Axel Springer: Mensch mit dem größten Herzen

Axel Springers erste Ehefrau war jüdischer Abstammung. 1938 ließ er sich scheiden. Später wurde er einer der größten Verleger der Welt.

"Ein Mann mit Ecken und Kanten": Axel Springers erste Ehefrau Dicky Funke Bild: Katja Strube

Dies ist die Geschichte einer Ehe in den 30er Jahren, die nicht halten durfte, und es ist die dunkle Vorgeschichte einer der größten Karrieren im Nachkriegsdeutschland. Sie kamen aus den besten Kreisen Hamburgs, sie war 17, er 18 Jahre alt. Sie war die Tochter eines Baumeisters, er der Sohn eines Verlegers. Sie hieß Martha Else Meyer, er Axel C. Springer.

1931 bis 1933: Volontär beim Wolffschen Telegraphen-Bureau und der Bergedorfer Zeitung

1934: Sport- und Wirtschaftsredakteur bei den Altonaer Nachrichten

1937: Chef vom Dienst und stellv. Chefredakteur der Hamburger Neuesten Zeitung/Altonaer Nachrichten bis zur Einstellung des Blattes nach einer Verfügung des NS-Regimes 1941

Bis 1945: Redakteur mit beschränkter Zulassung und Verlagsbuchhändler

1946: Verleger der Nordwestdeutschen Hefte, Gründung von Hörzu

1948: Gründung des Hamburger Abendblattes

1952: Gründung der Bild-Zeitung

1953: Übernahme von Die Welt, Welt am Sonntag, Das Neue Blatt (ging später zum Heinrich Bauer Verlag)

1959: Übernahme des Ullstein Verlages

Dazu in den folgenden Jahren zahlreiche weitere Beteiligungen.

Quelle: Munzinger

Die beiden verliebten sich im Sommer 1930 bei einem Spaziergang an der Alster. Wenig später unternahm sie zum ersten Mal ohne ihre Eltern eine Reise, nach Kampen auf Sylt. Er schickte ihr eine Postkarte hinterher mit den Worten "Ich komme!" und stand kurz darauf vor ihrer Tür, sehnsüchtig erwartet. "Noch heute, wo alles zerronnen erscheint, zieht es mich in Gedanken noch immer zu diesem alten Haus", schrieb sie später in ihrem selbstfinanzierten Erinnerungsband "Bitte komm mit mir", "keiner dachte je aufzugeben. Diese Liebe ließ uns über alles sich erheben, war wie Schweben auf samtenen Wellen, himmelhochblau."

Martha Else Meyer gibt es nicht mehr. Sie hat ihren Namen geändert, als habe sie sich lossagen wollen von der Vergangenheit. Sie nennt sich Dicky Funke und wohnt in einer kleinen Zweizimmerwohnung im 5. Stock eines Neubaublocks im Hamburger Stadtteil Winterhude. Dicky hat man sie immer genannt, auch wenn sie dünn ist wie eine Gerte, und Funke, das war der Name ihres zweiten Mannes. Dicky Funke also, sie schiebt einen Gehwagen vor sich her, einen Schritt vorsichtig vor den anderen setzend, aus Angst, hinzufallen und sich die Knochen zu brechen wie so häufig in den letzten Jahren. Sie geht an den Wänden, den Bildern ihres Lebens vorbei und erzählt von den Erinnerungen an eine verlorene Liebe.

Als sie sich kennenlernten, hatte Axel Springer gerade eine Lehre als Setzer und Drucker bei Hammerich & Lesser, der Firma seines Vaters Hinrich Springer, absolviert und volontierte in einer Papierfabrik. Das Glück wurde zunächst nur dadurch getrübt, dass ihre Eltern, Mary und Eduard Meyer, der Meinung waren, sie sei zu jung, sich zu binden. Die Briefe, die er ihr schickte, fingen sie ab, und sie meldeten sie in einem Schweizer Internat an, um sie von ihm fernzuhalten. Vor Kummer hörte sie auf, zu essen und zu trinken, bis ihre Nieren versagten und sie zurückkehren konnte nach Hamburg zu Axel. Er hatte während ihrer Abwesenheit angefangen, für das Wolffsche Telegraphen-Bureau und die Bergedorfer Zeitung zu schreiben, seine Karriere voranzutreiben. Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, dachten die beiden zunächst, dass ihre jüdische Herkunft nichts an ihren Gefühlen ändern würde. Dickys Mutter war lange konvertiert, sie christlich erzogen worden. Im Frühjahr 1933 wurde Dicky schwanger, und im November, einen Monat vor der Geburt des Kindes, heirateten sie. Gemeinsam zogen sie in einer größere Wohnung an der Elbchaussee, später ins sogenannte Säulenhaus seiner Eltern. "Seine Eltern waren glückliche Großeltern", erinnert sie sich, "die haben die Kleine geliebt. Ich konnte sie ab und zu auch bei ihnen abgeben."

