Der Mega-Tsunami schonte die Natur

Zu Weihnachten kam der Tsunami – dann kamen die Forscher ins Katastrophengebiet. Die Essener Hydrobiologen Dieter Kelletat und Sander Scheffers haben die Spuren der südasiatischen Flutwelle ausgewertet. Gut so. Denn bald wird fast nichts mehr davon zu sehen sein

Bereits im Februar reiste der Essener Küstenforscher Dieter Kelletat an die Westküste Thailands. Bei ihm: der Hydrobiologe Sander Scheffers. Vor Ort wollten die Wissenschaftler Spuren des Tsunamis suchen, der Weihnachten 2004 über die Insel gerollt war. Unlängst haben Kelletat und Scheffers der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die das Projekt unterstützte, ihren Bericht vorgelegt – mit interessanten Ergebnissen.

Rückblick: Seit fünf Jahren beschäftigt sich das Institut für Geographie der Universität Duisburg-Essen mit der Erforschung von so genannten Paläo-Tsunamis, Flutkatastrophen vergangener, oft prähistorischer Zeiten. Dabei wurden auffällige Ablagerungen und Formen an den Küsten des westlichen und östlichen Mittelmeeres kartiert und ausgewertet, deren Entstehung nicht durch Stürme erklärt werden konnte. Mittlerweile sind in 16 verschiedenen Regionen starke Tsunamis der vergangenen Jahrtausende neu entdeckt worden: zum Beispiel in Zypern vor etwa 250 bis 300 Jahren.

Am Mega-Tsunami im Indischen Ozean wollten die Wissenschaftler nun untersuchen, ob in den bisher gefundenen alten Ablagerungen alle Charakteristika von Tsunami-Sedimenten erhalten sind. Oder ob einige – und wenn ja, welche – durch Verwitterung, Abtragung oder Überlagerung verschwunden oder nicht mehr erkennbar sind. Zugleich konnte am aktuellen Beispiel der Einfluss von Strömungsgeschwindigkeit, Transportkraft oder Wellenhöhe auf die bleibenden Spuren studiert werden.

Die Ergebnisse waren durchaus überraschend: Die extreme Ausbreitung und die hohe Opferzahl des Tsunami im Indischen Ozean wurde ursprünglich auf eine außerordentliche Formungs- und Transportenergie zurückgeführt. Das Gegenteil aber ist der Fall, jedenfalls im Vergleich zu nahezu allen bearbeiteten Paläo-Tsunamis. Grobmaterial wie Blöcke, vier bis zwanzig Tonnen schwer, sind nur in Ausnahmefällen und nur bis zur normalen Hochwasserlinie bewegt worden, während sie zum Beispiel auf den Bahamas bis zu 17 Metern hoch liegen und mehr als 200 Tonnen wiegen können. Feinmaterialien, vor allem Sande, liegen verbreitet bis zu 100 Meter landeinwärts in einem dünnen Schleier von wenigen Dezimetern. Und der wird durch die kommenden Monsunregen weitgehend abgetragen.

Die Sande sind jedoch – im Gegensatz zur bisher veröffentlichten Ansicht – nicht chaotisch auf einer durch die Wellengewalt planierten Unterlage, sondern fein geschichtet auf unzerstörten Böden und Pflanzenresten zu finden. Die Ablagerungen werden die Wissenschaftler später also nicht mehr von anderen Strömungssedimenten unterscheiden können.

Die häufigsten Marken für die Wellenhöhe fanden Kelletat und Scheffers an lebenden, aber schadhaften Bäumen und an Gebäuden. Beide bleiben im „geological record“, also über längere Zeit nicht erhalten, so dass die Wissenschaft allein auf die Interpretation der Sande und verlagerten Blöcke angewiesen ist. Von diesen aber können nur die wenigen Großblöcke eindeutig auf Tsunami-Vorgänge zurückgeführt werden. Die ergeben im Falle von West-Thailand ein völlig falsches Bild von der Wellenhöhe. Eine relativ geringe Wassertiefe von unter 100 Metern bis weit vor der Küste und ein etwas längerer Bewegungsimpuls der Wassermassen entlang der langen Störungszone im Meer könnten Ursache für diese geringen Spuren sein. Und in rund 200 Jahren, so das Fazit der Forscher, wird man in der Küstenlandschaft selbst davon nichts mehr finden. Vielleicht sei dies, vermutet Kelletat, auch die Ursache dafür, dass diese Gegend des Indischen Ozeans bisher für tsunamifrei gehalten worden sei. Eben weil die Tsunamis trotz großer Wellenhöhe kaum Spuren hinterlassen hätten. HOLGER ELFES