Ein „Schandmal“ sucht in Bonn einen Standort

Die Stadt wehrt sich gegen ein Denkmal für den unbekannten Deserteur / Reflexartige Bekenntnisse zur Wehrmacht /Die Kritik reicht von der CSU bis zu den Liberalen - die SPD kneift / Einweihung am 1.September im Schutz einer Kunstaktion  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Josef Weiland, der neue Bonner Vorsitzende des „Verbands der Heimkehrer“, hat ein Gespür für das Wesentliche. Ein Denkmal für den unbekannten Deserteur in der Hauptstadt, das würde die ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die er vertritt, „ins Abseits fehlender Moral“ stellen, gar in die Ecke der „Ehrlosigkeit“. Denn sie sind ja nicht desertiert, sie standen bis zum bitteren Ende der Gefangenschaft zu Hitlers Fahne. Die Fahnenflüchtigen zu ehren, das ist ein heimlicher Vorwurf an all die anderen. Für Josef Weiland ist das Denkmal daher eine „perverse Idee“. Vor einen halben Jahr begannen Bonner Pazifisten ihre Kampagne für ein Mahnmal, das eigentlich am Jahrestag des Überfalls auf Polen, am 1.September, auf dem Bonner Friedensplatz stehen sollte. Älteren Bonnern ist diese Örtlichkeit noch als Adolf-Hitler -Platz im Gedächtnis, und die ganz Alten wissen, daß der vor 1933 schon einmal Friedensplatz hieß.

Wie der Name auch sei: Die Erinnerung an Feiglinge und Vaterlandsverräter soll dort nichts zu suchen haben, und auch auf keinem anderen öffentlichen Platz, wo der Arm der Stadtväter hinreicht. Der heimliche Vorwurf, von dem türkischen Bildhauer Mehmet Akzoy zur Skulptur erhoben, wird zwei Meter hoch - „unerträglich für die Soldaten und Reservisten der Bundeswehr“, befand Bonns regierende CDU. Und sie setzte das Wort vom „Schandmal“ in die Welt.

Soldaten „ins Unrecht“

setzen?

Die Zahl derer, die durch ein Deserteursdenkmal mutmaßlich geschändet würden, schwoll im Verlauf dieses halben Jahres beachtlich an. Vorneweg die Soldaten der Wehrmacht, für die sich Bonns Oberbürgermeister Hans Daniels sogleich verwandte: Denn die glaubten doch, „ihre Pflicht“ tun zu müssen, und dürften jetzt nicht „ins Unrecht“ gesetzt werden. Womöglich waren sich die Bonner Konservativen über den guten Leumund ihrer Kronzeugen dann doch nicht ganz sicher - jedenfalls führten sie hilfsweise die noch besseren Deutschen ins Feld: „die Frauen und Männer des Widerstands“, gleichfalls „diskriminiert“. Wolfgang Bötsch, CSU-Mann im Vorstand der Bundestagsfraktion, ergänzte die Schlachtordnung gegen das Schandmal um schlichtweg „alle Deutschen, die ihrer Pflicht getreu nachgekommen sind“, bis Oberbürgermeister Daniels schließlich noch Hitlers ehemalige Kriegsgegner unter den Denkmalsopfern entdeckte: „die Nato“ werde diffamiert.

Bonns Sozialdemokraten rangen derweil die Hände: Walter Emmerlich, Bundestagsabgeordneter, hatte der Kampagne mit einem beherzten Votum Starthilfe gegeben: „Wer als Soldat in der Wehrmacht war, diente objektiv dem Verbrechen. Desertieren war eine Form des Widerstands.“ Der Unterbezirksvorstand vor Ort sah das ähnlich, die Stadtratsfraktion hingegen nicht. Bei der entscheidenden Abstimmung in einem Ratsausschuß hob nur einer von drei Sozialdemokraten die Hand für das Schandmal. Willy Brandt, brieflich um Unterstützung gefragt, bat um Verständnis, daß er sich in der heiklen Angelegenheit nicht exponieren wolle.

