„Der Organhandel blüht jetzt“

SYRIEN Wir wollen keine militärische Intervention, sondern internationale Beobachter im Land, sagt der führende Oppositionelle Habib Saleh

■ wurde diese Woche in den 25-köpfigen Nationalrat der syrischen Opposition berufen. Der Journalist und Schriftsteller verbrachte 15 Jahre wegen Kritik am Assad-Regime im Gefängnis, wo er gefoltert wurde.

INTERVIEW GEORG BALTISSEN

taz: Herr Saleh, stimmt mein Eindruck, dass die staatliche Gewalt in Syrien immer brutaler wird?

Habib Saleh: Ja. Allerdings hat Baschar al-Assad von der ersten Demonstration an alle militärischen Mitteln gegen die Demonstrationen eingesetzt, einschließlich Maschinenpistolen, Panzern, Artillerie und Maschinengewehren. Nie wurde eine Demonstration mit normalen polizeilichen Mitteln aufgelöst.

Haben die Menschen denn keine Angst?

Uns war klar, dass sie auf uns schießen würden, dass sie uns töten würden, dass wir unsere Jobs und unsere Einkommen, dass wir jede Sicherheit verlieren würden. Daran gab es nie einen Zweifel.

Trotzdem wird es immer noch schlimmer?

Schon. Ohne schriftliche Genehmigung des Geheimdienstes kann heute niemand mehr eine Apotheke oder ein Krankenhaus aufsuchen. Jeder Verletzte, der ohne Genehmigung im Krankenhaus vorgefunden wird, wird erschossen. Es gibt sogar eine Art Organhandel in Syrien. Wenn jemand eine Leber oder eine Niere braucht, ordert er diese bei der Schabiha, den Schlägertruppen des Regimes. Diese bereiten alles vor und schaffen schließlich einen Verletzten ins Krankenhaus, wo die Ärzte schon warten. Ich besitze ein Video, das dieses Verbrechen dokumentiert. Wir werden diese Belege an den Internationalen Strafgerichtshof weitergeben.

Wer mischt in Syrien noch mit?

In Syrien agieren viele iranische Revolutionsgardisten und viele Anhänger und Kämpfer der libanesischen Hisbollah. Die Iraner zahlen die Gehälter dieser Einheiten, dazu auch noch die Gehälter der Schabiha. Sie erhalten jeweils 5.000 Dollar im Monat.

Aber die syrische Opposition fordert keine militärische Intervention durch die Nato?

Nein. Doch es ist dringend erforderlich, dass die Armee von der Straße abgezogen wird und das Töten aufhört. Baschar al-Assad aber lehnt jede Feuerpause ab. Stattdessen fordert er: Ihr beendet die Demonstrationen, dann werde ich die Truppen und die Schabiha zurückziehen. Das ist natürlich ein mieses Spiel. Die militärischen Aktionen des Regime sind eine Verletzung der syrischen Gesetze, sie verstoßen gegen die Menschenrechte, die Genfer Konvention und alle UN-Konventionen. Sie müssen gestoppt werden. Demonstrationen dagegen verletzten keine Gesetze. Deshalb müssen die USA, die Europäische Union, die Arabische Liga und die UN das Regime dazu zwingen, das Töten und Morden einzustellen.

Was kann und soll die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Zivilbevölkerung tun?

Das allererste und allernotwendigste ist die Entsendung internationaler Beobachter, die verfolgen können, was in Syrien bei den Demonstration geschieht. Es müssen auch Menschenrechtsorganisationen ins Land kommen, Vertreter der internationalen Medien, Unicef, Reporter ohne Grenzen, Amnesty International, Human Rights Watch. Sie müssen berichten können, was in Syrien genau vor sich geht.

Wenn das nicht geschieht, was ist Ihre Strategie, wie machen Sie weiter?

Unsere Forderungen sind erstens: Die Demonstrationen zum Sturz des Regimes müssen fortgesetzt werden. Zweitens: Die Angehörigen der Armee und der Sicherheitskräfte werden aufgefordert, weiterhin zu desertieren und sich gegen die Truppen des Regimes zu stellen. Drittens: Die internationale Gemeinschaft muss darauf drängen, dass internationale Beobachter zugelassen werden und dass die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gesichert wird.

Heißt das, es herrscht Hunger in Syrien?

Die Menschen in den Städten und Stadtteilen, die von der Armee abgeriegelt sind, haben nichts zu essen. Sie leiden echte Not. Es gelangen regulär keine Lebensmittel mehr in diese Gebiete. Selbst Brot muss von außen hereingeschmuggelt werden. Das ist sehr gefährlich. Die Lage ist sehr ernst.

Das Regime scheint jetzt isolierter als je zuvor. Neben Iran steht nur noch Russland fest an der Seite der Assads.

Trotzdem inszeniert Assad sich bislang in Syrien und international relativ erfolgreich als der einzige Garant gegen religiösen Fundamentalismus und sektiererische Gewalt. Das ist er aber nicht. Er benutzt das Kriegsrecht, um die Bevölkerung, die sich gegen ihn stellt, zu töten, wobei abschlachten es besser trifft. Es gibt keine zivilen Verfahren, keine normalen Prozesse. Das Kriegsrecht schafft eine buchstäblich mörderische Atmosphäre. Das alles zusammen beschwört einen Bürgerkrieg geradezu herauf.