Mordprozeß oder Abrechnung mit der PKK?

Ab Dienstag stehen im Düsseldorfer Oberlandesgericht 19 Kurden im sogenannten PKK-Prozeß auch wegen Mordes vor Gericht / In dem höchst umstrittenen Verfahren nach Paragraph 219a sehen sich die Angeklagten als Opfer eines politischen Verfahrens gegen den kurdischen Widerstand in der Türkei  ■  Von J.Gottschlich und J.Voges

Allein gemessen an der Zahl der Beteiligten wird es ein Prozeß der Superlative werden. 19 Angeklagte, entsprechend viele Verteidiger und noch einmal soviele vom Gericht bestellte „Sicherungsverteidiger“, bereits jetzt benannte Ersatzrichter und eine schon von Beginn an auf zwei Jahre terminierte Verhandlungsdauer machen diesen Prozeß zu einem Novum in der bundesdeutschen Justizgeschichte. Doch nicht nur die schiere Quantität, auch die Qualität der Anklage und die angeklagten Personen machen das Verfahren zu einer höchst umstrittenen Veranstaltung.

Die 19 Angeklagten sind ausnahmslos Kurden. Allen gemeinsam wirft Generalbundesanwalt Kurt Rebmann vor, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein, und sich Vergehen nach §129a Strafgesetzbuch schuldig gemacht zu haben. Nach der Definition der Bundesanwaltschaft (BAW) besteht die „terroristische Vereinigung“ aus Mitgliedern der Kurdischen Arbeiter und Bauernpartei (PKK), die innerhalb dieser Partei den Bereich „Parteisicherheit, Kontrolle und Nachrichtendienst“ bilden, und deren Aufgabe unter anderem in der „Bestrafung“ - laut Rebmann ein Synonym für Liquidierung - von „Verrätern“ und Feinden besteht.

Warum die Bundesanwaltschaft die PKK nicht insgesamt als „terroristische Vereinigung“ einstuft, ist aus der Anklage nicht ersichtlich. Denn danach sollen alle in Frage stehenden Delikte, angefangen bei Mord über Freiheitsberaubung, Nötigung, Raub bis hin zu Urkundenfälschung, auf Anordnung der PKK-Parteiführung in Damaskus oder der europäischen Zentrale in Köln durchgeführt oder wenigstens gebilligt worden sein. Entsprechend werden auch angebliche Führungskader als Auftraggeber oder Mitwisser angeklagt, ohne daß ihnen die Bundesanwaltschaft eine konkrete Tatbeteiligung vorwirft.

Politisch hochgehängt

Beide Seiten, sowohl die Bundesanwaltschaft als auch die PKK, messen dem bevorstehenden Prozeß eine Bedeutung zu, die noch weit über den eigentlichen Verhandlungsgegenstand hinausgehen. Für Rebmann (siehe auch nebenstehenden Artikel) hat sich „die terroristische Bedrohung“ der inneren Sicherheit von der RAF weg zu ausländischen Organisationen und an deren Spitze die PKK - hin bewegt. Das vorhandene, mit drohender Arbeitslosigkeit konfrontierte Repressionspotential kann also gegen solche Organisationen eingesetzt werden.

Für Abdullah Öcalan, dem zwischen Libanon und Syrien pendelnden Chef der PKK, ist der Prozeß nichts weniger als ein geplanter, gut vorbereiterer Schlag gegen den kurdischen Befreiungskampf, bei dem der westdeutsche Imperialismus im Auftrag der Nato und zur Unterstützung der türkischen Faschisten die Speerspitze der Konterrevolution bildet. „Der Prozeß“, so Öcalan in einer Rede im April dieses Jahres, „hat den Rahmen eines juristischen Prozesses längst gesprengt und ist zu einem rein politischen Verfahren geworden.“

