Ein raues Erwachen

GEVATERT In der norwegischen Komödie „Ich reise allein“ von Stian Kristiansen erfährt ein ewig heranwachsender Literaturstudent, dass er eine siebenjährige Tochter hat

Heute wäre solch ein gemütliches Studentenleben kaum noch möglich und so spielt der Film in den frühen 90er Jahren

VON WILFRIED HIPPEN

Es gibt Männer, die nicht erwachsen werden wollen. Seit der Stummfilmzeit haben sie die Komödien bevölkert (Buster Keaton hatte sich auf solche entwicklungsgehemmten Helden spezialisiert), aber zur Zeit sind diese späten coming of age Geschichten besonders beliebt. Judd Abatow gilt nach vielen Variationen der immer gleichen Grundsituation als einer der frechsten und witzigsten Regisseure Hollywoods und sein Filmtitel „The 40 Year Old Virgin“ bringt das Prinzip dieses Subgenres schön auf den Punkt. Dass solch ein „Jungmann“ aber nicht unbedingt keusch geblieben sein muss, hat Til Schweiger gerade in „Kokowääh“ gezeigt. Darin erfährt ein ewiger Sunnyboy plötzlich, dass er eine kleine Tochter hat, um die er sich kümmern muss.

Genau das Gleiche passiert in „Ich reise allein“ dem Literaturstudenten Jarle Klepp. Die siebenjährige Lotte (interessant, dass sich die Geschichte mit Söhnen nicht so gut erzählen lässt) wird von ihrer überforderten Mutter zu dem bisher ahnungslosen Erzeuger verfrachtet, und dieser kann sich von seinem bisher so idyllischen akademischen Leben erst einmal verabschieden. Als Ästhet und Rebell verachtet er die Niederungen des spießbürgerlichen Alltags, aber plötzlich ist da ein kleines Mädchen, das abends ohne eine Geschichte nicht einschlafen kann. Der Proust-Kenner scheitert gleich an solch einer simplen literarischen Aufgabe, denn von Prinzessinnen zu erzählen, ist unter seiner Würde. Seine Fantasie hatte er bisher darin verwandt, sich einen theoretischen Oberbau für seinen feuchtfröhlichen Lebensstil zu basteln. Da passte ihm die subversive Karnevalstheorie von Michail Bachtin gut in den Kram und auch Marcel Proust war ja bekannt dafür, dass er seine Bücher im Bett schrieb. Doch eine Siebenjährige rümpft die Nase, wenn der Vater betrunken im Hausflur liegt. Und wenn er sich bei einem Museumsbesuch lieber mit einer blonden Studentin als mit seinem Kind beschäftigt, ist dieses ganz schnell auf dem Weg zum Bahnhof, um alleine zurück zur Mama zu fahren. Dabei ist Amina Eleonora Bergrem in der Rolle der Lotte nie nervig und zum Glück auch nicht so bemüht niedlich wie Till Schweigers Tochter im deutschen Pendant. Jarles Wohngemeinschaft und die Nachbarn sind bald allesamt Onkels und Tanten und nur der widerspenstige Filmheld selber braucht lange für seine Zähmung.

Heute wäre solch ein gemütliches Studentenleben kaum noch möglich, und so siedelt der 1972 geborene Kristiansen die Handlung in den frühen 90er Jahren an. Dabei entwickelt er einen verdächtig nostalgischen Blick, und die Begräbnisfeier von Lady Di, die Tamagotchi-Epidemie sowie in Norwegen populäre Schlager (die Jarle natürlich verachtet, aber dann doch gut mitsingen kann) werden so geschickt und stimmig in die Dramaturgie eingebaut, dass zumindest solche Elemente des Films eindeutig autobiografisch sind. Um so auffälliger sind die wenigen Patzer. So bekommt man etwa selbst heute bei einem Vaterschaftstest nicht mal eben nach fünf Minuten das Ergebnis mitgeteilt, wie in einer frühen Szene des Films, die auch emotionell nicht zum Rest des Films zu passen scheint. Denn während Jarle ansonsten eher ein unbeholfener komischer Held ist (eben eine emotionale Jungfrau), ist er in dieser Sequenz ein kaltherziger Egozentriker und der Film braucht lange, um diesen zwiespältigen Eindruck wieder wettzumachen.

Aus der Perspektive von Lottes Mutter gesehen, (die als Fünfzehnjährige im Vollrausch von Jarle geschwängert wurden) wäre dies außerdem kaum eine Komödie geworden, und so macht es sich Kristiansen mit seinem Helden schon ein wenig einfach. Dies ist halt ein Film für Jungs.