja eh nicht in die zukünftige Schickimickigegend.«

Das mögliche Motiv für eine Brandstiftung — die nicht die erste im Tacheles wäre — könnten die heftig gestiegenen Grundstückspreise rund um die »Goldmeile« Friedrichstraße sein. Anders als beim Tacheles selbst, dessen Grundstück der schwedische Skanska-Konzern kaufen will, haben sich für die Wohnhäuser Alteigentümer mit Restitutionsansprüchen gemeldet. Wenn sie nun trotz Denkmalschutz wegen der Schäden abgerissen werden müßten, könnte sich der Wert der Fläche verzehnfachen.

Das Tacheles, das nun vom Bezirksamt als Interimslösung Ersatzräume fordert — zwei Bewohnerinnen sind hochschwanger —, will dennoch die Kaufoption auf die Häuser nicht aufgeben und Überlebenswillen demonstrieren: Die Veranstaltungen im Tacheles gehen weiter. Und: Nach Einbruch der Dunkelheit soll heute als Reaktion auf das Feuer eine »effektvolle« Kunstaktion stattfinden. Ute Scheub