Rebmanns langer Arm

Hauptanhaltspunkt für diese politische Würdigung ist die tatsächlich abenteuerliche 129a-Konstruktion der Bundesanwaltschaft. Da Rebmann ausländische Organisationen, von denen die PKK zweifellos eine darstellt, nach §129a nicht verfolgen kann, erfand die BAW die „terroristische Vereinigung“ innerhalb der PKK mit Sitz in Köln. Außerdem ist Rebmann nach einer Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 1.1. 1987 bei von Ausländern im Ausland begangenen Tötungsdelikten oder Geiselnahmen (zum Beispiel Flugzeugentführungen) und allen sonstigen in §129a erwähnten Katalogstraftaten immer dann zuständig, wenn ein Zusammenhang zur Tätigkeit einer ausländischen Vereinigung besteht, die im Inland als terroristisch eingestuft wird. Auf dieser Grundlage stehen auf Rebmanns Anklageliste in diesem Verfahren außer drei Morden und einem Mordversuch in der Bundesrepublik auch zwei Morde im Libanon, an denen Mitglieder der hiesigen „terroristischen Vereinigung“ innerhalb der PKK beteiligt gewesen sein sollen. Ein Umstand, der die PKK besonders erbost und ihr als Beleg für die Einmischung des deutschen Imperialismus im Nahen Osten dient, und den auch die Verteidigung als einen Präzedenzfall ansieht, der dazu dienen könnte, künftig Repräsentanten jeder nationalen Befreiungsbewegung festzunehmen, sollten sie in die BRD kommen.

„Sieg im Volkskrieg“?

Verständlich wird der gesamte Prozeß tatsächlich erst vor dem Hintergrund der PKK-Aktivitäten in Kurdistan. Gegründet wurde die Organisation 1978 als eine von mehreren kurdischen Befreiungsbewegungen, die für einen unabhängigen kurdischen Staat kämpfen. Da die PKK aus dem von der Türkei „okkupierten“ kurdischen Gebiet stammt (es gibt auch kurdische Gebiete in Iran, Irak und Syrien), konzentriert sie ihre Aktivitäten auch auf die Türkei.

Mit dem Militärputsch in der Türkei 1980 wurde die PKK, wie alle anderen kurdischen Organisationen auch, endgültig in den Untergrund gedrängt und verlegte ihre Basis nach Syrien beziehungsweise in den von Syrien kontrollierten Teil des Libanon. Dort bereitete sich die Partei auf den bewaffneten Kampf innerhalb der Türkei vor. Stichtag für den Beginn dieses Kampfes war der 15. August 1984, als die PKK durch Überfälle auf mehrere türkische Armeeposten den Guerillakrieg in den kurdischen Bergen aufnahm.

Bis es soweit war, hatte es in der PKK-Führung heftige Konflikte gegeben. Eine Gruppe um Cetin Güngör, öffentlich eher unter dem Namen Semir bekannt, war abweichender Meinung über die Erfolgsaussichten eines bewaffneten Kampfes und verweigerte Öcalan die Gefolgschaft. Die Auffassung Semirs deckte sich aber mit der der türkischen Linksgruppe Dev-Yol, die ursprünglich gemeinsam mit der PKK ins syrische Exil gegangen war und ebenfalls den Zeitpunkt für den Guerillakampf als nicht gegeben ansah. Die Gruppe um Semir wurde ebenso wie Dev-Yol als Verräter gebrandmarkt und in den Publikationen der PKK entsprechend denunziert. Semir, so hieß es, kollaboriere mit dem türkischen Geheimdienst MIT.

Zumindest für die Zeit bis Ende 1986 schien Semir jedoch recht zu behalten. Nach Anfangserfolgen der PKK im Guerillakrieg schlug die türkische Armee, verstärkt durch sogenannte Anti-Terror-Spezialeinheiten, die auch in der Bundesrepublik ausgebildet worden sein sollen, brutal zurück. Nach anderthalb Jahren Kampf in den Bergen war die PKK fast am Ende, die meisten ihrer Kommandos erschossen, gefangengenommen oder schlicht übergelaufen. Das Blatt wendete sich erst, als der Terror der türkischen Armee ungebrochen fortgesetzt oder sogar noch intensiviert wurde und somit den überwiegenden Teil der kurdischen Bevölkerung zu Sympathisanten der PKK werden ließ. Heute ist Öcalan militärisch so erfolgreich wie nie zuvor - aus diesem Grund glaubt auch die PKK-Führung, daß der Prozeß in Düsseldorf jetzt als gezielte Unterstützung des türkischen Regimes gedacht ist.

