„HIV ist kein gentechnologisches Produkt“

■ Prof. Dr. Meinrad Koch, Leiter der Abteilung Virologie beim Robert–Koch Institut in Westberlin, äußert sich zur These des ehemaligen Leiters des Instituts für allgemeine Biologie in Ostberlin, Professors Dr. Jakob Segal, daß das AIDS auslösende HIV–Virus Produkt einer gentechnologischen Krankheitserregerzüchtung sei.

taz: Prof. Dr. Jakob Segal behauptet in einem mit Stefan Heym entwickelten Gespräch, das HIV– Virus sei Ende der siebziger Jahre aus militärischen Interessen in einem Speziallabor in Fort Detrick in den USA genmanipulatorisch aus anderen Viren zusammengesetzt worden und habe sich von dort aus über die Welt verbreitet. Prof. Meinrad Koch: Stellenweise ist es brillant formuliert, gut aufgebaut, nur ist es Blödsinn. Ein übles, scheinwissenschaftliches politisches Machwerk. Ich schätze Stefan Heym sehr, ich habe alles, was er je geschrieben hat, manches sogar mehrfach gelesen, aber das ist übel. Herr Segal ist 86 Jahre alt, manche der molekularbiologischen Befunde hat er entweder nicht verstanden - es ist ja sein Recht, nicht a jour zu sein - oder er hat manches bewußt falsch wiedergegeben. Z.B. wird behauptet, es gäbe eine Untersuchung, die zeige, daß in Kenia die teuren Prostituierten, die im wesentlichen Weiße bedienen, höher durchseucht seien als die mit schwarzen Kunden. Das ist falsch. Es ist genau anders herum. Das kann man in ausführlichen Studien nachlesen. Die Behauptung, das Virus sei zum ersten Mal 1981 in New York gefunden worden, ist nicht wahr. In Wirklichkeit ist es zum ersten Mal 1983 von Luc Montagnier in Paris gefunden worden. Wo ist das Virus denn zum ersten Mal aufgetaucht? Die ältesten Seren mit Antikörpern gegen HIV stammen aus den sechziger und dem Anfang der siebziger Jahre aus Afrika. Antikörpernachweis muß nicht Virusnachweis sein, bei alten Seren könnte es sich auch um Kreuzreaktionen1 handeln. Man hat im Anfang tatsächlich bei alten gebunkerten Seren ganz merkwürdige Reaktionen gefunden, die sich später in den Bestätigungstesten nicht verifizieren ließen. Aber inzwischen haben wir unsere Methoden verfeinert. Es besteht kein Zweifel mehr daran, daß es sich hier nicht um irgendwelche Kunstprodukte oder Kreuzreaktionen handelt, sondern dieses Virus lange vor den angeblichen Manipulationen, die Segal vermutet, existiert hat. Prof. Hunsmann aus Göttingen bestreitet , daß in den alten Seren HIV–Viren gefunden worden sind. Herr Hunsmann kann nur bestreiten, daß in den Seren, die er untersucht hat, kein HIV–Nachweis möglich ist. Aber er hat fast nur Seren aus dem nördlichen und nordwestlichen Afrika untersucht. Niemand behauptet, daß HIV I dort existiert. Kennen Sie das Sicherheitslabor im Gebäude 550 in Fort Detrick? Ja, der Sicherheitsingenieur Vinson Oviatt, der das Gebäude abgenommen hat, ist ein guter Freund von mir. Dieses Gebäude ist meines Wissens überhaupt nur ein einziges Mal benutzt worden. Für ein sehr wichtiges Experiment zur Abschätzung der Risiken der Gentechnologie. Ein wie wir heute wissen sehr harmloses Experiment, bei dem untersucht wurde, ob ein Mausvirus, das in Bakterien gentechnologisch integriert wurde nach Verfütterung der Bakterien an die Mäuse bei den Tieren eine Virusinfektion verursachen würde. Dabei mußten die Mäuse vor dem Virus von außen geschützt werden, um keine falschen Ergebnisse zu erzielen. Danach ist meines Wissens dieses Laboratorium nie wieder benutzt worden. