Armenien - Georgien - Aserbaidschan: Länderporträts zur taz-Kaukasus-Reise

Die dreizehntägige taz-Reise führt in die drei Länder des Süd-Kaukasus. Zur Einführung hier ein kurzer Überblick der politischen Entwicklung in diesen Ländern von Barbara Oertel.

Armenische Briefmarke - ein Exponat der Genozid-Gedenkstätte in Jerevan Bild: Ruth Aping

Armenien

Im Frühjahr 2018 wurde in Armenien mit der „Samtenen Revolution“ Geschichte geschrieben. Hunderttausende gingen in der Hauptstadt Jerevan und anderen Orten gegen Korruption, Vetternwirtschaft und die schamlose Bereicherung einiger führender politischer Köpfe auf die Straße.

Es waren die größten Proteste in einer ehemaligen Sowjetrepublik seit der Maidan-Bewegung in der Ukraine 2013/2014. Zielscheibe der Proteste war vor allem der damalige Präsident Sersch Sargsjan, der sich am 17. April 2018 zum Regierungschef hatte wählen lassen – eine dreiste Rochade, um an der Macht zu bleiben.

Doch die Demonstrant*innen unter Führung von Nikol Paschinjan, einem ehemaligen Oppositionellen, der auch einige Zeit im Gefängnis verbracht hatte, ließen nicht locker: Nach nur sechs Tagen trat Sargsjan zurück. Am 8. Mai wurde Paschinjan zum neuen Regierungschef gewählt, bei vorgezogenen Neuwahlen am 9. Dezember 2018 holte seine Allianz „Mein Schritt“ knapp über 70 Prozent der Stimmen.

Die Erwartungen an den „Helden der Revolution“ waren riesig, wurden jedoch aus Sicht eines Großteils der Armenier*innen bitter enttäuscht. Paschinjans viel beschworener Kampf gegen Korruption sowie seine Ankündigung, die Transformation des politischen Systems voran treiben zu wollen, blieben leere Versprechen. Ja, schlimmer noch: Seine Kritiker*innen, vor allem auch Journalist*innen, sahen sich schon bald einer ungeahnten Härte vonseiten des Regimes ausgesetzt.

Die Corona-Pandemie traf viele Familien in doppelter Hinsicht: Sie kamen durch Ausgaben für Medikamente und Klinikaufenthalte an den Rand ihrer ohnehin schmalen finanziellen Möglichkeiten. Zudem brachen für viele große Teile ihres Einkommens, das vor allem Männer in Russland verdient hatten, ersatzlos weg.

Der Herbst 2020 brachte eine weitere Zäsur. Der Konflikt mit dem Nachbarn Aserbaidschan um die Region Bergkarabach entlud sich in einem offenen Krieg. Die 44tägigen Kampfhandlungen endeten mit einer schmachvollen Niederlage Armeniens. Nicht nur umliegende Gebiete, sondern auch Teile von Bergkarabach selbst gingen verloren.

Die wegen des Genozids 1915 an über einer Million Armenier*innen ohnehin angespannten Beziehungen zur Türkei erlitten einen weiteren Rückschlag, da Ankara Aserbaidschan militärisch unterstützt hatte. Paschinjan wurde zum Hauptschuldigen erklärt, konnte vorgezogene Parlamentswahlen am 20. Juni 2021 jedoch erneut für sich entscheiden.

Die anstehenden Aufgaben sind immens: Nicht zuletzt müssen Tausende, die nach dem Krieg aus den an Aserbaidschan gefallenen Gebieten nach Armenien Geflüchtete sind, versorgt und integriert werden.

In der Zivilgesellschaft hat sich, allen Widrigkeiten zum Trotz, jedoch einiges getan. Das Bürgerengagement ist ungebrochen, wie beispielsweise die Aktivitäten von Umweltgruppen zeigen. Und: Die Frauen, die im Zuge der Samtenen Revolution sichtbar wurden, sind eine tragende Kraft einer, wenn auch langsamen, so jedoch deutlich wahrnehmbaren progressiven Entwicklung geworden.

2012 wurde dieses neue Parlamentsgebäude in Kutaisi, der zweitgrößten Stadt Georgiens, eröffnet - doch 2019 zogen die Parlamantarier wieder zurück nach Tiflis. Bild: Ruth Aping

Georgien

Die Kaukasusrepublik Georgien - zu Sowjetzeiten als Urlaubsparadies und Exporteur von Zitrusfrüchten und gutem Wein geschätzt - ist heute, 27 Jahre nach ihrer Unabhängigkeit von Moskau, ein zerrissenes Land.

