Mit Haarmann in den Advent

Advent: Zeit zur Besinnung. In Hannover bedeutet das, dass sich die Stadt mal wieder mit ihrem Massenmörder Fritz Haarmann auseinander setzt. Der steht mit seinem Hackebeil unter einem Baum auf dem aktuellen Adventskalender der Hannover Tourismus GmbH. Nicht alle in der Stadt finden das gut

Hannover festigt seinen Ruf als skurriles Gemeinwesen, dass zuweilen Schwierigkeiten mit seinem historischen Erbe hat

VON MICHAEL QUASTHOFF

Darf der Massenmörder Fritz Haarmann einen Adventskalender der Stadt Hannover zieren? Diese Frage spaltet seit Tagen die Leine-Metropole und geistert als Posse durch die überregionalen Medien. Bei Ebay wird der Stein des Anstoßes mittlerweile als „Original Hannover Advents-Skandal“ gehandelt. Damit festigt das selbst ernannte „Kongress-Mekka“ seinen Ruf als skurriles Gemeinwesen, dass zuweilen Schwierigkeiten mit seinem historischen Erbe hat.

Aufgedeckt hat natürlich alles die Bild. Als die Springer-Redakteure am Morgen des 1. November in der Konferenz herumgrübelten, mit welchen Unfug man denn morgen die Leser erschrecken soll, muss einem der Top-Rechercheure der Schoko-Adventskalender der Werbeagentur „Agitares“ in den Blick gekommen sein. Es handelt sich dabei um ein Produkt, das „mit freundlicher Unterstützung der Hannover Tourismus GmbH“ vertrieben wird und der Lokal-Journaille alljährlich zur Herbstzeit auf die Tische flattert, um ihnen den harten investigativen Alltag zu versüßen. Im Gegenzug gab es ein Foto und zehn lobende Zeilen. Und alle waren zufrieden. Diesmal nicht. Diesmal griff Bild zum Telefon. Es klingelte bei Hans-Christian Nolte, Geschäftsführer der Tourismus GmbH. Bild hatte auf einem der naiv gepinselten Kalenderblätter einen Mann mit Hut und Hackebeil entdeckt, den die Legende als Fritz Haarmann auswies, der Anfang der 1920er-Jahre 24 junge Männer um die Ecke brachte, indem er ihnen die Kehlen durchbiss und die Leichen als Dosenfleisch verkaufte. Das sei der Massenmörder Haarmann, echauffierte sich das Sudelblatt, das einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Auflage mit Berichten über Charaktere ähnlichen Zuschnitts einfährt. Nolte ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er erinnerte Bild, dass das Motiv schon 2006 im Kalender geklebt und niemand sich aufgeregt habe. Dazu gebe es auch gar keinen Anlass. Haarmann sei „ein Stück unserer Stadt“ und zwar nicht erst, als vor einigen Jahren der Film „Der Totmacher“ mit Götz George ein Kassenschlager wurde. Schließlich gebe es, schloss Nolte, auch Führungen durch die Stadt, die an den Schurken erinnern. Bild sagte danke und machte anderntags mit der Schlagzeile auf: „Hannover Tourismus wirbt mit Massenmörder Haarmann.“

Hannoversche Allgemeine und Neue Presse, die Platzhirschen des Madsack-Konzerns, mochten da nicht nachstehen. Eilig telefonierte man die Stadtprominenz ab und fand tatsächlich ein paar Eierköpfe, die sich mit brotdummen Einlassungen zitieren ließen: Veit Görner, seines Zeichens Chef der Kestner Gesellschaft warnte davor, Haarmann zu verharmlosen, Marktkirchen-Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann fand „zum Advent sollten wir andere Schwerpunkte setzen“ und Jürgen Schneidewind, Präsident des Landgerichts, schnarrte: „Mord verjährt nicht.“ Zum Politikum wurde die Petitesse aber erst, als Hannovers neuer Oberbürgermeister Stefan WeiI meinte, den Unsinn nicht umkommentiert lassen zu können. „Ich halte jeden Spaß mit Haarmann für ziemlich geschmacklos“, dekretierte der Sozialdemokrat, dessen Lieblingsbeschäftigung es ansonsten ist, Hannover mit Substantiven wie „Kongress-Mekka“ oder „Eventstadt“ zu verhohnepiepeln. Seinen Tourismuschef brachte er damit in die Bredouille und den Kalender in die Schlagzeilen. Nolte musste zurückrudern („Auf einem Adventskalender ist Haarmann vielleicht doch etwas deplatziert.“) und Bild triumphierte: „Kalender wird eingestampft.“

