Kältehilfe der Stadtmission Berlin: Das Gesetz der Gleichheit

Die Kältenotübernachtung in der Lehrter Straße 68 bietet Obdachlosen Schutz und Hilfe während des Winters.

Bild: Jon Adrie-Hoekstra

von DÉSIRÉE FISCHBACH

Hilfsangebote für obdachlose Menschen sind ein wichtiges Arbeitsfeld der Berliner Stadtmission. Die Kältenotübernachtung in der Lehrter Straße 68 bietet ihnen Schutz und Hilfe während des Winters. Neben der Kältehilfe bietet die Stadtmission auch Hilfsangebote für Senior*innen, Menschen mit Behinderung, Kinder und Jugendliche, Geflüchtete und Reisende. Die Berliner Stadtmission betreibt aktuell vier Notübernachtungen und ein Nachtcafé in der Hauptstadt.

In der Kältenotübernachtung Lehrter Straße in der Nähe vom Hauptbahnhof treffen sich die Haupt- und ehrenamtlichen Helfer*innen von Anfang November bis Ende März täglich um 19:30 Uhr. Um diese Zeit warten schon etliche Obdachlose auf der Treppe vor der Einrichtung, die ihre Türen um 21 Uhr für ihre Gäste öffnet.

In den 1,5 Stunden vor Eröffnung müssen Brot und Salate geschnitten werden. Es gibt immer einen gemischten und einen Obstsalat. Möglichst klein geschnitten. Die meisten Gäste haben schlechte oder keine Zähne mehr. Ein warmes Essen mit Fleisch oder etwas Vegetarisches wird extern für den Abend zubereitet und angeliefert. Jede*r bekommt so viel, wie er*sie möchte und braucht.

Stammgäste mit Stammplatz

Die Gäste bekommen gleichwohl nur Löffel zum Essen. Messer und Gabeln werden in der Lehrter Straße nicht heraus gegeben. Ebenso wenig wie Cola. Ein Kaffee kostet ein paar Cent. Bei rund 150 Gästen am Abend versucht man Koffein, etwaige Waffen und Stress aus dem Gemeinschaftsraum fern zu halten.

Mitternacht werden die Lichter im Gemeinschaftsraum im Souterrain gelöscht. Hier wird ab 21 Uhr das Essen ausgegeben und verspeist. Ein kleiner Raucherraum steht dort auch zur Verfügung. Die Gäste die, die sich schlafen legen möchten, sind angehalten, auf einer langen Holzbank an der Seite Platz zu nehmen. Ein*e Mitarbeiter*in nimmt die Gäste von dort dann mit hoch in eins der beiden angrenzenden Schlafhäuser.

Um 00:30 Uhr kommen die Kolleg*innen der Nachtschicht zur Ablöse. Bis 8 Uhr morgens dürfen die Gäste bleiben. Mit Kaffee und Frühstück im Magen werden sie  die Lehrter Straße verlassen. Die meisten kehren am darauf folgenden Abend wieder, sitzen gerne am gleichen Platz wie zuvor.

Professionalität hat ihren Preis

Das spricht auch für die Stadtmission. Sie ist professionell organisiert, was wichtig ist bei der Größe und Anzahl der Gäste, die an jedem Abend der Woche in die Lehrter Straße kommen. Monatliche Schichtpläne, freiwillige Sprachkurse für die Helfer*innen sowie  Deeskalationskurse werden angeboten und sind für manche Bereiche, wie die Türschicht obligatorisch. Außerdem gibt es jeden Abend zwei Schichtleiter*innen und zwei professionelle Security Mitarbeiter.

An der Tür arbeiten drei Personen aus dem Team, die aufpassen, dass etwa kein Alkohol mit gebracht wird in die Gemeinschaftsräume.  Dieser muss im Gepäckraum abgegeben werden, wo man auch andere Sachen sicher verstauen kann.

Das alles muss finanziert werden und kann nicht an sieben Tagen in der Woche nur durch Ehrenamtliche aufgefangen werden. Die staatliche Grundfinanzierung reiche der Kältehilfe nicht aus, so Ullrich Neugebauer, Leiter der Kältehilfe. Diese würde durch private Spenden ergänzt und sei dafür auch dringend nötig.

Ullrich Neugebauer sagt in einem Gespräch der taz, dass er nach 25 Jahren jeden Winter wieder gerührt und begeistert sei, wie viele Berliner*innen immer wieder aufs Neue mithelfen und sich einbringen. Sei es durch Geld- oder Sachspenden oder aber durch ehrenamtliche Hilfe.

In der Notkleiderkammer

Es gibt in der Notunterkunft außerdem einen medizinischen Notdienst und die Möglichkeit, sich zu duschen, zu rasieren, sich entlausen zu lassen und eine Notkleiderkammer. In dieser bekommen Gäste, die stark verschmutzte oder zerrissene Kleidung tragen, direkt Ersatz. 

Etliche Gäste sind inkontinent und benötigen dringend noch in der Nacht frische Sachen. Die Notkleiderkammer ist nicht so gut sortiert, wie die große Kleiderkammer der Stadtmission, die tagsüber geöffnet hat für bedürftige Menschen und eine große Auswahl an Kleidung hat.

In der Notkleiderkammer fällt schnell auf, dass viele Berliner*innen Kleidungsstücke in Übergrößen weggeben. Viele Sachen wirken ferner sehr unmodern. Auch sehr viel gebrauchte Kleidung für Frauen ist in der Notkleiderkammer der Stadtmission. 

Was tendenziell aber fehlt und gebraucht wird, sind Schuhe, Wäsche, Jacken und Hosen für vorwiegend junge Männer. Diese Männer sind in der Regel sehr schlank. Ein Leben auf der Straße geht Hand in Hand mit wenig Geld und wenig Essen. Größe XXL ist daher an sich nicht das, was die meisten Gäste brauchen. Ein bisschen stilvoll darf es außerdem sein, denn Kleider machen Leute und jede*r möchte sich auch wohlfühlen in dem, was ihn*sie kleidet.

Heimat für Mensch und Tier

So unterschiedlich die Herkunft und die Gründe für die Obdachlosigkeit sind, die Gäste brauchen alle einen warmen und trockenen Platz zum Schlafen sowie ein warmes Essen. Ein Lächeln, ein gutes Wort, ein Ohr für Sorgen, eine Umarmung sind Extras, die auch verteilt werden in der Notunterkunft der Berliner Stadtmission.

Diese schreibt sich auf die Fahne, dass jeder Gast willkommen ist und gleich behandelt wird, egal ob gesund oder krank, egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung er oder sie ist. Der Leitfaden der Stadtmission sagt unter anderem: „Wir begegnen Menschen und nehmen wahr, was sie brauchen. […] Wir wollen, dass Menschen sich bei uns zu Hause fühlen und Heimat finden.“

Auch die Haustiere der Gäste dürfen mit ins Warme. Diese sind für viele Menschen auf der Straße Partner*innen, Freund*innen, Beschützer*innen und vor allem eins: essentiell. Umso schöner, dass auch für Vierbeiner Futter und Wasser bereit gestellt werden, so dass zumindest für die Zeit, in der sie bei der Stadtmission sind, ein paar Sorgen verschwinden können und alle etwas sicherer sind. Ob mit oder ohne Hund, der aufpasst.

Wer die Berliner Stadtmission unterstützen will, kann dies mit Geldspenden oder Sachspenden tun.