Kader für den Nationalismus

Rechtsextreme Organisationen und Parteien profitieren von den Anschlägen auf Flüchtlingsheime und setzen verstärkt auf Bündnis- politik untereinander. Dabei verschwimmen die Grenzen zu den militanten Organisationen zunehmend. Der Verfassungsschutz fordert inzwischen „höchste Wachsamkeit“, in Behörden wird dagegen nach der Devise „Auslän- der — eine Umweltbelastung“ gehandelt.  ■ VON BERND SIEGLER

Von der Ausländerfeindlichkeit wollen wir nicht profitieren.“ Wolfgang Hüttl, bayerischer Landesvorsitzender der „Republikaner“, will seine Partei, die mit dem Slogan „Das Boot ist voll“ auf Stimmenfang geht, nicht in Zusammenhang mit Übergriffen auf Flüchtlingsheime in Verbindung gebracht wissen. „Wir distanzieren uns energisch von Gewalttaten“, sekundiert sein Amtsvorgänger Harald Neubauer, der jetzt mit der am 3. Oktober gegründeten „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ die „deutsche Rechte vereinigen“ will. Distanzierung von Gewalt gehört zur aktuellen Pflichtübung rechtsextremistischer Parteien. Die Kür absolvieren sie in ihren Parteiblättern und theoretischen Organen sowie bei öffentlichen Auftritten. In bekannter „Ja, aber“-Rhetorik wird Stimmung gegen Flüchtlinge geschürt und unverhohlen Zufriedenheit über die Aktionen gezeigt. „Uns nutzen die Gewalttaten, ohne daß wir ihnen zustimmen“, gesteht der Europaparlamentarier Neubauer. Seiner Meinung nach befindet sich die deutsche Rechte nach der Wiedervereinigung „am Scheideweg“. Es gelte jetzt, den „Widerstand des Volkes gegen Überfremdung“, sprich: ausländerfeindliche Stimmungen und Aktionen, zu nutzen und zu kanalisieren. Um die desolate Verfassung der rechtsextremen Parteien nach der Wiedervereinigung zu verbessern, ist ihnen scheinbar jedes Mittel recht. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen parteipolitisch organisiertem Rechtsextremismus und der sogenannten „militanten Rechten“. „Alles ist im Rechtsextremismus derzeit offenbar im Fluß“, konstatiert denn auch ein wenig hilflos das Bundesamt für Verfassungsschutz und ruft auf zur „höchsten Wachsamkeit“.

Von Parteien zu Kadern

Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung hatten die bundesdeutschen Rechtsextremisten kalt erwischt. Nationale Euphorie setzte sich bei der ersten gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember und den Folgewahlen nicht in Wählerstimmen um. Angesichts des Wahldebakels (am 2.12.: Reps 2,1%, NPD 0,3%) verfiel die deutsche Rechte in eine tiefe Depression. In entscheidenden Publikationen wie 'Nation und Europa‘ (Coburg), 'Junge Freiheit‘ (Freiburg), 'Nation‘ (Reichersbeuern), 'Europa Vorn‘ (Köln) wogten Strategiedebatten. Obwohl die internen Querelen der Reps gestoppt, der finanzielle Ruin der NPD angesichts von gesammelten 300.000 DM Spenden abgewehrt und die „Deutsche Volksunion“ (DVU) dank ihres Wahlerfolgs in Bremen und der Zuwächse in den neuen Bundesländern sich wieder bei 24.000 Mitgliedern zu konsolidieren scheint, mehren sich die Stimmen gegen die die deutsche Rechte in den letzten Jahrzehnten prägenden Organisationsegoismen. Einmal wird eine Bündnisstrategie von „Befreiungsnationalisten, Wert- und Nationalkonservativen und religiös-motivierten Lebens- und Umweltschützern“ ('Europa Vorn‘, Nr.16/91) gefordert. Dann hält Peter Dehoust, Chef von 'Nation und Europa‘, die Zeit reif für einen „Schulterschluß aller Patrioten zu einer wahren Volkspartei“ und favorisiert die „Deutsche Liga“. Rigolf Hennig, ehemaliges Mitglied des niedersächsischen Rep-Landesvorstands, will in den Schulterschluß „Wehrsportgruppen, rechte Skinheads und Kult-Radikale, sowie verschiedene NS-Nachahmer-Vereinigungen“ miteinbeziehen ('Nation‘ 6/91). Bei diesen Gruppierungen würden zwar „echte Überzeugung und spätpubertierender Überschwang“ ein „undurchschaubares Wirrwarr“ bilden, aber für die „demokratische Rechte“ seien sie als „nützliche Idioten zum Schutz gegen besonders infame Tiefschläge von links“ gut zu gebrauchen. Der Ex- Rep und jetzige „Deutsche Liga“- Aktivist Karl Richter, Chefredakteur der rechtsextremen 'Deutschen Rundschau‘, fordert in einem Beitrag für 'Nation und Europa‘ (Nov. 1990) gar den Aufbau von „Kaderorganisationen“, die sich „ihres politischen Standortes bewußt“ seien, „auch ohne Rücksicht auf Mitgliederzahlen und Wählerstimmen“.

