Die ehrenwerte Dorf-Familie

■ »Little Village« mit John Hiatt, Ry Cooder, Nick Lowe und Jim Keltner

Do you want my job«, fragen die drei adretten Mittvierziger auf der Bühne des Friedrichstadtpalastes in trautem Harmoniegesang, und nicht wenige im freudvoll lauschenden Publikum sind versucht zu antworten: »Aber klar doch, her damit!« Muß doch prima sein, so wie John Hiatt aus Nashville, Tennessee, Ry Cooder, von dem einst die Stones so gern Melodien klauten (und der auch gastweise bei ihnen mitwirkte), wie der ewige Bassist Nick Lowe und ihr drummender Background Jim Keltner das ganze Leben lang durch die Welt und die Studios zu ziehen, hübsche Musik abzusondern und sich — wenn einen der Teufel reitet wie Ry Cooder in Berlin — anstelle der Gage einen fahrbaren Schornstein, sprich: Trabant, auszubitten.

Doch dann schleichen sich Zweifel ein, denn »Little Village«, wie sich die vier Burschen nennen, tun ihren Job wirklich außergewöhnlich gut. Zum erstenmal verrichteten sie ihn gemeinsam, als John Hiatt (der aussieht wie ein Winkeladvokat aus der Lower East Side, aber singt wie eine gesengte Sau) versierte Musiker für sein Album Bring The Family suchte. Das gemeinsame Projekt wurde zum absoluten Renner, die Family zu Little Village, man spielte eine gleichnamige Platte ein und ging, damit sich diese auch gut verkauft, flugs auf Tournee.

Meist ist es nicht ganz unproblematisch, wenn prominente Rock- Künstler sich zu Supergroups zusammenschließen. Nur wenigen gelingt es, wie etwa den Traveling Wilburys, einen eigenständigen Sound zu entwickeln. Entweder die einzelnen Mitglieder gehen in der Band unter und büßen ihre individuellen Stärken ein, oder sie bleiben Solisten, die abwechselnd ihre Lieder spielen, während die anderen jeweils zur Begleitband herabsinken.

Little Village gehören zur letzteren Kategorie. Nick Lowe singt Nick-Lowe-Songs, Ry Cooder spielt Ry-Cooder-Stücke, John Hiatt bleibt John Hiatt und Jim Keltner trommelt dazu. Nur bei einigen Stücken, vorzugsweise den langsamen wie Do You Want My Job oder Big Love, klappt die Symbiose und Hiatts näselnder Nashville-Gesang verschmilzt mit Cooders flirrender Gitarre zu wahrhaft herzzerreißenden Balladen. Aber auch das übrige Programm — die neue Platte, garniert mit einigen älteren Werken — läßt den mit vorzüglicher Akustik gesegneten Friedrichstadtpalast vor Wonne erbeben, denn die vier gesetzten Herren auf der Bühne verstehen ihr Handwerk. Jeder Ton sitzt, jeder Hauch, jedes Raunzen, jeder Baßtupfer, jeder Trommelschlag ist genau kalkuliert. Das birgt wenig Überraschungen, ist glatt wie ein Prélude von Chopin, aber verteufelt gut.

Nick Lowe, mit angegrauter Rudi-Carrell-Frisur, traktiert seine Baßgitarre voller Würde, wie es einem Veteranen geziemt, schlackert ab und zu mit dem linken Bein wie Kermit der Frosch und tänzelt gelegentlich linkisch, so als habe er ein paar Ballettstunden bei Bill Wyman genommen. Ry Cooder, das Haupt von einem Mark-Knopfler-Stirnband umwunden, bewegt sich sparsam und entlockt seinem vielfältigen Gitarrensortiment gelassene und exquisite Melodien. Nur manchmal bricht es aus ihm heraus, als habe er seine Zeit als unfreiwilliger Ghostwriter der Rolling Stones noch immer nicht überwunden, aber nach einigen angedeuteten Keith-Richards-Hüftrollern kehrt er schnell wieder in sich zurück. John Hiatt hüpft emsig auf der Stelle, wagt schüchterne Gitarrenduos mit dem Genossen Ryland und singt, was die Stimmbänder hergeben, und hinter allem thront der voluminöse Jim Keltner, massiv wie ein gefallener Hell's Angel.

Nach anderthalb Stunden praller Musik stimmt Ry Cooder das hinreißend schöne Across The Borderline an, das an dieser Stätte natürlich nicht fehlen darf, zelebriert ein zirpendes Bottleneck-Solo voller Melancholie; und dann zieht sich die ehrenwerte Familie aus dem kleinen Dorf vergnügt winkend zurück. Drei Zugaben ertobt sich das begeisterte Volk, und als John Hiatt abschließend auch noch Lipstick Sunset zum besten gibt, herrscht restlose Zufriedenheit im Saal. Do you want my job? Better keep it for yourself! Matti Lieske