DEBATTE
: Die Affäre Dirk Schneider

■ Das Gedächtnis ist kurz bei PolitikerInnen. Wenn es aber die eigene Vergangenheit verklärt, zumal bei solch unappetitlichen Themen wie der Stasi-Tätigkeit bei den Grünen/AL, bedarf es erst recht der Widerworte.

1.Dirk Schneider war, bis zu seiner Wahl in den Bundestag 1983, immer dadurch aufgefallen, daß er das Thema Deutschlandpolitik ausschalten wollte. Erst als Mitglied der ersten Fraktion der Grünen in Bonn entdeckte er sein Interesse. Die Fraktion machte den Bock zum Gärtner, nämlich Dirk Schneider zu ihrem deutschlandpolitischen Sprecher. Das deutschlandpolitische Coming- out des Dirk Schneider begann.

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2.Anfang 1984 wurden Bärbel Bohley und Ulrike Poppe nach Kontakten mit der Bundestagsfraktion der Grünen in Ost-Berlin inhaftiert. Hat Dirk Schneider Informationen geliefert? Die folgenden Solidaritätsaktionen wurden allein von Petra Kelly, Gerd Bastian, Antje Vollmer und mir für den Bundesvorstand der Grünen organisiert. Der deutschlandpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion hingegen blieb, über eine dünne, gezwungene Erklärung hinaus, untätig.

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3.Zur gleichen Zeit begannen die Einreiseverbote für Grüne/AL-Mitglieder in die DDR, die ein solches Ausmaß annahmen, daß fast alle, die Kontakte zu Friedens- und Demokratiegruppen in die DDR hatten, ausgesperrt und somit ausgeschaltet werden konnten. Woher hatte die Stasi derart weitgehende Informationen, fragten wir uns damals. Heute können wir genauer fragen, nämlich: Hat Dirk Schneider Mitglieder der Grünen beziehungsweise der AL an die Stasi denunziert?

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4.Dirk Schneider aber traf sich wenig später mit Prof. Häber, einem Beauftragten der DDR-Regierung. Welch ein Erfolg! Es begannen die „interessanten“ Kontakte zur DDR- Führung. Die Kontakte zu den Menschenrechts- und Friedensgruppen hingegen nahmen ab, wegen der andauernden Einreiseverbote und weil (damals) unerklärlicherweise Termine von der Stasi verhindert werden konnten, wie Gerd Poppe berichtet. Die delikaten Diskussionen um die Besetzung der Delegationen nach Ost-Berlin gerade bei der AL kreisten häufig darum, wer provoziere und damit die offiziellen Gespräche verhindere. Die Auslese funktionierte und sie wirkte sich aus.

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5.Es wurde immer mühsamer, in der AL Solidaritätsaktionen zugunsten der DDR-Menschenrechts- und Friedensgruppen zu erwirken, da dies ja den Kontakten zur DDR-Führung abträglich sein könnte. Wer die blockübergreifende Friedensbewegung in Ost und West oder deutschlandpolitische Fragen zu beantworten suchte, wurde immer mehr ins Aus gedrängt. Wir rannten wie gegen eine Wand; aus dem Schneider- Flügel kamen intrigante Vorwürfe bis hin zu dem des Rechtsradikalismus. Das alles wurde innerhalb der AL unterstützt oder hingenommen. Der Exodus der Aktiven des Berlin-/Deutschland-, des Ost- West- und des blockübergreifend- friedenspolitischen Flügels aus den Grünen/AL begann und war etwa 1986 abgeschlossen.

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6.Das Bedürfnis nach offiziellen Kontakten zur DDR-Führung gewann die Oberhand. Immer seltener wurden Erklärungen gegen die Verfolgung der Menschenrechts- und Friedensgruppen in der DDR als Feigenblatt der Presse übergeben. Und dann — wie von Zauberhand — konnten peu à peu wieder AL- und Grünen-Mitglieder, natürlich bis auf die ganz Hartgesottenen, in die DDR einreisen. Die Schneider-Politik gegenüber der DDR war die richtigere, was zu beweisen gewesen war. Zwar konnte Dirk Schneider später seine 20 deutschlandpolitischen Thesen in der Berliner AL nicht durchsetzen. Aber es war eine deutliche Gewichtsverlagerung in der Berlin-/Deutschland- und der Friedenspolitik der Grünen/AL eingetreten, die nicht abgeleugnet werden kann.

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7.Was Wunder, daß 1989 nach der Öffnung der Mauer den Grünen/AL nicht viel zu diesen Themen einfiel: Es war ja keiner mehr da, der dazu etwas anderes als das Altbekannte herbeten konnte. Die Partei hatte sich zuvor in dieser Hinsicht selbst amputiert und schließlich ging folgerichtig die um das Thema deutsche Einheit kreisende Bundestagswahl 1991 verloren. Schwacher Trost: Mit anderen ging Dirk Schneider an die PDS verlustig.

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8.„Stasi-Spitzel erfolglos“ (taz- Schlagzeile vom 11.10)? Dirk Schneider, dieser Liebhaber „offener Politikformen“ (taz-Interview vom 10.10.) hat nach eigenem Bekenntnis mit der Stasi zusammengearbeitet. Dirk Schneider handelte ohne Zweifel aus Überzeugung. Das machte ihn gefährlich. Wer bei dieser Stasi-Schneider-Connection der Hund war und wer der Schwanz, beziehungsweise wer hier mit wem wedelte — diese Fragen können relativ schnell beantwortet werden.

Es bleibt die Forderung an Grüne/AL: Schonungslos und mit der Gründlichkeit wie im Falle des Berliner Verfasungsschutzes aufzuklären, welches Ausmaß die Stasi- Tätigkeit in den Grünen/AL tatsächlich angenommen hatte: Hat Dirk Schneider Menschen aus den DDR- Menschenrechts- und Friedensgruppen bei der Stasi denunziert und ihnen damit geschadet? Hat er Mitglieder der Grünen/AL bei der Stasi angezeigt und ihnen somit Nachteile zugefügt? Gab es weitere MitarbeiterInnen der Stasi in den Grünen/AL?

Was darüber hinaus Not täte, wäre bei den Grünen/AL in Berlin wie im alten Bundesgebiet eine aufrichtige Aufarbeitung der eigenen politischen Geschichte, zu der auch die politische Karriere Dirk Schneiders gehört: Nämlich der unzureichenden Solidarität und Zusammenarbeit mit der DDR-Friedens- und Menschenrechtsbewegung, der zunehmenden Gefälligkeit gegenüber der Honecker-Regierung, der Aussonderung eines innerparteilichen Flügels, der eine andere Politik wollte, und schließlich der daraus folgenden Unfähigkeit nach dem Fall des DDR-Regimes, mit den neuen Realitäten umzugehen. Rebekka Schmidt

Die Autorin war 1983/84 Bundesvorstandssprecherin der Grünen. Sie war 1983 anläßlich der Bundestagswahl als Gegenkandidatin zu Dirk Schneider bei einer Stichwahl in der AL nur knapp unterlegen. 1986 trat sie aus der AL Berlin aus und ist heute als Rechtsanwältin in Berlin tätig.