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, was es gekostet hat. Man hat in Amerika eine ganze Reihe solcher Hochsicherheitslaboratorien gebaut, die sich inzwischen als riesige Fehlinvestition erwiesen haben, weil sie zu kompliziert sind, um in der Praxis richtig funktionieren zu können. Im übrigen glaubt man heute, daß kein Experiment solcher Hochsicherheitsvorkehrungen bedarf. Im Gebäude 550 sind nie Astronauten gewesen, wie Jakob Segal behauptet. Er verwechselt das. Man hat einmal daran gedacht, einen Container, in dem die Astronauten nach der Landung auf der Erde untersucht worden waren, und der auf dem Flughafen von Atlanta steht, für genmanipulatorische Arbeiten zu nutzen, hat das aber nie gemacht. Ein anderes Labor bei CDC in Atlanta hatte man ursprünglich für die Suche nach dem Krebserreger gebaut, weil man fürchtete, der könnte furchtbar gefährlich sein. Auch das ist meines Wissens noch nie benutzt worden. Man macht das heute alles viel einfacher. Ist denn auszuschließen, daß sie offiziell stillgelegt worden sind, um heimlich militärisch genutzt zu werden. Ja. Zumindest das in Fort Detrick und auch das Laboratorium in Atlanta, das ich ebenfalls kenne, sind nie militärisch genutzt worden. Aber Sie selbst müssen doch zu einem Zeitpunkt Zutritt zu diesem Labor gehabt haben, zu dem es noch benutzt wurde? Ich war im Gebäude 550, als es nicht mehr benutzt wurde. Das CDC Gebäude wurde damals noch zuletzt für Arbeiten mit dem Lassa–Fieber2 genutzt. Ein Ausflug wie zu den Pyramiden? Ja, weil es mich interessierte, wollte ich es mir einfach einmal ansehen. Segal behauptet, HIV sei ein Verschnitt aus HTLV–I und Maedi–Visna. Das ist völlig falsch. HIV gehört mit Maedi–Visna gemeinsam zur Gruppe der Lenti–Viren. Es hat keine Ähnlichkeit mit HTLV–I. Sind die Lenti–Viren ansteckend? Wir kennen unterschiedliche Lenti–Viren. Das Maedi–Visna ist für Schafe ansteckend, das Virus der infektiösen Anämie der Pferde, wie der Name wohl vermuten läßt, ist für Pferde und das HIV, wie wir sehen, für den Menschen ansteckend. Aber sie bilden alle eine Familie. Es gibt eine enge Verwandtschaftsbeziehung zwischen dem HIV und z.B. der infektiösen Anämie der Pferde. Das ist schon Montagnier im Dez. 83 aufgefallen. Diese Verwandtschaft hat dazu geführt, daß eine Reihe von Leuten, zu denen ich auch gehört habe, erst gedacht haben, daß seine Isolate versehentlich mit dem Pferdevirus verunreinigt sein könnten. Wenn man einen Ver gleich der Antigene anstellt, dann findet man tatsächlich, daß ein Mensch, der mit HIV infiziert ist, auch mit einem ganz bestimmten Protein der Pferdeanämie reagiert. Aber die Hülle der Viren ist völlig verschieden. Die Lenti–Viren sind miteinander verwandt, aber nicht in dem gleichen Sinne wie Zwillinge. Aber sie ähneln sich wie diese? Auch ein Schwarzer und ein Weißer und ein Chinese sehen sich sehr ähnlich. Aber es käme niemand auf die Idee, zu sagen, ein Chinese sei eine Mischung aus Weiß und Braun. Das aber ist in etwa Segals Argument. Segal bescheibt, daß Gene von einem Virus mit denen eines anderen verschnitten werden. Es ist ja auch möglich, einem Schwarzen die Niere eines Weißen zu transplantieren. Es müßte doch