Richter orientiert sich damit an einer Strategie, die Michael Kühnen mit seiner „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ und die „Nationalistische Front“ (NF) seit Jahren predigen. Es ist daher kein Zufall, daß die NF seinen Artikel als Flugblatt nachgedruckt hat. Erst seit den letzten Anschlagsserien verstehen auch die Verfassungsschützer die militanten Skinhead-Gruppierungen als „integralen Bestandteil des Neonazismus“. Gerade die NF unterhielt jedoch schon immer beste Beziehungen zur rechtsextremen Skinhead- und Hooligan-Szene. Von den NF-Zentren in Bielefeld und Pivitsheide aus wurden Übergriffe auf AusländerInnen gestartet, in von der NF weiterverbreiteten Zeitschriften wie z.B. 'Der Hetzer‘ wird unverhohlen zur Gewalt gegen Ausländer aufgerufen. „Wenn wir das Schicksal unseres Volkes eines Tages wirklich bestimmen wollen, müssen wir heute Kader bilden“, betont NF-Generalsekretär Meinolf Schönborn. Mit „straff organisierten Kadern“ will er einen „aktiven kämpferischen und aufrechten Nationalismus“ propagieren. Das „Kaderprinzip“ sei ein „wesentliches Merkmal nationalistischer Arbeit“. Nur so könnten „Durststrecken und Rückschläge“ verkraftet werden. Unbehelligt kann inzwischen die NF dafür bei Veranstaltungen der „Deutschen Liga“ Werbung treiben und neue Mitglieder rekrutieren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bescheinigt der NF denn auch eine „bemerkenswerte Aufwärtstendenz“, zumal sie sich das Thema „Revisionismus“ zu eigen gemacht hat. Ihr Versuch, Ende Juni im niederbayerischen Roding dazu einen internationalen Kongreß zu veranstalten, scheiterte zwar an einer Verbotsverfügung der zuständigen Gerichte, bewies aber, über welch gute Verbindungen zur traditionellen Rechten die NF inzwischen verfügt.

Zulauf im Osten

Die Verfassungsschützer befürchten zu Recht, daß die NF mit ihrer „nationalrevolutionären Ausrichtung“ in der ehemaligen DDR gute Chancen besitzt. Schon im Herbst 1990 verlegte sie ihren organisatorischen Schwerpunkt nach Halle und veranstaltete dort Wehrsportübungen. Die derzeit von militanten Rechtsextremisten in Halle zur Festung ausgebauten besetzten Häuser sind Ergebnis dieser Strategie. Zulauf im Osten haben nicht nur rechtsextreme Organisationen wie NPD, DVU oder Reps. 900 der 7.000 NPD-Mitglieder kommen aus den fünf neuen Ländern, die Reps haben Landesverbände in allen Ländern, die DVU in Berlin-Brandenburg sowie Thüringen und will dort mehrere tausend Mitglieder geworben haben. Gerade militante Gruppierungen wie die „Nationale Offensive“ (NO), die in einem gemeinsamen Flugblatt mit der Ostberliner „Nationalen Alternative“ zum Gedenkmarsch für Rudolf Heß am 17.8.91 in Wunsiedel mobilisierte, ziehen gen Osten. Die Hamburger „Nationale Liste“ von Kühnen-Gefolgsmann Christian Worch gab nicht nur der „Nationalen Alternative“ in der Ostberliner Weitlingstraße bei der Formulierung des Programms Hilfestellung, sondern war auch am 31.8.91 federführend an der Gründung der „Sächsischen Nationalen Liste“ in Dresden beteiligt.

