Das Künstlerkind

Mathilde Modersohn wäre heute hundert geworden. In Gegensatz zu ihren Eltern wurde sie Sozialarbeiterin

Sie habe sie als ganz zurückhaltende Frau erlebt, sagt Marina Bohlmann-Modersohn. „Bei uns war sie immer sehr lebhaft!“, entgegnet Kurt Becker-Glauch. Beide sprechen über Mathilde Modersohn, die Tochter der Malerin, die heute 100 Jahre alt geworden wäre. Knapp drei Wochen nach ihrer Geburt starb Paula Modersohn-Becker an einer Embolie.

Die VertreterInnen beider Familienzweige haben zumindest in Bezug auf Mathildes Maltalente dieselbe Erfahrung gemacht: nicht vorhanden. Die Tochter des Künstlerpaares Paula Becker und Otto Modersohn hat zeitlebens nie einen Pinsel angerührt, dafür war sie umso engagierter als „Fürsorgerin“ in Borgfeld tätig – Sozialarbeiterin, würde man heute sagen. Sie sei auch keineswegs eine Apologetin der Kunst ihrer Eltern gewesen, sagen die Verwandten. Wobei sie das Zusammenhalten der Werke ihrer Mutter durchaus als Lebensaufgabe begriff. 1978 gründete sie die Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, der sie ihren gesamten Kunstbesitz übergab – inklusive der Werke ihres Vaters. Erst vor wenigen Wochen gelang der in Fischerhude ansässigen Otto-Modersohn-Stiftung, unterstützt von der Kulturstiftung der Länder, der Ankauf von acht Otto-Gemälden.

Mathilde Modersohns Verortung in den verschiedenen Familienteilen scheint nicht immer leicht gewesen zu sein. Bis zum Alter von drei Jahren lebte sie bei einer Schwester ihre Mutter, dann holte sie Otto Modersohn, wiederverheiratet, zu sich.

Die in Worpswede ab und an erwähnte „Paula“ wurde dem Kind gegenüber als verstorbene Tante bezeichnet. Erst mit 18 Jahren klärte man Mathilde Modersohn über den Tod ihrer Mutter auf – in der öffentlichen Situation einer Fahrt mit der Straßenbahn, „damit sie nicht so weint“, wie Hille Darjes erzählt. Die Schauspielerin, Gründungsmitglied der Shakespeare Company, ist über ihre Mutter mit den Beckers verwandt. Mathilde Modersohn starb, kinderlos, vor neun Jahren. Henning Bleyl