anhand einer Genkarte zu überprüfen sein, ob das stimmt. Mittlerweise ist ja sowohl vom Visna als auch vom HIV die Genstruktur entschlüsselt. Genau, eine Gen–Karte zeigt, daß das HIV mit diesen Viren keine so enge Verwandtschaft vorweist, daß man annehmen könnte, es sei aus ihnen zusam mengesetzt worden. Das ist grober Unfug. Aber es ist doch die gleiche Genstruktur. Es ist zwar die gleiche Gen– Struktur. Auch ein Chinese und ein Europäer haben die gleiche Genstruktur. Die Anordnung ist dieselbe. Aber einzelne Geninformationen sind völlig unterschiedlich. Genkarten, wie ich sie kenne, bestehen aus einer scheinbar unendlichen Folge der Buchstaben A T G und C, die sich auf den ersten Blick lesen wie die Autokennzeichen aller PKWs, die in einer Woche die Transitautobahn benutzt haben. Können Sie diese Reihen nicht zur Überprüfung von Segals Behauptung aneinanderlegen? Ja, wir haben das für HIV und HTLV–1 mit Hilfe unserer Computer gemacht und finden auch nicht die geringste Übereinstimmung. Es war noch weniger als ich erwartet habe. Segal behauptet, man habe das im Elektronenmikroskop zeigen können, er spricht von der Hetrodublexbildung, wo man unter dem Elektronenmikroskop offensichtlich die Nukleinsäuren vermengt und Ähnlichkeiten erkannt hat. Man schmilzt bei dieser Methode die Nukleinsäuren eines Virus - die ja einen Doppelstrang bilden - zu einem Einzelstrang auf und bringt diesen mit dem Gegenstrang eines anderen zusammen. Wo sie sich dann, wenn die Temperatur herabgesenkt wird, aneinanderheften, besteht Identität. Sie erinnern sich, wir haben früher einmal über den Nomenklaturstreit zwischen Gallo und Montagnier diskutiert. Gallo hat versucht zu beweisen, daß HTLV–I mit HIV verwandt ist, daß er HTLV–III genannte hatte. Dabei benutzte er diese Methoden. Wenn man Bedingungen wählt, bei denen sich auch entfernte Verwandte aneinander heften, dann bekomme ich solche Bilder, auch wenn sie bei genauer Betrachtung gar nicht aufeinander passen. Die Befunde, auf die sich Segal bezieht, hat man unter sogenannten Slow Stringensie–Bedingungen erhalten, die nicht aussagekräftig sind. Wie man in der gleichen Publikation nachlesen kann, findet man bei verschärften und aussagekräftigen Bedingungen keine Ähnlichkeit. Es heißt, das Raster sei zu grob gewesen. Sobald man ein aussagekräftigeres Raster benutzt, um Ihr Bild zu gebrauchen, paßt nicht mehr viel aufeinander. Das ist auch in der Arbeit von Gallo beschrieben worden. Das aber hat Herr Segal nicht zitiert. Der vom HTLV–I nicht aufs HIV passende Teil, behauptet Segal, käme vom Maedi–Visna. Aber das ist nicht richtig. Er sagt, wenn immer Autos einen Frontantrieb haben, sind sie sich ähnlich. Das stimmt. Lenti–Viren untereinander haben dieselbe Struktur. Alle sind nach demselben Bauplan gebaut, aber in ihren Bauteilen doch verschieden. Wenn man gentechnologisch arbeitet, nimmt man ein Gen aus einem Agens und ein Gen aus einem anderen. Dann könnte zwar das Produkt irgendetwas anderes sein, aber die einzelnen Gene müssen immer noch so die gleichen sein, wie in dem Virus, aus dem sie herausgeschnitten wurden. Wenn ich dann die Abschnitte nebeneinanderlege und da soll man beim HIV identische Visna– und identische HLTV–I–Abschnitte vorfinden, dann kann ich nur sagen: April, April. Man muß sich bei der Gentechnologie also