Die „Verräter“

Zwei der hier jetzt zur Anklage kommenden Morde sowie ein Mordversuch fallen jedoch zeitlich in die Phase der Abspaltung der Semir-Gruppe. Allen drei Opfern gemeinsam ist, daß sie als Anhänger Semirs galten und sich von der PKK abgesetzt hatten oder absetzen wollten. Im Juni und August 1984 wurden Murat Bayrakli in Berlin, Zülfü Gök in Rüsselsheim und Enver Ata im schwedischen Uppsala ermordet. Kurz zuvor überstand Mehmet Bingöl in Bad Kreuznach einen Mordversuch, weil die Pistole des Schützen nach Aussage Bingöls Ladehemmungen hatte. Ein Jahr später, im November 1985, fiel Semir selbst einem Attentat in Stockholm zum Opfer.

Die beiden Morde in Schweden haben zu Festnahmen und lebenslangen Haftstrafen für Kurden geführt, die die schwedischen Gerichte als der PKK zugehörig einstuften. Für den Mord an Zülfü Gök in Rüsselsheim wurde der Kurde Ali Aktas, ebenfalls PKK-Mitglied, vom Landgericht Darmstadt im Mai 1985 zu lebenslanger Haft verurteilt. Aktas ist jetzt in Düsseldorf erneut angeklagt, er soll auch an dem Mord in Berlin und dem Mordversuch in Bad Kreuznach beteiligt gewesen sein.

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, daß es sich in allen diesen Fällen um politische Morde mit dem Ziel der Ausschaltung der Parteiabweichler gehandelt hat, und begründet so ihre Anklage nach §129a. Die jeweiligen Täter hätten im Parteiauftrag gehandelt, folglich müßten die Hintermänner mit auf die Anklagebank. In allen Fragen, die über eine unmittelbare Tatbeteiligung und entsprechende Tatzeugen hinausgehen, stützt sich die Bundesanwaltschaft im wesentlichen auf schriftliches Material, das sie bei diversen Hausdurchsuchungen beschlagnahmt hat. Dazu kommen angeblich drei Kronzeugen, die sich aus Angst vor innerparteilichen Repressalien den Staatsschutzbehörden offenbart haben wollen.

Zeitlich sehr viel später datiert der ebenfalls in Düsseldorf zu verhandelnde Mord an Ramazan Adigüzel, bei dem die Staatsanwaltschaft ein anderes Motiv als das der innerparteilichen Abrechnung unterstellt. Adigüzel war nie PKK-Mitglied, sondern hatte eine führende Position in der kurdischen Konkurrenzorganisation „Komkar“ inne. Um Komkar empfindlich zu schwächen, sei von zwei führenden Mitgliedern des Europäischen Exekutivkomitees der PKK, unter ihnen Hasan Güler, ein Kommando unter Ekrem Karas (Parteiname „Vural“) mit dem Mord beauftragt worden. Am 3.Mai 1987 wurde Adigüzel in Hannover auf offener Straße erschossen, eine Passantin durch einen Querschläger schwer verletzt.

Wenn die PKK spricht

Die PKK hat seit dem Attentat an Enver Ata in Uppsala in ihren Publikationen immer bestritten, direkt für irgendwelche Morde in Europa verantwortlich zu sein. Statt dessen wurde auf „verdiente Söhne des Volkes“ verwiesen, die in gerechtem Zorn Verräter an der kurdischen Sache hingerichtet hätten. Erst in der bereits erwähnten Rede des PKK-Generalsekretärs Abdullah Öcalan vom April dieses Jahres findet sich eine Passage, die auch andere Schlüsse zuläßt.