Wann sich das Glück wendete, kann Dicky Funke heute nicht mehr sagen. Aber die 1935 erlassenen Nürnberger Rassegesetze veränderten die Situation. Dickys Mutter Mary galt von da an als "Volljüdin", sie selbst als "Halbjüdin". Während sie nicht einmal habe Kaffee trinken gehen dürfen und ihr Mann sie "am liebsten in die große Standuhr eingesperrt und abends wieder rausgeholt" hätte, wie sie erzählt, sei er abends mit Freunden ausgegangen. Nach einiger Zeit findet sie in seinem Anzug ein Foto - von einer anderen Frau.

Seit 1934 arbeitete Axel Springer als Redakteur bei den Altonaer Nachrichten, der Zeitung seines Vaters. Das Blatt war nicht offensiv antisemitisch wie die Wochenzeitung Der Stürmer, und doch spiegelte es als Teil des gleichgeschalteten nationalsozialistischen Medienmarktes die schrittweise Entrechtung von Jüdinnen und Juden wider. Am 31. Januar 1937 titelte die Zeitung "Erhabenste Aufgabe: Erhaltung des Blutes" und stellte fest, "dass von allen Aufgaben, die uns gestellt sind, die erhabenste und damit für den Menschen heiligste die Erhaltung der von Gott gegebenen blutgebundenen Art ist." Die Artikel waren meist nicht namentlich gekennzeichnet. Verantwortlich für das Politikressort war in jener Zeit der stellvertretende Chefredakteur Axel Springer. Und der hatte ehrgeizige Pläne. Er sagte zu seiner Frau: "Baby, eines Tages habe ich eine Zeitung wie das Fremdenblatt." Ein visionärer Satz - 1948 erhielt er von den Alliierten für das Hamburger Abendblatt die Lizenz zum Drucken und begründete damit sein Medienimperium.

Im Dezember 2005 schreibt Dicky Funke in einem Brief: "Bin 1938 auf Befehl Joseph Goebbels im Amtsgericht Altona geschieden worden. Ein Schriftleiter darf nicht mit einer Halbarierin verheiratet sein." Die Affäre mit der anderen Frau auf dem Foto, dem Mannequin Erna Frieda Bertha Küster, die 1939 Axel Springers zweite Ehefrau werden sollte, habe für die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt keine Rolle gespielt, sagt Dicky Funke. "Wir wären bestimmt auseinandergegangen. Aber erst später."

Axel Springer hätte ohne die Scheidung von ihr womöglich Berufsverbot gedroht. Dicky drohte nun die Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Zwar gab es bis zur Pogromnacht am 9. November 1938 noch keine systematischen Deportationen von Juden in Konzentrationslager, sie wurden aber seit 1933 insofern vorbereitet, als Juden aus ihren Berufen entlassen, enteignet und vertrieben wurden. Auch die Hamburger Neueste Zeitung, wie die Altonaer Nachrichten inzwischen hießen, trieb diese Entwicklung voran. Am 8. November 1938, einen Tag vor den Ausschreitungen, titelte sie: "Kennzeichnung jüdischer Betriebe! - Es kann uns nicht genügen, lediglich die jüdische Vormachtstellung in der Wirtschaft zu brechen, vielmehr muss der jüdische Einfluss vollständig beseitigt werden." Axel Springer, inzwischen ins Sportressort gewechselt, zeichnet im Impressum als "Vertreter des Hauptschriftleiters und Chef vom Dienst". Dicky stand ohne den Schutz, den ihr die Ehe mit dem nichtjüdischen Ehemann geboten hatte, "vogelfrei vor dem Altonaer Amtsgericht", wie sie sagt. Ihre Scheidungsurkunde bewahrt das Gericht nicht mehr auf, die Daten werden nach 50 Jahren gelöscht. In den noch vorhandenen Aktenlisten befindet sich eine Akte Springer gegen Springer mit dem Aktenzeichen 2R 171/39, allerdings aus dem Jahr 1939.

