Bewerber mit optimiertem Lebenslauf

Joachim Zelters boshafte Satire „Die Schule der Arbeitslosen“ wurde am Samstag in Osnabrück als Theaterstück uraufgeführt – angereichert durch Erfahrungsberichte von echten Berufsberatern und Hartz IV-Empfängern

Im Jahr 2016 hat die Arbeitslosenzahl die Zehn-Millionen-Marke locker überschritten. Doch die „Bundesagentur“ lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sie hat landauf, landab Schulungszentren eingerichtet, um die Betroffenen wieder auf Vordermann zu bringen. Hier lernen sie nun, wie Lebensläufe den Erwartungen potenzieller Arbeitgeber angepasst und Persönlichkeiten auf die Anforderungen des Marktes abgestimmt werden. Schließlich sollen die Arbeitslosen „stabilisiert, euphorisiert, flexibilisiert“ sein, wenn sie die Schule wieder verlassen. Und Bewerbungen sind mittlerweile ohnehin nur noch „fiktiv konstruierte Handlungsgefüge“ beziehungsweise „ein Kohärenzsystem stimmiger Merkmale und Bedeutungsträger“.

Die Bundesagentur hat an alles gedacht. An fast alles, denn in der Realität gibt es leider keine Jobs mehr, die besetzt werden könnten, und so müssen ihre Schüler mit virtuellen Arbeitsplätzen vorliebnehmen, nach Sierra Leone auswandern oder ganz einfach kapitulieren und widerstandslos zum dauerhaften Sozialfall werden.

Joachim Zelters giftige Satire „Die Schule der Arbeitslosen“ sorgte vor einem Jahr für beträchtliches Aufsehen und als eminent gegenwartsnahe Zukunftsvision für reichlich Diskussionsstoff. Mittlerweile hat der 1962 geborene Autor zwei Bühnenfassungen des Romans erarbeitet, am Samstagabend konnte er sein Werk erstmals in szenischer Form erleben. Allerdings hatte Regisseurin Nina Gühlstorff bei der Uraufführung am Theater Osnabrück nur für einen Teil der Vorlagen Verwendung. Anders als ihr Kollege Sewan Latchinian, der das Stück in Zelters Textversion zeitgleich im brandenburgischen Senftenberg aus der Taufe hob, ließ Gühlstorff Berichte von Berufsberatern und Hartz IV-Empfängern, aber auch spontane Eingebungen ihrer Schauspieler und Laiendarsteller in die Proben einfließen.

Aus all dem hat sich ein Theaterereignis entwickelt, das den täglichen Wahnsinn einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich über ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme am Erwerbsleben definieren, in bestechenden Bildern einfängt. So etwa, wenn sich der Vorzeigearbeitslose Roland Bergmann (Oliver Meskendahl), der später zum stolzen Besitzer eines frei erfundenen Minijobs aufsteigt, nach einem Glas Wasser streckt, das ihm die Trainer so lange vorenthalten, bis er seinen Lebenslauf überzeugend genug „bearbeitet“ hat.

Bergmann geht es da freilich nicht besser als den Hauptakteuren der Fernsehserie „Job Quest“, die den Arbeitslosen im Schulungszentrum „Sphericon“ zur Motivationssteigerung vorgespielt wird. Die vermeintlichen Stars sind in Wirklichkeit unterbezahlte Gelegenheitskünstler, doch mit Ausnahme von Karla Meier (Nicole Averkamp) ahnt eben keiner der Schüler, dass hier alles nur Fassade ist. Karla kann mit dieser Erkenntnis allerdings auch wenig anfangen, denn nach zahllosen Zurechtweisungen, Belehrungen und unüberwindbaren Identifikationsproblemen mit dem „eigenen autobiografisch optimierten Leben“ ist ihre Widerstandskraft gebrochen. Knappe drei Stunden nach dem fröhlichen Aufbruch in die schöne neue Welt von „Sphericon“ wird Karlas arbeitsunfähige Psyche endgültig aufgegeben. Vielleicht ist es aber auch nur eine Frage der Zeit, bis selbst den in giftgrünen Uniformen umhereilenden, auf eine optimistische Weltbetrachtung dressierten „Sphericon“-Mitarbeitern die Lust vergeht, sich und ihre Schüler immer wieder über die bittere Realität hinwegzutäuschen.

Nina Gühlstorffs Inszenierung überzeugt vor allem durch die aussagekräftige Verknappung und satirische Zuspitzung des Themas. Die 1977 geborene Regisseurin nutzt den engen, von Marouscha Levy mit Plastikcontainern arrangierten Raum zum schnellen Schlagabtausch und ergänzt das Bühnengeschehen um Videoeinspielungen, Filmsequenzen und Musikeinlagen. So gelingt Gühlstorff das Kunststück, eine literarische Vorlage durch die szenische Umsetzung erheblich aufzuwerten. Denn während Zelters Roman vor allem im zweiten Teil erhebliche Längen aufweist, greifen die Szenen auf der Bühne oft lückenlos ineinander. Den Zuschauern bleibt so keine Zeit, sich mit Erfolg einzureden, sie seien noch nicht im „Sphericon“-Zeitalter angekommen. Aber ihnen wurde ja schon beim Betreten des Theaters ein eigener Bewerbungsbogen ausgehändigt. Für alle Fälle. THORSTEN STEGEMANN

Nächste Vorstellungen: 6., 13. und 30. Dezember, 19.30 Uhr, Theater am Domhof, Osnabrück