Sahras kleine Hummer-Affäre

Sahra Wagenknecht (38) ist eine der letzten aufrechten Kommunistinnen der Linkspartei. Sie ließ auf einem Fotoapparat Aufnahmen löschen, die sie beim Hummeressen zeigten FOTO: BERND HARTUNG

Dies ist eine ganz kleine Geschichte, sie wird wahrlich kein politisches Erdbeben auslösen. Dies ist allerdings auch eine sehr schöne Geschichte, deswegen muss sie aufgeschrieben werden. Sie erzählt eine Menge über eine Frau, deren Namen viele Menschen zwar kennen, von der sie jedoch sonst so gut wie nichts wissen: Sahra Wagenknecht. Die 38-jährige Politikerin ist die Wortführerin der Kommunistischen Plattform innerhalb der Linkspartei. Die Bild am Sonntag bezeichnete sie in ihrer gestrigen Ausgabe als „Hummer-Kommunistin“. Damit sind wir schon mittendrin in der Geschichte.

Im Sommer dieses Jahres besuchte Linken-Chef Lothar Bisky die sieben Abgeordneten seiner Partei im Europaparlament. Sie trafen sich zu einem feinen Abendessen im Straßburger Restaurant „Aux Armes“. Die Abgeordnete Feleknas Uca fotografierte dabei – für den „Privatgebrauch“, wie sie später sagte. Eine ihrer Aufnahmen zeigte ihre Abgeordnetenkollegin Sahra Wagenknecht beim Hummeressen. Am folgenden Tag erschien Wagenknechts Assistentin bei Feleknas Uca. Sie bat Uca, ihr den Fotoapparat zu leihen, sie wolle Aufnahmen mit einer Bekannten machen. Am nächsten Tag erhielt Uca die Kamera zurück. Die Fotos, die Wagenknecht beim Hummeressen zeigten, waren plötzlich gelöscht. Uca protestierte gegen die „heimliche Durchsuchung“ und fertigte eine Protokollnotiz an. Das Papier kursierte ein paar Monate in der Partei, jetzt fand es den Weg in den Spiegel. Das Skandälchen war gut platziert. Eine Kommunistin, die Hummer isst und dabei nicht gesehen werden will? Igitt, igitt.

Wagenknecht gibt gegenüber der taz alles zu. Ja, die Fotos habe sie gelöscht, sie gefielen ihr nicht. Ja, sie bekenne sich schuldig, Hummer gegessen zu haben. Wo liege das Problem? „Ich tue nichts, was ich anderen verwehre, im Gegenteil. Ich kämpfe für eine Gesellschaft, in der es sich jeder leisten kann, Hummer zu essen.“ Das ist der Wagenknecht-Originalsound. Sogar aus einem kleinen Krebsessen wird bei ihr ein Akt des Widerstands gegen das Kapital. Die Frau ist ideologisch gefestigt. Sie wuchs in Jena als Einzelkind auf. Zum 18. Geburtstag bekam sie Marx’ und Engels’ Werke. Im März 1989 trat sie in die SED ein. In der Nacht des Mauerfalls saß sie deprimiert zu Hause und las Kants „Kritik der praktischen Vernunft“.

In der PDS machte die Philosophin Karriere. Ihre Dogmen gaben ihr Halt. Sie war streng, selbstkontrolliert und schön – die einzige Kommunistin, die die Medien zum Star machten.

Das Hummeressen ist der Einbruch des Lebens in ihre von der Theorie abgeschirmte Welt. Das verzeiht sie sich selbst am allerwenigsten. Davon will sie keine Fotos sehen. JENS KÖNIG