68er Erinnerungen werden lebendig:
: Geschichte selber machen

betr.: „Generation Mescalero“, taz vom 24. 1. 01

[...] Erinnerungen werden lebendig. Ich, eine 68er Studentin, hatte damals gerade die ersten Jahre des Berufseinstiegs als Lehrerin hinter mir, also hatte ich nicht „im Zweiten Weltkrieg im U-Boot gekämpft“; ich gehörte zwar zu den „so genannten kritischen Lehrern“, aber ich geriet auch nicht wegen des bei Schülern entdeckten Flugblatts ob eines „konservativen Direktors“ in Verlegenheit, nein, meine Gruppe kommt bei Ihnen gar nicht vor: Ich legte nämlich meinen Oberstufenschülern den sog. „Buback-Nachruf“ als Unterrichtsmaterial vor. Ihr Artikel zeigt mir nun, welch pädagogische Sünde ich damit beging: verhinderte ich doch bei meinen Schülern und Schülerinnen die Entwicklung zum „coolen Märtyrertum“.

Die kurzfristigen Auswirkungen meines Tuns aber waren ganz andere! Ein Vater, der unsere Schule offenbar als das ansah, was man damals eine „linke Kaderschmiede“ nannte, [...] klagte mich bei der Dienstbeöhrde an, ich hätte „ in einer Vertretungsstunde (!) aus Texten von Ulrike Meinhof vorgelesen (!) und im PW-Unterricht den Buback-Nachruf „verteilt“. Was hatte ich getan? In Sozialkunde in einer achten Klasse eine Unterrichtseinheit über Widerstandsrecht abgehalten mit Kurztexten u.za. von Martin Luther King, Bonhoeffer und Meinhof, alle abgedruckt in einer Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung und sehr ausgewogen im Tafelbild zusammengefasst unter den Rubriken: gewaltloser bzw. gewaltsamer Widerstand. Und in Politischer Weltkunde hatte ich in der Tat den inkriminierten Text, den viele der SchülerInnen vom Hörensagen kannten wie Sie, zur Grundlage einer Doppelstunde gemacht und natürlich meinen Arbeitsbogen mit dem Text hinterher nicht wieder eingesammelt, wie ich es ebenso auch nicht mit Auszügen aus „Mein Kampf“ tue ... Für mich ging eine sehr aufwühlende Zeit los mit Rechtfertigungsgesprächen beim Schulrat, Unterrichtsbesuchen desselben, der Aufforderung, meine Unterrichtsmaterialien in der folgenden Zeit zur Kontrolle beim Direktor vorzulegen, aber auch mit solidarischer Unterstützung meiner KollegInnen!

Nachdem klar geworden war, dass an den Anschuldigungen der politischen Indoktrination nichts dran war, nachdem ich mich gegen die diskriminierenden Auflagen des Schulrats verwahrt hatte und nachdem das inzwischen ergangene höchstrichterliche Urteil, dass nämlich die Veröffentlichung des „Nachruf“-Textes durch die Professoren keine Straftat darstellte, den Schulrat quasi zurückgepfiffen hatte, blieb folgende Ermahnung des Schulamtes an mich übrig: Ich möge doch bitte in Zukunft die Behandlung von „heiklen Themen“ aus der aktuellen gesellschaftlichen Debatte im Unterricht vermeiden, denn zumindest an diesem Punkt hätte ich nicht pädagogisch optimal gehandelt. Das ist vielleicht ein Beispiel dafür, was in der gegenwärtigen Debatte von Rezzo Schlauch und anderen gemeint sein könnte, wenn sie vom „damals durchaus repressiven Staat“ sprechen, und was in jenen Jahren einige Filmregisseure ihren politischen Episodenfilm (1979?) „Deutschland im Herbst“ nennen ließ ...! [...]

BIRGIT STELLMANN, Berlin

Im Grunde sollten wir dankbar sein, das die spät 68er- und 78er-Generation jetzt die Gelegenheit bekommt, öffentlich über ihre Geschichte zu reden. [...]

Wie war das damals, als wir zu Hunderttausenden an den Bauzäunen entlangmarschierten und zum ersten Mal ein Gefühl dafür bekamen, was es heißt, der geballten Staatsgewalt gegenüberzustehen. Wie die Heere der Staatskräfte fragwürdige Industrieanlagen verteidigten, die heute zum Teil zu Funparks umgerüstet sind. Ich hatte fast vergessen, wie das damals war, friedlich zu demonstrieren, um im nächsten Moment kriminalisiert zu werden. Wenn Leute dabei ihre Grenzen überschritten, führte das immer wieder zu Übergriffen zwischen Polizei und Demonstranten. Ohne diese Kämpfe hätte sich damals weniger bewegt und wäre die Öffentlichkeit nicht so sensibilisiert worden, denn schon damals wollte die Presse vor allem Bilder und war dankbar, wenn ihnen solcherlei Exzesse höhere Auflagen bescherten. Nehmen wir die Gelegenheit wahr und führen wir eine ehrliche Diskussion über diese Zeit. Vielleicht werden sich Merkel/Merz & Co dann eines Tages fragen, ob sie Joschka und Jürgen nicht lieber im Sack gelassen hätten. STEFAN PANGRITZ, Weil am Rhein

betr.: „Papa, was ist eine Revolte?“, taz vom 27./28. 1. 01

1. Es gibt keine 68er Generation. Wer damals rebellierte, gehörte – leider – zu einem reichlich kleinen Teil seiner Generation. Wenn das heute in der veröffentlichten Meinung anders rüberkommt, dann dürfte das unter anderem daran liegen, dass heute eine Reihe von Ex-68ern das entsprechende Podium zur Verfügung haben und an dem entsprechenden Image basteln. [...] Es war im Wesentlichen ein Teil (!) der StudentInnen – und das waren damals insgesamt nicht so viele – die rebellierten.

2. Unerträglich wird es, wenn Kolja Mensing so tut, als sei 68 das Glück vom Himmel gefallen und habe uns das große Wir-Gefühl beschert. 68 gab es, weil eine Menge Menschen die Faxen dicke hatte, keine Reförmchen wollte, sondern das System als ganzes ablehnte. Dafür haben einige mit Gefängnis und andere mit ihrem Leben bezahlt. Vielen ist es allerdings gelungen, sich später doch hervorragend zu integrieren und Karriere zu machen.

Wenn die nachfolgende Generation bejammert, dass sie diese Erfahrung nicht hat und deshalb keine Geschichte, dann hätte sie gefälligst ihre Geschichte selber machen sollen. [...] Mir scheint, dass Kolja Mensing alles geschenkt kriegen möchte, einschließlich seiner Geschichte. Das ist nun allerdings der Gipfel des Konsumdenkens. Um die Verallgemeinerung etwas zu begrenzen: So wenig wie 68 eine ganze Generation rebelliert hat, so wenig besteht die Generation der Kinder nur aus Trantüten. Nur werden deren Aktive und ihre Aktivitäten (aus Erfahrung wird mensch klug) möglichst totgeschwiegen. ULRICH PAMPUCH, Moers

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