Das war zwar gar nicht wahr – die Tourismus GmbH schickte lediglich ihre Freiexemplare an die Agentur zurück – passte aber prima in die Reihe von grotesken Haarmann-Episoden, die sich seit Jahren durch die Stadtgeschichte ziehen. Als es 1992 hieß, Land und Stadt hätten 150.000 Mark für den Bau eines „Haarmann-Denkmals“ locker gemacht, brach ein Sturm der Entrüstung los. Es ging aber gar nicht um ein Denkmal, sondern um einen einen Bronzefries des Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka, der schließlich im Sprengel Museum ausgestellt wurde. Angesichts der kleinen anrührenden Arbeit waren wieder alle beleidigt, weil man sich ganz umsonst aufgeregt hatte. Der Fries verschwand schließlich im Depot des Museums. Ähnlich kläglich endete im Expo-Jahr 2000 das Künstlerprojekt einer „Haarmann-Meile in der Altstadt“. Die Finanziers und Politik beugten sich dem moralinsauren Bürgerprotest und sprangen ab. Den letzten Haarmann-Eklat verursachte 2004 die Kundenzeitschrift der Stadtwerke mit einem Würfelspiel namens „Die Haarmann-Schleife“. Die Ausgabe musste eingestampft werden.

Zu anderen Figuren seiner Historie pflegt der Hannoveraner ein weit entspannteres Verhältnis. Zum Beispiel zu den Welfen, ein Herrschergeschlecht, das sich steter Beliebtheit erfreut. Dabei sind die Verdienste der Sippe höchst umstritten. Die Briten, deren Thron die hannoverschen Kurfürsten 1714 erbten, lassen kein gutes Haar an den Georgs von der Leine. Über Georg I. (1660 - 1727) befand der große Schriftsteller Ben Johnson: „Er wusste nichts, tat nichts und wollte auch nichts tun.“ Außer, wie Chronisten spotteten „mit Weibern poussieren“, die so dick waren, dass man auf der ganzen Insel kein dem König zusagendes Format fand und zwei Mastmätressen aus Hannover importieren musste. Über Erzreaktionär Ernst August, der nach dem Ende der Personalunion noch König von Hannover sein durfte urteilte ein zeitgenössisches englisches Blatt, er habe „mit der einzigen Ausnahme des Selbstmordes jedes erdenkliche Verbrechen begangen“. Die Hannoveraner nahmen es nicht so genau und setzten ihn in den 1970er Jahren vor dem Hauptbahnhof auf ein ziemlich hohes Ross wie sie auch gerne um den Maschsee kreiseln, den etliche Skulpturen aus der Nazizeit säumen.

Ihnen sei gesagt, dass Fritze Haarmann ebenso zur hannoverschen Folklore gehört, wie der Philosoph Leibnitz und Dadaist Schwitters. Kurz nach dem Prozess kursierte in der Stadt ein Liedchen, das Peter Rühmkorf in seinem Kompendium „Über das Volksvermögen“ festgehalten hat: „In Hannover an der Leine/ Strippenstraße Nummer acht/ wohnt der Massenmörder Haarmann/ der aus Kindern Blutwurst macht/ Warte warte nur ein Weilchen/ bald kommt Haarmann auch zu Dir/ mit dem kleinen Hackebeilchen/ klopft er leis an deine Tür/ Aus dem Bauch da macht er Würste/ aus dem Rücken macht er Speck/ aus dem Kopf da macht er Sülze/ alles andre wirft er weg.“ Es hat Hannover bekannter gemacht als Messe und Expo.