Endstation Elend. Bitte zusteigen!

■ Neuanfang nach 20 Jahren kulturpolitischer Theatervernichtung? Rückblickend eine letzte Warnung

hierhin bitte

das Foto von der

ruinösen Halle

alle bitte

mit Rand

Der 13. August der Sozialdemokratie: Abriß des Schlachthofes 1979Alle Fotos: Archiv

Die Findungskommission sucht. Alle Spitzenpositionen des Bremer Theaters — Intendanz, Schauspiel, Musiktheater, Verwaltung, Technik — sind neu zu besetzen. Zu vergeben ist ein Haus mit neuen Werkstätten und runderneuerter Technik; außerdem mit einer noch recht frischen Spielstätte für das Schauspiel.

Allerdings: Das Theater wurde auf Pump umgebaut, mit Kosten und Zinsen ist sein Etat auf Jahre hinaus belastet. Wenn sich der Senat nicht entschließt, die Kosten nachträglich doch noch zu über

Suchkommission für eine Gelegenheit, das Bremer Theater endgültig zu ruinieren?

nehmen, dann dürfte die Findungskommission auf Dauer eine erfolglose Suchkommission bleiben.

Die aktuelle Situation ist entweder eine Chance für einen Neubeginn des Bremer Theaters, oder sie ist die Gelegenheit für die sozialdemokratische Kulturpolitik

der Stadt, das Theater endgültig zu ruinieren.

Erfahrung damit hat sie; vor zehn Jahren, zur Spielzeit 1981/82, war es der Bremer Kulturbürokratie schon einmal gelungen, das Sprechtheater abzuschaffen. Die senatorische Findungskommission wird nun erleben, was mehr wiegt: der alte, gute Ruf des Bremer Theaters oder der abschreckende Leumund, den sich die Bremer Kulturpolitik mühsam erworben hat.

Als das Bremer Schauspiel noch etwas galt, galt es etwas vor allem außerhalb von Bremen. Und dort galt es in den elf Jahren des Intendanten und Regisseurs Kurt Hübner (von 1962 bis 1973) als die einflußreichste Schule des bundesdeutschen Theaters. Von hier kamen — und einige der Namen kannte, als sie in Bremen anfingen, kaum einer — die Regisseure Peter Stein, Peter Zadek, Wilfried Minks, Rainer Werner Faßbinder, Klaus Michael Grübner, Hans Hollmann, Hans Neuenfels und Johannes Schaaf, die Schauspieler und Schauspielerinnen Edith Clever, Jutta Lampe, Margit Carstensen, Bruno Ganz, Hans Peter Hallwachs, Michael König und Rolf Becker, die Dramaturgen Hans Peter Doll und Burkhard Mauer.

Diese Truppe entwickelte in risikoreicher, offener Arbeit, was Bruno Ganz eine Revolutionierung des Materials genannt hat und was Günther Rühle so beschrieb: Das Bremer Theater wurde das einzige, das seine eigene poetische Sprache entwickelte. Bremer Stil: Das war der Ausdruck dafür. Das Theater bekam hier — wo darstellende und bildende Kunst sich integrierten zu einem Artefakt, der selber Realitätscharakter annahm — den Produktionscharakter der modernen Kunst.

Dem Bremer Publikum war dieses Theater alles in allem eher unbequem, und schließlich wurde Hübner von dem damaligen Kul tursenator Moritz Thape vergrault. Als Nachfolger wurde Peter Stolzenberg aus Heidelberg geholt, der nur die eine Ambition zu bestizen schien, die Abonnenten wieder zu beruhigen. O'Caseys Ein Stern wird rot setzte Stolzenberg wegen linksradikaler Tendenzen ab, ohne daß er dazu hätte aufgefordert werden müssen. Die einzige bleibende Tat dieses Intendanten war, daß er den Zuschauerraum des Theaters verkleinerte; bei weniger Plätzen konnte er mit höherer Auslastung argumentieren.

Beachtenswertes spielte sich nur noch am Rande ab: Da war im Concordia George Taboris mit psychoananlytischem Theater ex

hierhin die Wand

mit Kran

perimentierende Gruppe, und da war, auch damals schon bundesweit beachtet — Hans Kresniks Tanztheater. Den Niveauverfall beim Schauspiel bemerkte die Kritik der Bremer Zeitungen kaum; sie gab sich vielmehr irritiert, als Thapes Nachfolger Horst Werner Franke 1978 Stolzenberg nach Heidelberg zurückschickte und gegen Arno Wüstenhöfer eintauschte. Der holte sich fürs Schauspiel Frank Patrick Steckel.

Beim Bremer Publikum eckte Steckel an; als das Ensemble des Schauspiels sich nach einer Aufführung gegen eine öffentliche Rekrutenvereidigung an das Publikum wandte, kündigten prompt 175 Abonnenten und kündigten an, sie wollten künftig zwecks Theatererlebnis nach Bremerhaven reisen. Überregional war das Bremer Theater plötzlich wieder wer. eine Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater heute machte 1979 das Bremer Theater zum Theater des Jahres.

