Warum heißen Medien Medien?

■ Das Wort zum Montag: Ein Besinnungsaufsatz mit lebenskundlichen Handreichungen

Warum, um Himmels willen, heißt man jene Anstalten, für die unsereiner in Ermangelung eines honetten Lehrberufs zu arbeiten genötigt ist, Medien? Sind diese denn nicht in Wahrheit Personen, die sich wahnhalber einen Draht zu irgendeiner höhergestellten Macht zusammenspintisiert haben, die mit dieser nichtexistenten Psychoconnection dann Effizienz vortäuschen, schamlos Wirkungsmächtigkeit simulieren, Tische, Gläser und Personen zu bewegen, dreist dem Publikum vorlügen? So ist es. Und nichts anderes sind ja auch die Fernseh- und Zeitungs- und sonstigen unnützen Plappermedien — nur daß der Schmu sich in diesem Falle noch potenziert, weil nicht verdrehte Individuen, sondern ganze machtvolle Anstalten nichtvorhandene Wirkung herbeischwindeln!

Doch Obacht! Ich lüge ja schon, mein sorgfältig gedrechseltes Theorem solcherart gleichzeitig bestätigend und widerlegend! Natürlich haben die Medien Wirkung! Es ist ja gar nicht wahr, daß unser aller Existenz nur ein schwacher Abklatsch großer Romane sei — wie der Optimist Arno Schmidt einst meinte. Unsere Leben sind Abklätsche der Medien, in Sonderheit der Boulevardmedien und der Yellow Press, welche beiden ja bekanntlich Millionenauflagen erzielen, ohne daß — sonderbar! — zumindest mir gegenüber je ein Mensch zugegeben hätte, sie zu konsumieren.

Ich dagegen lese wahllos alles und leugne es nicht einmal. Denn daher kommt der Life Style! Da stehen die Säulen unserer Identität! Beweis: Vor wenigen Jahren stieg ich einer jungen und recht ansprechenden Frauensperson nach, welche auf den Namen Stefanie hörte. Nach zwei erfolglosen erotischen Attacken meinerseits wußte ich mir keinen Rat mehr, als von ihr zu träumen. Ich sah aber im Schlaf versehentlich bewegte Bilder der bekannten Sport- Heroine Stefanie Graf, genannt Steffi. Verstehen Sie das? Ohne meine oben entworfene Hypothese begeistert zu akzeptieren? Na bitte! Oder: Seit ich aus Resignation und allgemeinem Lebensüberdruß begonnen habe, meine gesamte Freizeit mit Fernsehen auszufüllen, erschrecken mich die Bewegungen der einfachen Menschen auf der Straße. Diese Bilder sind nicht kadriert, fasern willkürlich in alle Richtungen auseinander, kennen keine Zeitlupenwiederholung und vor allem keinen zwischengeschalteten Moderator. Auch daß sie nicht wenigstens gelegentlich — abwechslungsweise quasi — ins Schwarzweiße changieren, beispielsweise wenn alte Menschen vorbeigehen, verwirrt und beängstigt mich. Und wenn man dann schon mal fröhlich ist, kommen keine Geigen aus dem Off — bah!

Ich kann das alles nicht zuordnen. Und niemand hilft mir. Wenn ich gehenderweise einen kleinen Heiterkeitshüpfer mache — weil mir vielleicht meine Lebensgefährtin Nettigkeiten gesagt hat, weil mir eine schöne Redakteurs-Übertölpelung gelungen ist oder dergleichen mehr , dann weiß ich nicht, ob ich ihn, den Hüpfer, bei Heinz Rühmann gesehen habe oder beim Aral-Kanister-Mann aus dem Werbefernsehen! Ich hüpfe gewissermaßen automatisch, naturwüchsig. Das kann nicht gesund sein!

Das Leben ist tatsächlich wie das Fernsehen, wie 'Bild‘ und die urberlinische 'BZ‘ (mit dem tollen neuen Kulturteil — arme Westdeutsche!)! Und umgekehrt! Wir verdienen es nicht besser! Beides nicht! Das Leben nicht und die Medien schon gar nicht! Die unerträgliche Kürtenhaftigkeit des Seins, der Psychoterror des Gottschalk-Golodkowski-Syndikats, die wöchentliche Schweinemakerei, der ganze Jauch, der immer und immer wieder über uns... — so sind wir selbst! Aus diesen und anderen Lalling Heads setzt sich unser Wesen zusammen. Machen wir uns nichts vor. Und es ist alles richtig so! Übellaunige Medienkritiker, gebt auf! Wenn es 'Bild‘ und RTL und all die volkspädagogischen Institute nicht gäbe, wüßten wir doch zum Beispiel gar nicht, daß Steffi Graf überhaupt nackt sein kann! Denn nur was es gibt, kann man auch photographisch (beziehungsweise sogar nackig) abbilden. Oder: Was nicht abgebildet wird, ist gar nicht vorhanden! Darum brauchen wir die Medien. Sie bilden und formen und kneten unser Bewußtsein, weil sonst gar keiner wüßte, wozu sie gut sein sollen. Oder irre ich? Arbeiten die Medien doch nur füreinander, in einem geschlossenen Regelkreis tosender Debilität sozusagen — und wir alle, die kleinen Sparer und einfachen Medienkonsumenten, sind nur stupide Statisterie, verblendete noch dazu?

'Bild‘ habe berichtet, sagt Sat.1, damit eine Woche später die 'Bunte‘ beides wild stammelnd von hinten aufrollen kann? Es ist wohl doch so, daß, bei Licht besehen, weder das Fernsehen und die Printmedien noch gar die angeblich wirklich vorhandenseiende Realität tatsächlich existieren beziehungsweise existiert. Es ist alles nur virtuell, gell? Gottlob. Klaus Nothnagel