Independentmusik in Berlin: z.B. Interfisch-Records

■ Von kleinen, unabhängigen Plattenfirmen, die nichts verkaufen, von Clubs in Kreuzberg, in die keiner mehr geht, von der Freude am Singen, auch wenn's schrill klingt, von einem Senatsrockwettbewerb, der den Gewinnern auch nicht weiterhilft und einem Rockmusikarchiv, das Lücken hat

In Berlin produzieren neben den sechs großen Plattenfirmen wie CBS, Ariola usw. zirka 22 unabhängige, kleine Plattenfirmen.

Diese „Independence-Labels“ veröffentlichen die Musik unbekannterer Bands, an denen die großen „Major Companies“ bis dahin kein Interesse zeigten. Auch bieten die „Indies“ den Bands höhere Gewinnbeteiligungen und freiere Verträge als die „Majors“.

Der Trend zu „Independence“ begann Anfang der Achtziger. Mittlerweile ist der Musikmarkt in Deutschland mit unabhängigen Plattenveröffentlichungen übersättigt. Alleine bei dem EFA-Vertrieb (Energie Für Alle) in Hamburg kommen monatlich rund 200 Neuerscheinungen aus dem In- und Ausland herein.

Trotz der Absatzschwierigkeiten auf dem Schallplattenmarkt tauchte aus dem Berliner Untergrund 1988 ein weiteres Label auf. „Interfisch-Records“ startete zunächst mit drei LPs der Szenebands Iao (In and Out), No zen und Temple Fortune, hinzu kamen dann später die Space Cowboys und die englische Formation Clock dva.

Mitten in der ersten „House„-Welle, die über Berlin schwappte, wurde zeitgemäß die Unterabteilung „Big Sex Records“ ins Leben gerufen. Das pure „Dancefloor-Label“ veröffentlicht Berliner „House„-Musik, die sich international messen kann. „Wenn du einen Club aufmachst oder ein paar Parties organisierst, machst du mehr Geld, als wenn wir 5.000 Platten von Temple Fortune verkaufen würden. Aber ein Label zu gründen war schon immer mein Ding“, erklärt Dimitri Hegemann, bekannt als Veranstalter des „Atonal„-Festivals. Zusammen mit Iao-Musiker Achim Kohlberger gründete er die Plattenfirma „Interfisch“.

Bereits 1986 riefen die beiden das „Fischbüro“ in Kreuzberg 36 ins Leben. Im „Büro“ trafen sich Maler, Musiker, Redner; all jene, die Hegemann den „zwanglosen Haufen abgerutschter Intelligenz Berlins“ nennt. Um das Rednerpult des „Fischbüros“ bildete sich ein Forum, welches in regelmäßigen Sitzungen nach unbegrenzten Ausdrucksformen suchte und forschte; die Grundidee auch für das „Atonal„-Festival. Ein Vergleich mit der Dada-Bewegung der 20er Jahre in Berlin wäre sicher zulässig. Doch das „Fischbüro“ konnte sich finanziell nie tragen. Hegemann und Kohlberger eröffneten daraufhin die Szenekneipe „Fischlabor“ in Schöneberg. Aus dem „Fischlabor“ stammte dann endlich das Geld zur Gründung von „Interfisch-Records“ und später zu dem Lizenzeinkauf der Band Clock dva aus Sheffield. Bis Clock dva die erste Scheibe lieferte, war alles Geld für die Plattenproduktion und die Promotion draufgegangen. Doch jetzt, kurz vor der dritten Clock dva-LP, die mit 8.000 LPs und 3.000 CDs auf den Markt kommt und einer Tournee durch Amerika und Japan, rechnet „Interfisch“ damit, aus den roten Zahlen zu kommen. Profit pro Platte: Drei D-Mark für das Label und drei D-Mark für die Band. Fazit: Eine englische Band finanziert die idealistischen Produktionen von Berliner Bands.

Temple Fortune, No Zen und Iao, die verkaufen nicht viel, aber die ziehen wir weiter mit durch. Die haben Substanz und Ausdauer, das zählt. Gruppen wie Nick Cave oder Laibach haben auch zehn Jahre lang Geduld gehabt und gearbeitet. Das fehlt den meisten Bands hier in Berlin. Ansonsten ist unsere Euphorie eher Sachzwängen gewichen. Für Gutmütigkeit haben wir schon einiges zahlen müssen. Jetzt orientieren wir uns eher an der Industrie“, resümiert Dimitri Hegemann. Die Verträge von „Interfisch“ sind jetzt 32 Seiten lang, von Spezialisten ausgearbeitet, und sichern der GmbH die Rechte auf drei weitere LPs. „Sonst baust du 'ne Band auf, und dann ist sie weg; keine Kohle. Profis lachen sich darüber tot.“

Karsten Wolff