Im August 2008 kam es zu einer Neuauflage des Konflikts, als sich Georgier und Russen mehrtägige Gefechte um Südossetien lieferten. Bei den Kampfhandlungen fielen Georgier*innen in Südossetien ethnischen Säuberungen zum Opfer. Mehrere Ortschaften wurden bis zu 50 Prozent, ein nicht unerheblicher Teil der Infrastruktur sogar ganz zerstört.

Mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens durch Russland scheinen diese beiden Gebiete für Georgien auf unabsehbare Zeit verloren zu sein. Davon zeugt auch der Umstand, dass, trotz einer ständigen Beobachtermission der Europäischen Union, sich die mittlerweile de facto-Grenze zu Südossetien immer weiter auf georgisches Territorium vorschiebt.

Auch die Hoffnungen all jener Georgier*innen auf eine nachhaltige Demokratisierung von Staat und Gesellschaft, die 2003 im Zuge der sogenannten Rosenrevolution mit wochenlangen Demonstrationen den Rücktritt der Regierung erzwangen, haben sich bislang allenfalls in Ansätzen erfüllt. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen kritisierten bald vehement den autoritären Regierungsstil des einstigen Hoffnungsträgers und späteren Präsidenten Michail Saakaschwili, der die Medienfreiheit einschränkte und Andersdenkende verfolgen und inhaftieren ließ.

Bei der Parlamentswahl von 2012 gewann die Partei „Georgischer Traum“ des Milliardärs Bidzina Iwanischwili und vier Jahre später konnte sie ihren Sieg wiederholen. Doch der neuerliche Erfolg der Partei Iwanischwilis, der sich inzwischen zwar offiziell aus der Politik zurückgezogen hat, aber immer noch die Fäden zieht, konnte schon damals nicht über die schwindende Popularität der Partei wie ihres Patrons hinwegtäuschen.

Das zeigte sich mit aller Schärfe im Sommer 2019. Ein Auftritt des russischen Abgeordneten Sergej Gawrilow in Tiflis, der auf dem Sessel des Präsidenten in der georgischen Volksvertretung Platz genommen hatte, führte zu Massenprotesten. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und Polizeikräften wurden rund 240 Menschen zum Teil schwer verletzt.

Der damalige Innenminister Giorgi Gacharia, der für den Einsatz der Sicherheitskräfte verantwortlich war, wurde im Herbst 2019 nach einer Kabinettsumbildung sogar noch mit dem Posten des Regierungschefs belohnt. Diese Entscheidung führte zu weiteren Verwerfungen in der Gesellschaft.

Dabei war Georgien – 2017 hob die EU die Visapflicht auf - in Sachen Demokratisierung lange als Vorbild für die Region gehandelt worden. Doch das Land kommt nicht zur Ruhe. Immer wieder machen die Menschen ihrem Unmut auf der Straße Luft.

Das war auch 2020 so. Der Streit über eine Reform des Wahlrechts (hin zu einem Verhältniswahlrecht), um die Vorherrschaft des „Georgischen Traums“ zu brechen, erhitzte monatelang die Gemüter. Eine Einigung konnte erst im Herbst 2020 kurz vor den nächsten regulären Parlamentswahlen und nur unter internationaler Vermittlung erreicht werden.

Doch zur großen Enttäuschung vor allem vieler junger Aktivist*innen kam der „Georgische Traum“ bei dem Urnengang am 31. Oktober wieder auf eine komfortable Mehrheit und stellt aktuell 90 von 150 Parlamentsabgeordneten.

Im Juli 2021 geriet Georgien erneut in die Schlagzeilen – auch in internationalen Medien. Am 5. Juli artete eine geplante Kundgebung von Vertreter*innen der LGBTQ-Community, die letztendlich abgesagt wurde, in eine Gewaltorgie aus. Über 50 Journalist*innen wurden von Rechten angegriffen, die Polizei schritt nicht ein. Wenige Tage später erlag ein Kameramann seinen schweren Verletzungen.

Eine besonders unrühmliche Rolle spielte die Orthodoxe Kirche – von jeher ein Bollwerk des Konservatismus in Georgien. Kirchliche Würdenträger befeuerten die aufgeheizte Stimmung noch zusätzlich, einige Priester wurden sogar selbst handgreiflich. Der Ausgang dieses Kräftemessens ist noch ungewiss.

