Bilder einer Schlacht

FOTOGRAFIE Julian Röder reist an die Orte von Gipfeltreffen, Gegendemonstrationen und Waffenmessen. Die Guardini Galerie zeigt seine kunstvollen Bilderserien unter dem Titel „In Gesellschaft des Marktes“

In der Fotoserie „World of Warfare“ posieren biedere Schlipsträger mit handlichen Bomben

VON MARCUS WOELLER

Schützend hält sie ihr Schild vor sich und weicht zurück. Das hüfthoch wachsende Gras bietet ihr keine Deckung. Unbewaffnet wird sie den drei hoch zu Ross auf sie zupreschenden Kriegern nichts entgegensetzen können. Ihr Kampf scheint geschlagen. Dieser Moment der Verzweiflung im Angesicht der finalen Situation im Krieg ist eindrucksvoll komponiert. Vor dem Panorama einer Hügellandschaft sind die Kämpfer perfekt in Szene gesetzt. Und doch sehen wir kein barockes Schlachtengemälde vor uns und keinen japanischen Holzschnitt. Die Reiter in Rüstung sind weder Ritter noch Samurai, es sind britische Militärpolizisten. Und die Frau im Zentrum ist keine Soldatin, sondern im wahrsten Sinne des Wortes eine Zivilistin, die zur Verteidigung ihrer persönlichen wie gesellschaftlichen Rechte nur ein Demonstrationsplakat in die Höhe strecken kann. Das Schlachtfeld, das der Fotograf Julian Röder hier präsentiert, befand sich vor den Toren eines schottischen Golfhotels und wurde im Juli 2005 aufgenommen, als in Gleneagles der G-8-Gipfel tagte.

Die Geschichte der Gipfeltreffen der acht größten Industrienationen liest sich auch als Geschichte wütenden Protests, gewalttätiger Ausschreitungen, überforderter Verwaltungen, kriegsähnlicher Zustände. Als am 20. Juli 2001 beim Treffen der G 8 in Genua der Student Carlo Giuliani von einem Carabiniere erschossen wurde und Hunderte Demonstranten verletzt wurden, war Röder selbst zugegen. Als Demonstrant hatte er sich in die abgeriegelte Stadt geschlichen. Die folgenden Gipfeltreffen besuchte er als Fotograf, nicht im Auftrag seiner Agentur Ostkreuz, sondern mit dem privaten Interesse, diese Gegenwart der Gewalt, die plötzlich über einen Ort hereinbricht, zu dokumentieren. Die Intensität seiner Bilder geht jedoch weit über das Genre der Dokumentarfotografie hinaus; es sind kunstvolle Reportagen aus der Innenwelt des Kampfs.

Bei aller Sympathie für die Globalisierungsgegner und der Kritik an den Übergriffen der Staatsmacht bleiben die Bilder ambivalent. Sie zeigen den militanten Aktivisten ebenso wie das friedlich schlafende Pärchen, das dem Protest auch romantische Gefühle abgewinnen kann. Sie zeigen die Ausweglosigkeit des in vorderster Frontlinie stehenden Polizisten in Erwartung der ersten Salve Pflastersteine, aber auch den in Ratlosigkeit vor dem Stadtplan versunkenen Vermummten, der ebenjene Steine schon mal akkurat zurechtgelegt hat. Sie offenbaren die Bandbreite der Protestkultur zwischen friedlichem Happening und kriegerischem Gefecht: Auch der Straßenkampf hat etwas von Spektakel.

Röder hat sich eingehend mit dem französischen Situationisten Guy Debord beschäftigt, dessen Hauptwerk, „Die Gesellschaft des Spektakels“, nicht nur Eingang in die Fotoserie „Summits“ gefunden hat, sondern noch direkter in den beiden anderen Reihen zum Ausdruck kommt, die Röder zurzeit in der Galerie der Guardini Stiftung ausstellt. Jedoch sollte man die Fotografien nicht als Illustration von Debords Theorie verstehen, sondern als Beweis für den Erkenntnisgewinn aus dessen Thesen. „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, dass es zum Bild wird.“ Röder nähert sich diesem bildhaft akkumulierten Kapital in dessen wohl schändlichsten Form – den Erzeugnissen der Rüstungsindustrie, feilgeboten auf Handelsmessen für militärische Ausrüstung. In „World of Warfare“ posieren biedere Schlipsträger mit handlichen Bomben, die Heckenschützenkombi für den bewaffneten Häuserkampf darf gleich anprobiert werden. Vierjährige werden im Cockpit eines Panzers von Vati mit dem Handy abgelichtet, während nebenan der Mann im Kaftan der Gesandtschaft aus Fernost die neuesten Torpedos erklärt.

Seelenlose Attraktionen

In der hermetischen Scheinwelt einer Messe ist die Spektakelkultur auf die Spitze getrieben, sie erzeugt temporäre Bilder, die nur noch ökonomischen Regeln gehorchen. Für die Serie „Human Resources“ greift Röder in die Fotografien ein und entfernt alle Firmenlogos, die auf Herkunft, Sinn und Zweck der Produkte schließen lassen könnten, die dort beworben werden. Übrig bleibt der Mensch in einer künstlichen Kulisse des Konsums, das Verkaufsobjekt wird austauschbar. Wie Röder in „Summits“ die Dokumentation subtil in die tradierte Komposition des Schlachtenbilds überführt, überhöht er hier die Fotos in Artefakte einer seelenlosen Attraktion, effektvoll hintergrundbeleuchtet und in Gold gerahmt. Oder um es mit Debord auszudrücken: „Da, wo sich die wirkliche Welt in bloße Bilder verwandelt, werden die bloßen Bilder zu wirklichen Wesen […] eines hypnotischen Verhaltens.“

■ Julian Röder: „In Gesellschaft des Marktes“. Guardini Galerie, Askanischer Platz 4, 10963 Berlin, bis 3. Februar 2012