Laut dem Historiker Raul Hilberg akzeptierten die Gerichte zu dieser Zeit drei verschiedene Begründungen für eine Scheidung: Entweder einer der Partner hatte sich etwas zuschulden kommen lassen (in dem Fall hätte der andere die Scheidung beantragt), oder die Parteien lebten seit mindestens drei Jahren getrennt. Oder der "arische" Partner in einer "Mischehe" argumentierte, dass er "durch das Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze neue Einblicke in die Judenfrage gewonnen habe und nunmehr davon überzeugt sei, dass er, hätte er diese Einblicke vor der Schließung der Mischehe gehabt, eine solche Ehe niemals eingegangen wäre".

Dicky Funke blieb von der Deportation verschont - nicht aber ihre Mutter. "Mein Vater hat die Nazigesetze gezielt ausgenutzt, wollte eine andere Frau heiraten", sagt Dicky Funke, "ohne die Scheidung wäre meine Mutter nie weggebracht worden. Keiner ihrer Brüder, die alle mit Christinnen verheiratet waren, kam fort."

1942 wurde Mary Meyer in einem Viehwaggon ins KZ Theresienstadt deportiert. Verzweifelt versuchte Tochter Dicky, gemeinsam mit ihrem späteren zweiten Ehemann in die Nähe des Konzentrationslagers zu kommen, um ihr zu helfen. Schließlich schafften sie es, über eine Verwandte, die in einer kleinen Stadt in der Nähe lebte, Mehl in kleinen Glasröhrchen ins Lager zu schmuggeln, mit dem sie Häftlinge vor dem Hungertod bewahren wollten. Gesehen hat sie ihre Mutter nicht auf dieser Reise - Mary Meyer überlebte jedoch die Zeit im Lager und wurde 1945 von der Roten Armee befreit. Mit ihrer Tochter hat sie niemals über das Thema gesprochen. Und mit ihrem ehemaligen Mann auch nicht. "Als ich meinen Vater wiedertraf", sagt Dicky Funke, "hat meine Hand gezuckt, aber ich konnte sie ihm nicht geben."

Nach dem Krieg heiratete Dicky den Kaufmann Fred Funke, den sie 1939 kennengelernt hatte - unter den Nazis war ihr eine neuerliche Eheschließung verboten gewesen -, und lebte mit ihm in Hamburg. Zu Axel Springer, der danach noch viermal heiratete, behielt sie ein freundschaftliches Verhältnis. Sie hat ihn niemals dafür verantwortlich gemacht, dass er sie allein ließ, hat das, was ihr hätte passieren können, nie mit ihm thematisiert. "Mein ehemaliger Mann und ich haben immer zu wenig geredet. Man muss sich aber aussprechen", sagt sie im Nachhinein. Axel Springer habe den Kontakt zu ihr in den folgenden Jahrzehnten immer gesucht, sagt sie, ihr Geld und eine Wohnung geschenkt, ihr einen Job als Korrektorin beim Hamburger Abendblatt besorgt, sie in sein Haus in der Schweiz eingeladen, ihr Briefe geschickt. "Der Mensch mit dem größten Herzen bist du", schrieb er ihr 1981 auf einer Karte aus der Schweiz. Bis zu seinem Tod am 22. September 1985 hat er sich nie öffentlich zu den Umständen seiner ersten Scheidung geäußert, dazu, dass er seine erste Frau der Karriere opferte. Auch in den bisher erschienenen Springer-Biografien ist davon nichts zu lesen. "Ein alter Freund sagte später zu mir: An Axel Springers Todestag bin ich immer traurig", erzählt Dicky Funke, "ich selbst bin überhaupt nicht traurig - er war nun mal ein Mann mit Ecken und Kanten."

Im März 2003 schrieb Dicky Funke in einem ihrer Texte: "Ich habe große Vorbilder wie Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Solschenizyn, Philosophen, die man versteht [] Hiermit möchte ich abschließen. Anderen, die neugieriger sind als ich, das Feld der Fragen, das Suchen nach Antworten überlassen."

Am 27. Juni 2007 ist Dicky Funke in ihrer Wohnung gestorben. Das Feld der Fragen hat sie anderen hinterlassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.