Doch vor allem junge Aktivist*innen, die sich gut vernetzt und in zahlreichen Organisationen zusammengeschlossen haben, wollen sich nicht länger gängeln lassen und fordern ihr Recht auf demokratische Teilhabe ein. Sie sowie ein wachsender Teil der Bevölkerung sehen den Platz ihres Landes in Europa.

In Baku ist der neue Ölreichtum überall sichtbar Bild: Archiv

Aserbaidschan

Die Republik Aserbaidschan ist mit knapp zehn Millionen Einwohnern, von denen die Mehrheit schiitische Muslime sind, der bevölkerungsreichste Staat in der Region. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 42,6 Milliarden Dollar (2020) ist das an Öl- und Gasvorkommen reiche Land, das nach der Unabhängigkeit einen rasanten Aufschwung hingelegt hat, auch die größte Volkswirtschaft im Südkaukasus.

Nicht zuletzt dieser Umstand hat Aserbaidschan zu einem einflussreichen Spieler in der Region werden lassen. Seit 2003 regiert hier Staatspräsident Ilham Alijew mit eiserner Hand. So erhielt noch keine Wahl seit seinem Amtsantritt das Gütesiegel „frei und fair“. Widerspruch duldet Alijew, der sich bei einem Referendum im Jahr 2016 vom Volk mit größeren Vollmachten ausstatten ließ, nicht. Andersdenkende jedweder Couleur landen nicht selten im Gefängnis.

Kritische Medien, die die weit verbreitete Korruption innerhalb des Alijew-Klans unter die Lupe nehmen, werden mundtot gemacht. So führt die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen in ihrem Index über die Pressefreiheit 2021 Aserbaidschan auf Platz 167 von insgesamt 180 Staaten.

Der Sieg gegen Armenien 2020 im Krieg um Bergkarabach stärkte die Position von lham Alijew. Selbst seine größten Kritiker*innen versammelten sich hinter dem Autokraten. Der militärische Erfolg wird nachhaltig zelebriert. So wurde vor mehreren Wochen in der Hauptstadt Baku ein „Trophäenpark“ eröffnet, in dem erbeutetes armenisches Kriegsgerät, wie Waffen und Helme, besichtigt werden kann.

Doch ungeachtet seines rigiden innenpolitischen Kurses ist Ilham Alijew um eine positive Außendarstellung seines Landes bemüht. Besonders die Ausrichtung internationaler sportlicher Großereignisse, wie die diesjährige Fußball-Europameisterschaft oder das Rennen der Formel-1-Weltmeisterschaft „Großer Preis von Aserbaidschan“ im vergangenen Juni, nutzt die politische Führung gerne und ausgiebig zu Marketingzwecken.

Zudem lässt sich Alijew auch positive Lobbyarbeit ausländischer „Freund*innen Aserbaidschans“ einiges kosten. In diesem Zusammenhang sind auch einige Vertreter*innen der CDU/CSU aufgefallen, deren Engagement bereits erste Konsequenzen hatte.

Mittlerweile hat sich die Siegeseuphorie wieder etwas gelegt und in Aserbaidschan ist wieder der Alltag eingekehrt. Das bekommen vor allem auch kritische Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zu spüren, die es ohnehin schwer haben, sich zu behaupten.

Dennoch gibt es einige, wenn auch kleine, Fortschritte zu verzeichnen. Dabei sind besonders die Menschenrechtsaktivisten zu erwähnen, die an einer politischen Lösung des Konfliktes um Bergkarabach arbeiten und sich damit um eine Aussöhnung mit dem verfeindeten Nachbarn Armenien bemühen. Das ist allerdings jetzt nach dem jüngsten Krieg um Bergkarabach ein noch risikoreicherer Balanceakt.

Naira Gelaschwili vom "Kaukasischen Haus" in Tiflis bei der taz-Reise 2014 Bild: Ruth Aping

Akteure der Zivilgesellschaft im Focus der Reise

Die Reise bemüht sich vor allem, einen Einblick in die Arbeit ganz verschiedener Akteure der Zivilgesellschaft zu geben. Sie sind mitunter massivem Druck ausgesetzt; besonders diejenigen, die sich um die Versöhnung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen auch über die Grenzen Georgiens und Armeniens hinaus bemühen und verdient gemacht haben, werden wohl noch einen langen Atem brauchen.