aus einem Festbaukastensystem bedienen. Ja, ich kann eine R–4–Tür mit Tricks auch in einen Ford Fiesta einbauen. Aber ich kann nicht mit Hilfe von R4–Türen und einem Fordmotor einen Panzerwagen bauen. Ich bin an die Struktur dieser Teile gebunden. Wäre es unabhängig von diesem Fall rein theoretisch nicht auch mit diesem Festbausteinkasten möglich, zwei Viren zu kreuzen und ein u. U. gefährliches Drittes zu erzeugen. Das ist ein alter Streit über die Risiken der Gentechnologie. Man hat das meines Wissens nur mit Grippeviren gemacht. Das war sogar schon ohne Gentechnologie möglich, weil die Viren so leicht miteinander kombinieren. Dabei stellte sich heraus, wenn man versuchte, besonders „scharfe“ Viren zu machen, daß das nicht ging und die Pathogenität der Urviren nicht zu übertreffen war. Das ist doch das bequeme Standardargument der Gentechnologen, die sagen, was sie künstlich herstellen können, hätte in der Natur doch keinen Bestand. Da ist ja was dran. Aber warum machen sie es dann? Die Gentechnologie ist nur eine Nachahmung der Natur. Wir benutzen die gleichen Werkzeuge, nur wir können zielgerichteter und schneller vorgehen. Überleben kann in der Natur nur, was ihr gut angepaßt ist. Was wir im Labor herstellen, kann in der Natur nicht überleben. Denn die Rekombinanten, die die Natur selbst durch Trail und Error gefunden hat, die finden wir draußen in der Natur vor. Was wir im Labor machen, hat die Natur sicher auch schon einmal ausprobiert, aber es war nicht überlebensfähig. Aber Sie wollen doch über die Gentechnologie Medikamente entwickeln. Einen Impfstoff gegen HIV z.B., den Sie gentechnologisch entwickeln wollen, müssen Sie doch auch verkaufen. Also muß er anderen Temperaturen ausgesetzt, auch transportiert, geschüttelt, gespritzt werden können. Aber der lebt ja nicht mehr. Wir suchen doch einen Totimpfstoff. Das HIV ist doch ein instabiles Virus. Sobald es das Milieu der menschlichen Zellen bei 37 Grad Celsius verliert, ist es kaputt. Das Virus ist hervorragend an den Menschen adaptiert. Das als Produkt gentechnologischer Experimente hinzustellen ist hirnrissig. Es macht eine Krankheit erst nach langer Inkubationszeit. Und dieses Virus bringt ja den Infizierten erst um, wenn er selbst für Nachkommen gesorgt hat. Ein solches Virus als Kampfmittel zu benutzen, scheint mir absurd. Es ist also ein natürliches Virus wie das HTLV–I oder die Lenti–Viren? Das HTLV–I ist auch erst 1981 entdeckt worden. In der Hand gehabt hat es vorher keiner. Nach Segals Vorstellungen müßte irgend jemand 1975 bereits dieses Virus isoliert haben. Er hätte dann das Maedi–Visna klonieren müssen, ohne es irgend jemanden zu sagen. Und er hätte über das molekularbiologische Wissen verfügen müssen, das die gesamte Wissenschaft im engen Austausch gerade erst jetzt erarbeitet hat. Das sind doch nur zehn Jahre. Das ist in dieser Wissenschaft eine enorm lange Zeit. Wir haben eigentlich durch die Gentechnologie gelernt, was wir 1975 noch gar nicht wußten. Unsere Vorstellungen, die wir vor zehn Jahren noch hatten, waren aus heutiger Sicht kindisch falsch. Das Gespräch führte Kuno Kruse (1) Eine durch einen anderen Erreger verursachte Antikörperbildung. (2) Eine nach der gleichnamigen nigerianischen Stadt benannte oft tödliche Fiebererkrankung mit Schleimhautekzemen und Hautblutungen.