Gibt es in der Strategie noch Differenzen zwischen den rechtsextremen Gruppierungen, herrscht inhaltlich und thematisch große Übereinstimmung. Nicht nur die „Überfremdungsproblematik und die damit eng verbundene Ausuferung der Kriminalität“, sondern auch „rein soziale Themen“ und das ohne die sogenannten Ostgebiete zu kleine Deutschland sind die Themen der deutschen Rechten ('Nation Europa‘ 9/91). Über die „Schicksalsfrage des deutschen Volkes“ sind sich alle einig. Auch für Franz Schönhuber, der sich gerne als demokratischer Saubermann in der deutschen Rechten versteht, ist das die „Asylfrage“. Schließlich sollen, so betonte er bei einem Auftritt in Neubrandenburg, „unsere Frauen und Töchter wieder unbehelligt über die Straße gehen können“. Schönhuber macht die Bundesregierung für den „zunehmenden Ausländerhaß“ verantwortlich und dafür, daß jetzt „irregeleitete junge Menschen“ in die „radikal-gewalttätige Szene abdriften“. Damit befindet sich der Rep-Chef in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Kölner Amt macht „fortdauernde Massenaufnahmen von Asylanten und Wirtschaftsflüchtlingen“ sowie „Massenauftritte von Asylbewerbern“ als Grund für ausländerfeindliche Stimmungen und Aktionen aus. „Das Boot ist nicht nur voll, es droht zu kentern“, mahnt Schönhuber, und sein bayerischer Vorsitzender Hüttl wehrt sich dagegen, „daß unser Volk überschwemmt wird“ — „aber das hat mit Ausländerfeindlichkeit nichts zu tun“, beeilt er sich hinzuzufügen.

Schönhubers Intimfeind, DVU- Chef Gerhard Frey, spricht zwar auch von „unsäglichen Anschlägen auf Asylantenheime“, verharmlost diese aber in seiner 'Deutschen Nationalzeitung‘ und 'Deutschen Wochenzeitung‘ als „Exzeßtaten von Rauschtätern, einigen Wirrköpfen (aber auch Agenten und Provokateuren)“. Frey führt seinen Bremer Erfolg darauf zurück, daß er in der Asylfrage den „Nerv der Menschen“ getroffen habe. „Wohnungen statt Asylanten“ und „Ausländerstopp für Bremen“, stand auf den DVU-Plakaten zu lesen. Für die Anschläge und Übergriffe macht der DVU-Chef die Medien verantwortlich. Sie hätten durch „eine sich immer weiter steigernde Hysterie tatsächlicher oder erfundener Untaten an Ausländern Hunderte von irrenhausreifen Nachahmungstätern zu derartigen Verbrechen und Vergehen“ verleitet. Gleichzeitig werde „die Ausländerkriminalität, unter der Millionen Deutsche zu leiden“ hätten, „verschwiegen oder minimalisiert“. (25.10.91)

„Der Wahlerfolg der DVU in Bremen war nur möglich, weil in Hoyerswerda ein Überdruckventil am Topf geplatzt ist“, ist sich Harald Neubauer, Chef der „Deutschen Liga“ (DL), sicher. Daß sich ein Volk gegen „Überfremdung“ wehre, hänge mit dem „Territorialtrieb“ zusammen und sei eine „biologische Gesetzmäßigkeit“. „Ohne Rechte geschähe nichts“, jubelt die 'Deutsche Rundschau‘, die Neubauers DL sehr nahesteht, angesichts der Ereignisse von Hoyerswerda. Mit ihren derzeit 1.600 Mitgliedern will sich die DL auf die Landtagswahl in Baden-Württemberg im April 1992 konzentrieren. Statt auf die Übergriffe einzugehen, spricht die 'Rundschau‘ nur mehr vom „Ausländerterror gegen Deutsche in Deutschland“, der „immer blutigere Formen“ annehme. Schon in ihrer Juni-Ausgabe anläßlich des Begräbnisses des von Zuhältern ermordeten Dresdner Neonazi-Führers Rainer Sonntag resümierte das rechtsextreme Blatt über gewalttätige Skins im Osten: „Die schlagen schneller zu — mag sein.“ Niemand könne aber erwarten, daß sich nach vierzig Jahren Kommunismus „von heute auf morgen eine effiziente, gut durchorganisierte und parlamentsfähige Rechtspartei konstituieren“ könne.