Öcalan: „Wir betonen erneut, es kann sein, daß es einige Ereignisse gegeben hat, die aus der Sicht der deutschen Gesetze als Schuldtaten angesehen werden. Diese Schuldtaten können auch Personen aus der Partei im Namen der Partei begangen haben. Die Partei kann auch einige bestrafen, weil sie Verräter und türkische Agenten sind und gegen unseren Kampf konspiriert haben. Es sind solche, die es direkt oder indirekt auf unsere Existenz abgesehen haben. Diese werden den Gesetzen unserer Partei entsprechend bestraft. Wenn unsere Gesetze im Widerspruch zu den Gestzen anderer stehen, so werden diese uns ihren Gesetzen entsprechend verurteilen. Doch es darf nicht im Rahmen der deutschen Gesetze liegen, unsere Revolution zu verurteilen. Genau hier wird deutlich, daß dieses Verfahren sich außerhalb der Rechtsprechung bewegt und zu einem illegalen, politischen, faschistischen und reaktionären Prozeß umgewandelt worden ist.“

Öcalan hofft, den Prozeß zu einem Tribunal gegen den Imperialismus wenden zu können. „So wie wir durch die Verteidigung Kurdistans gegen eines der despotischen faschistischen Regimes die uns aufgezwungenen Gerichte umgewandelt haben in Orte, wo die Existenz Kurdistans akzeptiert werden mußte (...), werden wir auch dieselbe Haltung bei den in der BRD geführten Prozessen einnehmen. Als Folge dessen werden die Strafen vielleicht überaus hoch sein, vielleicht wird es sogar Gefallene geben.“

Beides möchte die Verteidigung verständlicherweise verhindern. Am einfachsten dadurch, daß es ihr gelingt, den Prozeß in der vorgesehenen Form platzen zu lassen. Dafür kann sie eine Reihe von Gründen anführen, wobei aus Sicht der Anwälte die Behinderung bei der Prozeßvorbereitung sicher der gravierendste ist. Wie auch in anderen 129a -Ermittlungsverfahren sind die Gefangenen in der U-Haft isoliert und ist der Austausch mit den Anwälten erschwert.

Belastend wirkt sich außerdem die besondere Situation der Angeklagten als Ausländer aus. Kurdische Literatur wurde ihnen kategorisch verweigert, aber auch Aktenübersetzungen in türkischer Sprache ließ der Haftrichter nicht passieren. Begründung: Es sei nicht kontrollierbar, ob darin Kassiber versteckt würden. So konnten sich die Angeklagten nur auf den Prozeß vorbereiten, wenn der jeweilige Anwalt mitsamt einem Dolmetscher anreiste, um an Ort und Stelle Blatt für Blatt zu übersetzen - ein aussichtsloses Unterfangen, wenn man bedenkt, daß bereits die Aussagen der Kronzeugen allein zwei Aktenbände füllen.

Sicherungsverteidigung angeordnet

Die Schikanen im Vorfeld sollen in der Hauptverhandlung fortgesetzt werden. Gegen den Willen der Angeklagten und ihrer Wahlverteidiger beorderte das Gericht sogenannte „Sicherungsverteidiger“, die ausdrücklich das Vertrauen der Kammer besitzen müssen. Erstmals in einem bundesdeutschen Prozeß sollen die Angeklagten in einem Glaskasten isoliert und vom Kontakt zu ihren Anwälten ausgeschlossen werden. Statt dessen soll ihnen das Prozeßgeschehen über Lautsprecher in den Kasten übertragen werden. Für die 19 Angeklagten soll es fünf Sprechzellen geben, in denen sie Kurzberatungen mit ihren Verteidigern abhalten können.

Bleibt die Frage, was die Angeklagten denn überhaupt in ihren Kasten übertragen bekommen. Das Gericht beabsichtigt, die Verhandlung simultan ins Türkische übersetzen zu lassen. Völlig unmöglich, sagen die Verteidiger. Sie wollen zu Beginn der Verhandlung ein Gutachten vorlegen, wonach eine solche Simultanübersetzung aufgrund der grammatischen Unterschiede zwischen beiden Sprachen immer falsch sein muß, wie sie sagen. Dabei dürfte die Verständigung zwischen einer bundesdeutschen Staatsschutzkammer und kurdischen Revolutionären ohnehin schon schwierig genug sein.