Neue Donnerstagsdemos in Wien: Auferstandener Unmut

In Wien wird wieder jeden Donnerstag gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung protestiert. Zum Auftakt kamen Tausende.

Bild: picture alliance/Georg Hochmuth/APA/dpa

von LAURIN LORENZ und TORBEN BECKER

„Weil ich diese Regierung verabscheue“, funkelte eine Demonstrantin ihre Ablehnung in die Kamera eines Reportageteams während der Donnerstagsdemonstration am 04. Oktober auf dem Wiener Ballhausplatz. Nach Angaben der Veranstalter*innen drängten sich rund 20.000 Personen auf dem Platz zwischen Kanzleramt und Präsidentschaftskanzlei. Die Polizei hingegen schätzte die Teilnehmer*innenzahl auf weniger als ein Viertel davon. Sicher ist: Es waren viele, die gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung auf die Straßen gingen. Und sie wollen es wieder tun. Jeden Donnerstag.

Dieses Protestmuster ist in Österreich bekannt. Bereits im Februar 2000 versammelten sich in Wien rund 10.000 Menschen, um gegen die Regierungsbeteiligung der Haider-FPÖ zu demonstrieren. Die Proteste fanden wöchentlich für die folgenden sechs Jahre statt. Dass die FPÖ Regierungsämter bekleiden durfte, sorgte damals europaweit für Empörung. Die EU verhängte sogar Sanktionen gegen Österreich – Maßnahmen, die beispielsweise 2010 bei der Wahl von Victor Orbán in Ungarn längst nicht mehr erwogen wurden.

Rechte und rechtsextreme Positionen sind Mainstream geworden, das weiß nicht nur Kanzler Sebastian Kurz, sondern auch Can Gülcü, einer der Organisator*innen der aktuellen Donnerstagsdemos. Auf etablierte Institutionen können sie sich daher in ihrem Protest nicht verlassen: „Die parlamentarische Opposition befindet sich noch immer im Selbstbeschäftigungsmodus. Auf sie können und wollen wir nicht warten“, so Gülcü.

Kickl, der Problemfall?

Zudem werden die aktuellen Proteste durch die letzten Ausfälle des Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) befeuert. Denn für viele Demonstrant*innen ist er das ideale Feindbild, weil er als Aushängeschild des aggressiven Nationalismus in Österreich gilt.

Beispielsweise forderte das Innenministerium in einer internen Mail Polizeistellen auf, die Zusammenarbeit mit kritischen Medien einzuschränken. Eine Gefährdung der Pressefreiheit? So verstanden es zumindest viele, auch Vertreter*innen der Journalistengewerkschaft, die in einem offenen Brief Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aufforderten, die Zusammenarbeit mit Kickl zu überdenken. Dessen Verhalten sei für eine Demokratie nicht tragbar, doch Kurz hat sich dazu noch nicht geäußert.

Es stellt sich trotzdem dich Frage, wie gegen eine Regierung politisch protestiert werden soll, die sich laut jüngsten Umfragen noch immer einer bequemen Mehrheit erfreuen kann?

Stimmen der Betroffenen

In erster Linie sollen deshalb jene Menschen, die ganz konkret von den Politiken der Regierung betroffen sind, bei den Demonstrationen sprechen, sich vernetzen und eine Gegenöffentlichkeit aufbauen. „Wir wollen, dass die Kritik von dort kommt, wo die Politik der Regierung ankommt – also von den Menschen direkt“, sagt Gülcü. Deshalb sprachen auf der Bühne Künstler*innen, Pensionist*innen, Menschen mit Armutserfahrung, Migrant*innen, Frauen* und Geflüchtete. Der Duktus ist klar: In Zeiten wie diesen sollen die bürgerliche Zivilgesellschaft, die organisierte Linke und alle anderen Organisationen, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen, sich nicht auf ihre Differenzen konzentrieren, sondern vor allem miteinander handeln.

Es ist ein wichtiger Schritt, niederschwellige Angebote zu schaffen für Menschen, die sich engagieren wollen. Denn in einer vom Krone-Boulevard beherrschten Medienlandschaft werden sozialpolitische Probleme allzuoft mit rassistischen Deutungen aufgeladen. Daher ist es notwendig, dass nun Betroffene der schwarz-blauen Kürzungs- und Ausgrenzungspolitik das Wort auf den Donnerstagsdemos ergreifen und ihre Erfahrungen teilen.

Vorerst soll jeden Donnerstag demonstriert werden, auch diese Woche wieder. Ob das einsetzende Herbstwetter die Demonstrationslust hemmt, wird sich zeigen. Auch bei den Protesten gegen die erste schwarz-blaue Regierung war irgendwann die Luft raus. Doch Gülcü ist gelassen: „Es geht uns nicht um die Quantität. Es sollen nachhaltige Netzwerke entstehen.“

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