Feindliche Übernahme

Natürlich gibt es anständige Muslime, nur sind sie die Ausnahme. Das zumindest suggerieren Medien wie etwa „Der Spiegel“. Ein offener Brief an den Herausgeber

Einzelne Muslime werden bewusst ausgenommen, nur um den Rest zu Fanatikern zu erklären

Sehr geehrter Herr Aust,

leider schreibe ich Ihnen erst jetzt, da Sie bereits das nächste Heft herausgebracht haben. Als ich das Kopftuch auf dem Titelbild der letzten Ausgabe sah, wusste ich schon, dass ich sie besser nicht kaufen sollte. Aber dann kaufte meine Frau das Heft. Ein paar Tage lag es auf der Fensterbank neben dem Esstisch, ohne dass ich es nahm, aber als dann heute Morgen die Zeitung nicht kam, nahm ich es doch und schlug wie zufällig die Seite auf, auf der Sie die betenden Muslime unter anderem neben verblutenden Hammeln abgebildet haben. Ich habe den Artikel nur überflogen. Schon bei Ihrem letzten Islamheft, das die Schiiten zum Titelthema hatte, beging ich den Fehler, es zu lesen, und wo ich mich unter normalen Umständen nur darüber gewundert hätte, wie gut ausgebildete, intelligente Journalisten so viele falsche – nein, nicht tendenziöse oder einseitige, sondern schlicht falsche, von jedem Fachbuch, jedem seriösen Islamwissenschaftler zu widerlegende – Informationen in einem Artikel unterbringen können, wo ich mich also normalerweise nur gefragt hätte, warum sich Ihr Haus kein anständiges Redigat leistet, da habe ich mich erschrocken.

Ich kenne natürlich den Stil Ihres Magazins, ich weiß, wie Sie Zitate aneinander reihen, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben, wie Sie in die Nachrichten vieldeutige Bemerkungen einflechten und bei der Auswahl der Bilder und ihrer Unterschriften genau darauf achten, dass sie die Suggestion verstärken. Darüber ist oft geschrieben worden, und man kann Ihnen viel vorwerfen, aber nicht, dass Sie die Opfer Ihrer Investigationen nicht mit stets gleicher Lust vorführen. Wenn es die Richtigen traf, Herrn Flick, Herrn Kohl oder in letzter Zeit Herrn Bush, habe ich mich auch keineswegs darüber empört, im Gegenteil. Ich weiß schon, es ist kein Ressentiment, wenn Sie bei einem Aufmacher über die Schiiten, den Islam oder jetzt über die Muslime in Deutschland auf die gleiche Weise verfahren. Es ist einfach Ihre Art. Ich habe immer schon gedacht, wie unangenehm es sein muss, so vorgeführt zu werden, und dass ich schon deshalb froh bin, kein Politiker zu sein, weil der Montagspranger dann gewissermaßen zum Berufsrisiko gehören würde. Aber dann stand ich doch da, am Pranger, obwohl ich nirgends eingetreten bin, nichts unterschrieben habe und der Verfassungsschutz mir gewiss jede Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen würde, bloß aufgrund meiner Herkunft: als schiitischer Muslim in Deutschland. Dabei trägt seit zwei Generationen niemand bei uns ein Kopftuch; nicht einmal einen Bart haben wir uns in den letzten Jahren zuschulden kommen lassen, es sei denn, ich war wieder mal zu verkatert, um mich zu rasieren.

Gewiss, Sie werden sagen, dass Sie doch gar nicht die Muslime an sich angegriffen haben, sondern nur die bösen Fundamentalisten. Das sagt man immer. Gegen die Juden an sich hatte man auch nichts, und wenn Sie läsen, wie viele anständige Armenier es Anfang des vergangenen Jahrhunderts in der Türkei gab, würden Sie staunen. Auch Der Spiegel kennt anständige Muslime, diese junge Frau etwa am Ende Ihres Artikels, die früher so verbohrt war, ein Kopftuch zu tragen, und sich endlich befreit hat. Es ist nur gerecht, dass sie nun auch eine Arbeit findet oder eine neue Wohnung. Schließlich geht sie neuerdings in die Disco.