„Vergangenheitsbewältiger

sattsam bekannt“

Dabei hatten die Initiatoren vom „Bonner Friedensplenum“ mittlerweile, neben 1.000 Bürgerunterschriften, durchaus prominente Fürsprecher gefunden: Zum Beispiel Alt-Bischof Kurt Scharf, Ralph Giordano, Professor Flechtheim, Helmut Gollwitzer und den Theologieprofessor Walter Kreck, einstmals führendes Mitglied der Bekennenden Kirche. Johannes Mario Simmel schickte 500 Mark Denkmalsspende, und Manfred Messerschmidt, bis 1988 leitender Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg, reiste nach Bonn, um das Denkmalsbegehren bei einer städtischen Anhörung mit Sachkunde zu vertreten.

Der Klang dieser Namen rötete manchen Wehrmachtsfreunden erst recht den Nacken. Heinrich-Joachim Graf von Moltke erhob in der Leserbriefspalte der Lokalpresse den schwersten Vorwurf, den man sich in seinem „Verband Deutscher Soldaten“ vorstellen kann: Zwerenz, Gollwitzer, Messerschmidt, das seien die „sattsam bekannten professionellen Vergangenheitsbewältiger“.

So hat das Denkmal, noch in der Werkstatt, bereits eine Funktion erfüllt. Durch ihre reflexartigen Bekenntnisse zur Wehrmacht haben seine Gegner diesen Streit mehr politisiert als die Befürworter. Gemessen am lauten Echo, nehmen sich deren Töne geradezu dezent aus: „Deserteure sind keine Helden, nicht einmal Anti-Helden, sondern Menschen, die eigenverantwortlich gehandelt haben“, schreibt der Arbeitskreis „Von der Fahne“. Der Westberliner Bildhauer Mehmet Akzoy könnte sich bei seinem Motiv an das Böll-Wort gehalten haben, „daß Menschwerdung dann beginnt, wenn einer sich von der jeweiligen Truppe entfernt“. Akzoy läßt eine menschliche Silhouette, aus dem Stein gesprengt, wieder im Stein zerfließen. „Körperliche Schönheit und menschliche Würde“ will er ausdrücken - der Deserteur als „lebensbejahender Mensch“.

Angst oder Widerstand?

Diese humanistische und pazifistische Sicht der Fahnenflucht paßt auch den Liberalen unter den Kritikern nicht. Ein Denkmal für den unbekannten Deserteur sei abwegig, schrieb Marion Gräfin Dönhoff in der 'Zeit‘, „denn es ist ja unbekannt, ob er in bewußtem Widerstand handelte oder aus Angst, vielleicht auch nur, weil er einfach nach Hause wollte.“ Damit verwehrt die Gräfin den meisten der mindestens 16.000 Hingerichteten des Zweiten Weltkriegs ihre Rehabilitation. Posthum sollen sie nun von liberaler Hand sortiert werden: Die Guten, die Politischen, ins Töpfchen des Gedenkens, die Asozialen zurück ins Massengrab. Einfach nach Hause gehen, die Freundin noch einmal lieben bleibt ehrenrühriger als die Teilnahme an Hitlers Gemetzel. Die Gräfin wird Alfred Andersch im Bücherscnrank haben: „Die meisten Desertationen... geschahen nicht aus der Furcht vor dem Tod, sondern aus dem Willen zum Leben.“

Asyl für ein Denkmal gesucht

Die „Kirschen der Freiheit“ des Deserteurs Andersch suchen in Bonn nun ein Asyl. Dem Denkmal einen vorläufigen Zufluchtsort im nicht-städtischen Raum zu geben, mit dieser Bitte wandte sich die Denkmalsinitiative an die Universität, an Kirchen und an die Landesvertretungen in Bonn. Als Kunstaktion soll die Skulptur dennoch am 1.September auf dem verbotenen Terrain des Friedensplatzes vorübergehend aufgestellt und eingeweiht werden. Nachdem die Stadt das Denkmal nicht kaufen wollte, wird es nun durch Spenden finanziert; der Bildhauer verzichtete auf sein Honorar. Ob die Freiheit der Kunst diesem öffentlichen Ärgernis allerdings ausreichend Schutz gewährt, mag bezweifelt werden. Als die grüne Abgeordnete Angelika Beer im Bundestag beim Tagesordnungspunkt Kriegsdienstverweigerung eine Miniatur des Denkmals neben sich auf das Rednerpult stellte, stürzte die CDU-Kollegin Roitzsch sofort herbei und entfernte das anstößige Stück Marmor.

Spendenkonto: Verein zur Förderung der Friedensarbeit, Konto 7 500 218 Sparkasse Bonn. Stichwort „Deserteur-Denk -Mal“.