Medien und der Strafvollzug: Freiheit in den Knast bringen

Ohne Zugang zu unabhängigen Medien wie der taz kann eine erfolgreiche Resozialisierung nicht gelingen. Ein Einblick.

In der JVA gibt es beschränkte Ausblicke in jeglicher Form, doch mit Knastabos lässt sich das teilweise ändern Bild: dpa

von THOMAS S.

„Böse Menschen“ sitzen im Gefängnis und gehören selbstredend zum ungebildeten, also auch nichtlesenden Teil des Gemeinwesens, so ein bekanntes Klischee. Dies mag in Teilen so stimmen. Nichtsdestotrotz greift es an der Realität vorbei.

Im Paralleluniversum Knast gelten nicht nur eigene Regeln. Sondern oft kommt für die/den einzelne*n Gefangene*n eine Nachjustierung der eigenen Biografie hinzu, seiner Wertorientierungen, ihrer/seiner Rolle. Die Frage nach falschen Entscheidungen, Verantwortung und Schuld gewinnt Raum.

Die Referenzgröße ist hier einerseits die Binnensicht im Gefängnis. Also die Kriterien des Milieus, von dem aber jede*r Gefangene*n weiß, dass es nicht aus Freunden besteht. Hier existiert kein Vertrauen, hier werden nur interessengeleitete Deals geschlossen. Erkenntnisgewinne zum „Wieso bin ich eigentlich hier“ sind eher überschaubar.

Die Chance der freiheitlichen Welt

Andererseits ist der Blick in die große weite Welt der Informationen des freiheitlichen Sektors eher als Flaschenhals zu beschreiben – eng, knapp, selektiv. Kein Internet, kein Smartphone, keine sozialen Medien. Eingeschränkte Fernseh- und Printmedien. Hier werden Briefe noch mit der Hand geschrieben. Ewig grüßt das Murmeltier, jeder Tag ist gleich, denn von einem haben die Insassen genügend: Zeit.

Hier setzt die Chance der freiheitlichen Welt an: einen Ausblick durch seriös und unabhängig recherchierten Journalismus zu ermöglichen. Denn klar ist auch, die Informa­tionsportale, aus denen sich – allein schon aus ihrem sozialen und kulturellen Hintergrund – viele bedienen, liefern Verschwörungstheorien, Propaganda, reale Fake News. Viele der Gefangenen, mit denen wir arbeiten, würden sich in der „Freiheit“ keine Tageszeitung kaufen, Abos gehören nicht in diese Welten. Die meisten haben mit dem Stress ihrer Alltagsbewältigung zu tun. Konfrontation mit Vielfalt

Kein Ort für die Work-Life-Balance

Was uns in der Ausstiegsbegleitung als ausgewachsener IS-Kämpfer oder Nazi-Veteran begegnet, waren nicht selten am Anfang – falsch informierte Menschen. Ich erinnere mich gut an einen Gefangenen, mit dem ich einige Jahre gearbeitet habe und der sich von mir bei jedem Besuch Zeitungen und -artikel, im Endeffekt hunderte, mitbringen ließ.

Für seinen Resozialisationsprozess ein wesentlicher Faktor. Erst in der Konfrontation mit der divergierenden Vielfalt von Meinungen und Sichtweisen erkannte er, wie er in seinen Entscheidungen manipuliert wurde, welche ihn letztlich ins Gefängnis geführt haben.

Jede*r Gefangene behauptet: „Hier komm ich nicht wieder rein“ – das gelingt nicht immer. Kein Ort für die Work-Life-Balance. Dennoch ein Ort, in dem sich für manche Chancen ergeben. In der Sprache der Psychologie nennt sich das „Opening“ beim einschränkenden Vermeiden kognitiver Dissonanzen. Dies ist die offene Tür, bei der Sie Menschen helfen können, durch diese zu gehen.

Thomas S. arbeitet als Ausstiegsbegleiter Extremismus im Strafvollzug.

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