Wenn Sie mich kennen lernten, würden Sie sagen, ich gehöre doch auch zu den so genannten „gemäßigten“ Muslimen, und meine Frau, meine Eltern, meine gesamte Familie ebenso. Ja, wahrscheinlich würden Sie einen Skandal daraus machen, wenn Leute wie wir keine Arbeit oder keine Wohnung mehr in Deutschland fänden, schließlich sind Sie kein Rassist. Aber dann würde ich sagen: Ich bin nicht Onkel Tom. Ich würde sagen, dass ich zu denen gehöre, nicht zu Ihnen. Ich würde mich in einem „Wir“ wiederfinden, das ich zuvor nicht reflektiert habe, nämlich einem „Wir Muslime“. Das ist schrecklich. Ich will keinem öffentlichen „Wir“ angehören; einem Fußballverein vielleicht, aber doch keiner gesellschaftlichen Randgruppe. Aber Ihr Artikel zwingt mich in dieses „Wir“, indem er Einzelne von uns bewusst ausnimmt, gewissermaßen adoptiert, nur um den Rest zu Fanatikern zu erklären, zu Barbaren und Frauenhassern. Da gehöre ich lieber zu den Barbaren als zu Ihnen. Da beharre ich lieber darauf, dass ich zu einer Kultur gehöre, in der manche Frauen Kopftuch tragen. Genau das, was Sie heuchlerisch beklagen, befördern Sie: dass gerade Migrantenkinder der zweiten und dritten Generation sich – statt sich zu integrieren – immer häufiger in die Imagination ihrer Elternkultur zurückziehen.

Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob religiöse Symbole wie das Kopftuch in der Schule einen Platz haben, aber wenn Sie jeder Frau, die es trägt, schon deshalb Umsturzpläne für Deutschland unterstellen und dass sie sich in die Unterdrückung ergeben hätte, ist das mehr als nur eine Verleumdung: Sie heizen jenes Klima noch an, in dem Musliminnen in Deutschland auf der Straße angespuckt oder aufgefordert werden, zu den Mullahs zurückzukehren. Das eben ist der Unterschied, ob Sie Ihre Kampagne gegen eine Partei oder eine gesellschaftliche Gruppe richten: Die Empörung gegen Letztere entlädt sich nicht bloß auf Wahlzetteln. Indem Sie implizit gutheißen, dass Frauen mit Kopftuch keine Arbeit mehr finden in Deutschland oder keine neue Wohnung, gehen Sie viel weiter als Herr Beckstein oder die Bild-Zeitung – Sie wollen diese Frauen nicht bloß aus den Schulen, sondern aus dem Land haben. Sie wären nicht die Einzigen, die gehen würden.

Zum Glück aber ist die notwendige, überfällige Diskussion um den Islam in Deutschland weit differenzierter als in Ihrem aufklärerischen Magazin.

Schon beim letzten Heft, das die Schiiten zum Titelthema hatte, beging ich den Fehler, es zu lesen

Mit freundlichen Grüßen bin ich Ihr Navid Kermani

P.S.: Die taz bat mich, dem Brief 1.200 Zeichen hinzuzufügen, damit er die Seite ausfüllt. Das nutze ich, um nachzutragen, wie unwohl mir dabei ist, den Islam oder die Muslime gewissermaßen zu verteidigen (so jedenfalls muss es wirken). Ich sehe die Aufgabe des Intellektuellen wie des Literaten darin, die jeweils eigenen Kulturen in ihrer Abscheulichkeit zu sezieren. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, dass ich den erbärmlichen Zustand, in dem sich viele muslimische Länder, ja der Islam als Zivilisation heute befindet, weit präziser beschrieben habe, als es je in den Floskeln möglich wäre, auf die Sie den Intellekt Ihrer Autoren wie Leser zurechtstutzen. Um gar nicht erst der Gefahr des Apologetischen ausgesetzt zu sein, will ich instinktiv die Augen schließen vor Spiegel-Ausgaben oder Talksendungen zum Islam. Aber wenn der Nachbar im Kiosk und der Landesverfassungsrichter in der FAZ, der Historiker aus Bielefeld und der Bischof aus Berlin nach der Lektüre Ihres Heftes und ähnlich gedankenarmer Publikationen sich mit genügend Informationen ausgestattet sehen, Fatwas zum Islam abzugeben, platzt mir gelegentlich der Kragen. Mehr nicht.