Natur als Schlüsselbegriff

Als „fruchtbaren Beitrag“ zur Debatte über rechte Politik und Strategie betrachtet die 'Deutsche Rundschau‘ ein Thesenpapier der „Jungen Nationaldemokraten“. Darin wird Nationalismus „als antiimperialistischer Kampf“ verstanden und grundsätzlich gegen das „liberal-materialistische Wertesystem“ ins Feld gezogen. Die NPD-Jugendorganisation hat sich schon lange der Ideologie der sogenannten „Neuen Rechten“ verschrieben, die sich bewußt von der Verherrlichung des Nationalsozialismus distanziert und sich als geschlossene, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fundierte Ideologie versteht. Der Neuen Rechten geht es nicht nur um die Nation als politischen Bezugspunkt. „Es geht um die richtige Lebensordnung, um nicht mehr und nicht weniger.“ In das gleiche Horn bläst auch 'Europa Vorn‘, das sich selbst als „neu-rechtes“ Publikationsorgan bezeichnet. „Das Volk macht Druck“, schreibt Chefredakteur und Ex-Rep-Funktionär Manfred Rouhs in bezug auf Hoyerswerda. Er freut sich, daß auch „im eigenen Land die theoretischen Ansätze der Neuen Rechten mehr Bestätigung gefunden haben als jeder andere politische Entwurf“. Ganz nach dem Vorbild der französischen „Nouvelle Droite“ fordert der 'Nation und Europa‘-Autor Hartmut Hesse (5/91), daß die „Natur zum zentralen Schlüsselbegriff, zum Fixpunkt unseres neuen zukunftsorientierten Denkens werden“ müsse. Die Natur sorge für „klare Regeln für Hierarchie“ und setze „ihre art- und systemerhaltenden Normen unbeirrbar“ durch. Aus Naturgesetzmäßigkeiten wird auch die Formel „Ausländer raus“ abgeleitet: „Austausch beschränkt sich auf das Notwendige, Vermischung ist ihr [der Natur, B. S.] ein Greuel.“

Der Vorsitzende der Frankfurter NPD-Stadtratsfraktion, Winfried Krauß, sieht gerade in dem Menschenbild, „das den Menschen als ein im wesentlichen von der Natur bestimmtes Wesen“ betrachtet und nicht an die „Veränderbarkeit“ des Menschen glaubt, eine wesentliche Gemeinsamkeit von „Konservativen und Nationalen“. Wie richtig Krauß damit liegt, bewies jüngst der bayerische Umweltminister Gauweiler, der auf einer Tagung des Bundes Naturschutz in Bayern die Zuwanderung von AusländerInnen als ökologische Belastung der Natur bezeichnet hatte. Auf einer CSU-Kundgebung in Mirskofen forderte Gauweiler dann, man müsse „aus umweltschützerischen Gründen dagegenhalten, daß Bayern ein Einwanderungsland“ sei und werde. „Wir haben den Platz einfach nicht.“ Gauweiler führte den zunehmenden Landschaftsverbrauch auf die Zuwanderung von Ausländern zurück. Wie viele Menschen das Land ökonomisch und ökologisch vertrage, sei nicht durch „links und rechts“, sondern durch die Gesetze von Physik, Chemie, Biologie und Ökologie bestimmt, betonte der CSU-Hardliner.

Der Hoffnungsträger nicht nur der Münchener CSU befindet sich mit solchen Thesen in illustrer Gesellschaft. Nicht nur sogenannte „Ewiggestrige“ wie der schon mehrfach wegen Verbreitung der „Auschwitz-Lüge“ verurteilte Rechtsextremist Otto E. Remer aus Bad Kissingen argumentieren in ihren aktuellen Postillen damit, daß „Abermillionen wesensfremder Menschen die Umwelt zusätzlich belasten“ würden und daß „wir nicht unsere schöne Natur zubetonieren wollen, nur weil wir für Abermillionen Wirtschaftsflüchtlinge Wohnraum bauen“ müßten. Schon im Dezember letzten Jahres hatte die Ausländerbehörde von Wiesbaden einem 31jährigen Iraner nach 13jährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit einer ähnlichen Begründung versagt: „Die hohe Bevölkerungsdichte in der Bundesrepublik und die hieraus resultierenden Umweltbelastungen gebieten es, den Zuzug von Ausländern zu begrenzen.“