Der neue Glanz hielt nicht lange: 1981 wurde das Schauspielensemble aufgelöst. Es gab einen Arbeitskonflikt, der darin bestand, daß die Schauspieler mehr arbeiten wollten, als sie durften, und es stellte sich heraus, daß das Ensemble mit falschen Versprechungen nach Bremen gelockt worden war.

Das Schauspiel hatte sich nämlich im Haus am Goetheplatz dem Terminplan des Musikthea ters unterzuordnen. Auf dem Jahresspielplan standen sieben Opern und Operetten und lediglich drei Produktionen des Schauspiels. Es gab Monate ohne eine einzige Schauspiel-Aufführung, manchmal war nach einer Premiere sechs Wochen Pause — dann mußte praktisch neu geprobt werden. Die Schauspieler schließen sich mit mir zehn Wochen auf der Probebühne ein, um dann anschließend nicht aufzutreten, klagte Regisseur Frank Patrick Steckel.

Dem Ensemble war eine Spielstätte im leerstehenden Schlacht

„Als die Schauspieler in Bremen anrückten, war der größere Teil des Schlachthofes bereits abgerissen“

hof in Aussicht gestellt worden, zusammen mit einem Architekten hatte es dafür Pläne gemacht. Als die Schauspieler in Bremen anrückten, war der größere Teil des Schlachthofs bereits abgerissen worden. In der stehengebliebenen Fleischmarkthalle feierte das Ensemble seinen ersten und größten Erfolg, Steckels Inszenierung von Hans Henny Jahnns als un

hierhin die

aufgerissene

Halle

spielbar verschrieenem Stück Die Krönung Richards III. Als danach die Schauspieler aus ihren ersten Sommerferien zurückkamen, war auch diese Halle abgerissen. Am 12. August 1979 hatte noch Frankes Kultur-Senatsrat Opper über eine Nutzung der Halle öffentlich nachgedacht, am 13. August rückten die Abrißbagger an.

Auch nach dieser Erfahrung gab das Ensemble nicht auf. Während Senator Franke an einem Kulturentwicklungslan bastelte, formulierten die Schauspieler Zehn Punkte zur Zukunft des Bremer Schauspiels und schlugen vor, sich ihre Spielorte künftig selbst zu suchen: in Industriehallen, leerstehenden Gebäuden oder auf Plätzen. Das Haus am Goetheplatz wollte man dem Musiktheater überlassen. Regisseur Steckel: Uns ist jeder Raum recht, der größer ist als die Herrentoilette im Theater.

Die sozialdemokratische Kulturverwaltung erledigte die Initiative auf ihre Art. Der Aufsichtsrat der Theater GmbH (Vorsitzender: der Kultursenator) forderte konkrete Spielpläne binnen zwei Wochen und wollte die Schauspieler lieber mit kleinen Produktionen durch die Bürgerhäuser und Kneipensäle schicken als ein großzügiges Raumtheater zu ermöglichen. Außerdem wurde der Schauspieletat gekürzt.

Als weiterer bürokratischer Bremser erwies sich der Theater- Personalrat, der seine Zustimmung von seiner Mitsprache im Programm abhängig machte. Senator Franke seinerseits bestand im Aufsichtsrat auf der Zustimmung des Personalrats.

Das Ensemble reagierte, indem es ein selbständiges Schauspiel-Direktorium mit eigenem Etat forderte. Nun blockten Intendant Wüstenhöfer und Verwaltungsdirektor Dünnwald. Sie kündigten den Köpfen des Schauspiels; die meisten Schauspieler kündigten ihrerseits.

Jetzt konnte der Senat eine originelle Variante sozialdemokratischer Kulturpolitik verwirklichen: Ebenso sparsam wie radikal entschied er, daß Bremen — vorerst — gar kein Schauspiel brauche. Die Abonnenten wurden mit Gastspielen versorgt, und zehn verbliebene Schauspieler mühten sich schlecht und recht, die Kammerspiele in der Böttcherstraße en suite zu bespielen.

Das Ensemble, das ohne feste Spielstätte gearbeitet hätte, war gekündigt — nun besann man sich doch aufs Bauen. Das Schauspielhaus entstand, und jetzt wurden neue Werkstätten errichtet und das Haus am Goetheplatz für die Bedürfnisse vor allem der Oper modernisiert.

hierhin bitte

die Großaufnahme

Trümmerhaufen

Keins der Schauspielensembles, die es in Bremen seither gab, hat das Schauspielhaus überzeugend wieder füllen können. Und jetzt ist wieder tabula rasa angesagt. Die Findungskommission des Senats, die die Intendanz, die Leitungen von Schauspiel und Musiktheater, die Direktionen von Verwaltung und Technik zu besetzen hat, wird bald herausfinden, was stärker im Gedächtnis der Theaterleute wirkt: Bremen als eine der lebendigsten Theaterlandschaften unter Hübner in den 60er und 70er Jahren oder der Bremer Theatertod von 1981, die Art, in der Bremer Kulturpolitik mit ihrem (unserem) Theater umgeht. Denn damals, vor zehn Jahren, da standen sie alle noch einmal hier auf der Bühne: Peymann, Flimm, Minetti und viele andere, um gegen die Bremer Theaterpoltik zu protestieren. Peter Dahl