Neue Zeugenaussagen im Fall Kemal C.

Der 13jährige Junge, der vor zwei Wochen in Essen von der Polizei erschossen wurde, soll bei seiner Erschießung unbewaffnet gewesen sein / Ist die These von der polizeilichen Notwehr aufrechtzuerhalten?  ■  Aus Essen Bettina Markmeyer

Über zwei Wochen, nachdem der 13jährige Kemal C. nach einer Verfolgungsjagd in Essen-Frohnhausen von zwei Polizisten erschossen worden ist, melden sich weitere ZeugInnen, deren Beobachtungen des Polizeieinsatzes mit den Darstellungen von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht übereinstimmen.

Ein 35jähriger Mann, der gegenüber den Kleingärten wohnt, in denen Kemal erschossen wurde, und der von seinem Fenster aus die Ereignisse verfolgt hat, sagte der 'Neuen Ruhr Zeitung‘, er sei sicher, daß Kemal, als ihn die Polizeischüsse trafen, nicht mehr bewaffnet gewesen sei. Der Augenzeuge, der inzwischen auch von der Essener Kripo vernommen wurde, gegenüber der 'NRZ‘: „Auf keinen Fall hat der Junge die Waffe mit beiden Händen gehalten und gezielt.“ Vielmehr hätte einer der Polizisten ihn, als er auf das Dach einer Kleingartenlaube geflüchtet war, angerufen und aufgefordert, stehenzubleiben. Gleichzeitig seien die ersten Schüsse gefallen. Der Junge sei stehengeblieben und hätte seine beiden Arme leicht hochgenommen. Weitere Schüsse hätten ihn dann jedoch niedergestreckt. Der ermittelnde Staatsanwalt Dr. Bernd Schmalhausen gibt dagegen an, der Junge sei mit der Waffe in der Hand gefunden worden und habe vom Dach der Laube aus die Pistole mit beiden Händen hochgehoben und auf Polizisten und ZuschauerInnen gezielt, die etwa 20 Meter hinter den Beamten gestanden hätten.

Auch dieser Darstellung widerspricht der Zeuge. Er legte der Kripo ein Foto vor, das er unmittelbar nachdem die Schüsse gefallen waren, aufgenommen haben will. Auf diesem Bild sind hinter den Polizisten in der möglichen Schußlinie Kemals keine ZuschauerInnen zu sehen. Das bestätigten inzwischen auch andere BeobachterInnen des Einsatzes. Für den Rechtsanwalt von Kemals Familie, die Anzeige wegen fahrlässiger Tötung erstattet hat, widerspricht die Aussage des 35jährigen eindeutig der Notwehr-Argumentation der Polizei.

Anfang dieser Woche will die Kripo die Beamten vernehmen, die während der Verfolgungsjagd mit Kemal C. unmittelbar Kontakt hatten ebenso wie die Todesschützen. Gegen Ende der Woche wird die Staatsanwaltschaft das Ergebnis ihrer Ermittlungen bekanntgeben.