Tödliche Jagd auf jungen Mopedfahrer

■ 13jähriger nach Karambolage von der Polizei verfolgt / Junge hatte Polizisten die Dienstwaffe abgenommen und geschossen / Polizei handelte aus „Notwehr“ und um die „Schaulustigen zu schützen“

Essen (taz) - Von der Bezeichnung „junger Mann“ kommen Staatsanwaltschaft und Polizei in Essen jetzt ab. Der türkische Junge, den zwei Polizeibeamte am Freitagabend nach einer Jagd durch Essen-Frohnhausen auf der Flucht erschossen, war 13 Jahre alt. Gestern abend wurde das Obduktionsergebnis bekanntgegeben. Getötet wurde der Junge durch eine Kugel, die ihn vom Rücken aus in die Brust traf. Vier weitere Kugeln trafen ihn in den linken Arm, ein Bein und in das Gesäß.

„Fünf bis sechs“ Beamte hätten geschossen, sagte Polizeisprecher Spoor am Montag. Ihre Waffen werden derzeit beim Landeskriminalamt untersucht, um zu ermitteln, wer das Kind getötet hat. Der Junge selbst hat vier- oder fünfmal geschossen, die restlichen der acht Patronen in seiner Waffe seien „vermutlich beim Durchladen herausgefallen“, sagte der ermittelnde Staatsanwalt Dr. Bernd Schmalhausen gestern der „Neuen Ruhr Zeitung“. Getroffen hatte Kemal C. niemanden.

Der 13-Jährige und sein 15-jähriger Beifahrer stießen am Freitag gegen 16.30 mit ihrem kleinen Moped in Essen -Frohnhausen mit einem PKW zusammen, der leicht beschädigt wurde. Der Beifahrer blieb an der Unfallstelle, Kemal C. fuhr davon. Ein Streifenwagen stoppte ihn wenig später, der Junge floh zu Fuß weiter. Im Handgemenge mit den beiden Polizisten riß er einem die Dienstwaffe aus dem Halfter und schoß. Die Polizisten gingen in Deckung und alarmierten Kollegen. Bei der folgenden Jagd entlang der und über die Bahnlinie Dortmund-Duisburg waren zuletzt etwa 50 Beamte im Einsatz, darunter auch vier vom Sondereinsatzkommando (SEK). Der Junge floh in Panik, während er nochmals in Richtung der Polizisten schoß, auf das Gelände des ehemaligen Stellwerks am Bahnhof Essen-West und kletterte dort auf das Dach einer Gartenlaube und zielte wiederum. Dort wurde er erschossen und stürzte vom Dach. Die Polizei meinte, er habe sich verschanzt und fand die blutüberströmte Leiche des Kindes erst eine Stunde später neben der Gartenlaube, nachdem sich SEKler herangepirscht hatten. Ein Notarzt stellte nur noch den Tod fest.

Das Magazin seiner Waffe sei, als er auf dem Dach der Gartenlaube stand, bereits leer gewesen, sagte Staatsanwalt Schmalhausen am Montag. Er rechtfertigte jedoch den Einsatz der Polizei und behauptete, die Beamten hätten „in Notwehr“ geschossen. Auch um „die etwa 800 bis 1000 Schaulustigen“ (Polizeisprecher Spoor) zu schützen, hätten die Beamten schießen müssen.

Die Familie hat inzwischen Strafanzeige erstattet.

Bettina Markmeyer